China straft offenbar Polen ab, weil das Land – anders als Deutschland – in Brüssel für EU-Strafzölle auf chinesische Autos gestimmt hat. Dabei nutzt die chinesische Führung laut einem Bericht der Agentur Reuters ihren Einfluss auf die eigene Autoindustrie: Staat, Partei und Wirtschaft sind in China eng verflochten.
Konkret verliert der polnische Auto-Standort Tichau (Tychy) in der Nähe von Kattowitz einen wichtigen Produktionsauftrag. Es geht um das geplante Modell „B10“ der chinesischen Marke Leapmotor, die mit dem europäischen Opel-Mutterkonzern Stellantis kooperiert. Der kleine SUV ist in China bereits auf dem Markt und soll 2025 auch in Europa verkauft werden. Als Produktionsstandort für Europa war das schlesische Tichau benannt worden, wo bereits das kleinere Modell T03 der Marke produziert wird.
Stellantis und Leapmotor sollen die Pläne, das Auto in dem Werk in Polen zu produzieren, nun aus rein politischen Gründen aufgegeben haben, berichtet Reuters unter Bezug auf „Insider“. Grund sei eine Intervention aus Peking. Die Führung wolle Polen für sein Stimmverhalten in Brüssel abstrafen. Darauf, dass Polen und nicht Europa als Ganzes im Visier ist, weist auch hin, dass die Produktion dennoch innerhalb der EU stattfinden soll. Das Unternehmen sei sogar bereit, höhere Energie- und Lohnkosten an alternativen Standorten hinzunehmen, heißt es.
Der Vorgang zeigt, unter welchen Druck die chinesische Regierung Europa und dessen Autokonzerne setzt. Im Sommer hatte Brüssel Strafzölle auf chinesische Elektroautos beschlossen – allerdings nicht einstimmig. Zehn Länder stimmen für den Plan, darunter Polen. Deutschland stimmte dagegen, denn deutsche Hersteller wie VW und BMW sind stark in China engagiert.
Die Strafaktion aus China ist für den polnischen Stellantis-Standort ein Rückschlag, der Jobs gefährden könnten – und eine Chance für andere Werke im Konzern. Geprüft wird laut dem Bericht, den B10 in einem Werk in Deutschland oder in der Slowakei zu bauen. Beide Länder haben gegen die EU-Strafzölle gestimmt.
Der Gewinn eines Produktionsauftrags im Konzernverbund wäre für das jeweilige Werk eine Bestandssicherung. Denn Stellantis-Chef Carlos Tavares hatte erst im Oktober in einem Interview angekündigt, dass er Werksschließungen erwäge – insbesondere dann, wenn chinesische Hersteller verstärkt nach Europa kommen sollten.
In Deutschland betreibt Stellantis drei Werke. Die Fabrik in Kaiserslautern produziert keine fertigen Autos, sondern Komponenten für Fahrzeuge der Konzernmarken Opel, Citroën, Peugeot, Fiat und Jeep. Zudem wird dort laut Konzernangaben die Modell-Plattform STLA Medium gebaut. Darauf basiert etwa der Peugeot 3008. Stellantis will an dem Standort zudem eine große Batteriefabrik für Elektroautos errichten.
Allerdings pausiert das Batterie-Projekt seit dem Sommer – auch weil unklar sein, welche Technologie sich in dem Markt durchsetzt. Das zweite deutsche Konzernwerk ist das Opel-Stammwerk in Rüsselsheim, das neben Verbrennern auch E-Autos herstellt. Zudem hat Stellantis zuletzt 130 Millionen Euro in das Opel-Werk Eisenach investiert, um auch dort Elektroautos auf Basis der Plattform aus Kaiserslautern bauen zu können.
Die deutschen Standorte konkurrieren mit dem slowakischen Tyrnau (Trnava). Stellantis hat den Standort gerade erst fit für die Elektro-Zeit gemacht – und dabei 360 Stellen abgebaut. Die Fabrik in Tyrnau Nahe der Grenze zu Österreich wurde erst 2006 eröffnet und ist damit das jüngste Werk des Konzerns.
Die Chance für die Slowakei dürften zuletzt gestiegen sein: Premierminister Robert Fico war erst Anfang November zu einem mehrtägigen Staatsbesuch in China. Dabei betonte er laut chinesischen Medien deutlich, sein Land habe gegen die Strafzölle der EU opponiert. Das Land wolle stattdessen die Zusammenarbeit mit China bei Autos ausbauen. Viele in seinem Land hergestellte Autos würden bereits nach China exportiert.
Stellantis hatte im Oktober 2023 angekündigt, 23 Prozent an Leapmotor für 1,5 Milliarden Euro zu übernehmen. In diesem Frühjahr kam außerdem das Gemeinschaftsunternehmen Leapmotor International zustande, an dem Stellantis 51 Prozent hält. Es vertreibt die Marke seit September in Europa. Ziel sind schnelle Marktanteilgewinne.
„Die Gründung von Leapmotor International ist ein großer Schritt nach vorn, um das dringende Problem der globalen Erwärmung mit hochmodernen batterieelektrischen Modellen anzugehen, die mit den bestehenden chinesischen Marken auf Schlüsselmärkten auf der ganzen Welt konkurrieren werden“, sagte Stellantis-Chef Tavares zum Start. „Durch die Nutzung unserer bestehenden globalen Präsenz werden wir bald in der Lage sein, unseren Kunden preislich wettbewerbsfähige und technisch anspruchsvolle Elektrofahrzeuge anzubieten, die ihre Erwartungen übertreffen werden.“
Stellantis spielte bei den EU-Strafzöllen eine zweifelhafte Rolle. Konzernchef Carlos Tavares hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lange dazu gedrängt, sich in Brüssel für Maßnahmen gegen chinesische Billig-Importe starkzumachen. Tavares gilt daher als einer der Väter des Gedankens, chinesische Subventionen für E-Auto-Bauer mit Ausgleichszöllen zu kontern. Doch im Laufe des Verfahrens schwenkte Tavares um – kurz vor der EU-Abstimmung sprach er sich sogar öffentlich gegen die Zölle aus. Dafür nahm er laut Medienberichten sogar den Unmut von Macron in Kauf.
Hintergrund war offenbar, dass sich Stellantis in der Zwischenzeit mit dem erst 2015 gegründeten Hersteller Leapmotor verbündet hatte. Entsprechend weniger Interesse hat der europäische Konzern daran, dass die EU chinesische Importe verteuert. Zudem wird die Meinung der chinesischen Führung für Stellantis wichtiger. Bislang waren vor allem deutsche Autobauer auf das Wohlwollen in dem Land angewiesen, während Stellantis dort wenig Interessen hatte.
Ein Stellantis-Sprecher erklärte auf WELT-Anfrage, das Unternehmen kommentierte „Spekulationen“, also auch den Reuters-Bericht, grundsätzlich nicht.