Mit rund 1500 Euro will der Staat ausreisepflichtige Migranten dazu motivieren, Deutschland zu verlassen. Eine WELT-Recherche zeigt: Die Mehrheit der Zuwanderer, die diese Förderung in Anspruch nehmen, ist gar nicht die eigentliche Zielgruppe. Besonders eine Nationalität sticht hervor.
Am Montag hob vom Berliner Flughafen eine Linienmaschine in die Türkei ab. An Bord der Schwerkriminelle Khalil El Zein. Der 35 Jahre alte Libanese, dessen sogenannter Clan auch in der Türkei viele Familienmitglieder hat, kam seiner zweiten Abschiebung zuvor, indem er freiwillig ausreiste, wie aus Sicherheitskreisen verlautete.
Erst im März war er nach jahrelangen Bemühungen in den Libanon abgeschoben worden, tauchte aber vor zwei Wochen wieder in Berlin auf. Trotz seiner mit der Rückführung im Frühling für vier Jahre und acht Monate verhängten Wiedereinreisesperre, stellte er im Oktober erneut einen Asylantrag in Berlin-Tegel, der allerdings rasch abgelehnt wurde.
Ob der mehrfach wegen schweren Straftaten verurteilte El Zein eine staatliche Förderung für seine Ausreise erhielt, ist bislang unbekannt. Diese Rückkehrbeihilfen von oftmals rund 1500 Euro werden aber gelegentlich auch Kriminellen angeboten, wie mehrere mit solchen Fällen befasste Beamte WELT berichten.
Insgesamt werden diese geförderten freiwilligen Ausreisen nicht häufig genutzt. Im laufenden Jahr verließen bis Ende September gerade einmal 7499 Ausländer mit dem Bund-Länder-Programm REAG/GARP die Bundesrepublik, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) WELT mitteilt. Das sind sogar minimal weniger als 2023 (10.762 im Gesamtjahr).
Nur im Jahr 2016 wurde in großem Umfang (54.006 Personen) die Rückkehrförderung in Anspruch genommen, vor allem von abgelehnten Asylbewerbern aus den Westbalkan-Staaten. Danach folgte ein starker Abwärtstrend in den Jahren 2017 (29.522) und 2018 (15.941) bis zu den Corona-Jahren, in denen es kaum Abschiebungen und folglich auch kaum freiwillige Ausreisen gab.
Daneben gibt es noch einige Landesförderprogramme, die aber kaum ins Gewicht fallen: Nur 1282 Migranten reisten in den ersten drei Quartalen dieses Jahres laut Ausländerzentralregister per Landesförderung aus, sowie 128 weitere durch „sonstige öffentliche Mittel“, abseits der Programme.
Die geförderte Ausreise können übrigens nicht nur die rund 230.000 Ausreisepflichtigen in Anspruch nehmen, sondern auch Migranten, die schon während ihres Asylverfahrens zurückkehren, oder auch bereits anerkannte Flüchtlinge.
Im laufenden Jahr sind sogar weniger Ausreisepflichtige unter den geförderten Rückkehrern als Asylbewerber, die schon während ihres Verfahrens die Bundesrepublik verlassen. Laut den BAMF-Daten waren nur 3323 der 7499 gefördert freiwillig Ausgereisten im laufenden Jahr bis Ende September ausreisepflichtig, darunter die Hälfte ohne Duldung (1659) und die andere Hälfte (1664) mit einer solchen Bescheinigung, in der Ausreisepflichtigen mitgeteilt wird, dass der Staat sie derzeit nicht abschieben kann, sie aber weiterhin zum Verlassen des Landes aufgefordert sind. Im vergangenen Jahr waren immerhin noch insgesamt 5796 Ausreisepflichtige unter den gefördert Ausgereisten.
Auffällig viele Türken reisen während Asylverfahren aus
2024 waren in den ersten drei Quartalen 330 von den 7499 per REAG/GARP ausgereisten Personen anerkannte Asylbewerber oder per Familiennachzug sowie aus anderen kaum ins Gewicht fallenden Gründen Aufenthaltsberechtigte. Und 3846 der geförderten Rückkehrer waren Personen mit einer Aufenthaltsgestattung; diese erhalten Asylbewerber nach ihrer Einreise bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens.
Fast die Hälfte dieser schon während ihres Asylverfahrens gefördert Ausgereisten waren in diesem Jahr türkische Staatsangehörige: nämlich 1891. Obwohl die Behörden insgesamt ein starkes Interesse daran haben, dass möglichst viele Ausreisepflichtige oder Asylbewerber aus Staaten mit geringer Anerkennungschance wie der Türkei – die absehbar wahrscheinlich ausreisepflichtig werden – das Ausreiseprogramm wahrnehmen, gibt es insbesondere bei Türken, aber auch Bürgern osteuropäischer Staaten Hinweise, dass die Ausreiseförderung als Anreiz wirken könnte, überhaupt erst nach Deutschland zu ziehen. WELT hatte im Juni über entsprechende Erkenntnisse mehrerer Bundesländer zu diesem Phänomen berichtet.
Wie häufig aufgrund solcher Hinweise die Ausreiseförderung nicht gewährt wird, kann derzeit nicht bundesweit erhoben werden, Praktiker berichten aber, dass nur selten zweifelsfrei ein Missbrauch nachgewiesen werden kann, selbst wenn schon bald nach der Einreise Anfragen für die Rückkehrförderung gestellt werden. Demnach unterstützen es die Ausländerbehörden angesichts der seltenen Abschiebungen und freiwilligen Ausreisen in der Regel, wenn überhaupt Ausreisepflichtige oder Asylbewerber ohne Bleibechance die Förderung wahrnehmen wollen.
Abgesehen von den rund 14.700 Abschiebungen bis Ende September, sowie den geförderten freiwilligen Ausreisen, verlassen aber auch wohl ungefähr 2000 Ausreisepflichtige monatlich ohne Förderung die Bundesrepublik. Darauf deuten die sogenannten „Grenzübertrittbescheinigungen“ hin, die in der Regel von der Bundespolizei erfasst werden. Bei der Mehrzahl der abgelehnten Asylbewerber und aus anderen Gründen ausreisepflichtigen Personen verfestigt sich allerdings der Aufenthalt früher oder später. Sie erhalten also Aufenthaltstitel, etwa aus familiären oder beruflichen Gründen.
So wurden im Jahr 2016 bereits 220.000 Ausreisepflichtige verzeichnet, dann stiegen die Zahlen trotz jährlich Zehntausender abgelehnter Asylanträge an auf über 300.000 und sanken wieder auf derzeit rund 230.000. Das liegt unter anderem daran, dass die Ampel-Regierung mit dem sogenannten Chancen-Aufenthaltsrecht eine weitere Möglichkeit schuf, mit der Langzeit-Geduldete nach ihrer Asylablehnung ihre Ausreisepflicht beenden können, indem sie Arbeit aufnehmen und sich um Integration bemühen.
Am Dienstag berichteten viele Medien erneut über die häufig scheiternden Abschiebungsversuche. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Frage der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht (BSW), die der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ vorlag, scheiterten zwischen Januar und September dieses Jahres 23.610 von 38.328 geplanten Abschiebungen. Das seien 62 Prozent gewesen.
BSW-Chefin Wagenknecht warf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) „Wortbruch beim Thema Abschiebungen“ vor. Aktuell kämen Jahr für Jahr fast zehnmal so viele nicht-schutzbedürftige Menschen nach Deutschland, wie ausreisepflichtige Personen tatsächlich abgeschoben würden, so Wagenknecht weiter. „Dieses Missverhältnis ist der Inbegriff der unkontrollierten Migration, die viele Probleme in unserem Land – von Wohnungsmangel bis zu überforderten Schulen – immer weiter verschärft.“
Nicht zuletzt wegen dieser anhaltenden Probleme bei der Migrationsbegrenzung sowie der Rückführung von Ausreisepflichtigen hat die Ampel-Partei so stark an Zustimmung verloren, dass dieser Tage sogar ein Ende der Koalition im Raum steht.
Marcel Leubecher ist Politikredakteur. Seit 2015 berichtet er vor allem über Migrationspolitik.