Die Abgeordneten brüllen durcheinander. Der Alterspräsident zieht die Sitzung über Stunden in die Länge. Am Ende entscheidet das Verfassungsgericht: Ende September hat die AfD und mit ihr Alterspräsident Jürgen Treutler parlamentarische Spielregeln bei der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags massiv missachtet. Das Ergebnis: Chaos in einem bis dahin simplen demokratischen Verfahren.

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Ist das auch bei der Vertrauensfrage von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Mitte Dezember zu erwarten? Könnte die AfD aus taktischen Gründen für Scholz votieren, um eigene Ziele zu erreichen?

Die Brandmauer könnte einstürzen

Durchs politische Berlin geistert derzeit diese Hypothese: Scholz hat seine Mehrheit durch den Koalitionsbruch verloren. Die fehlenden Stimmen könnte die AfD ersetzen. Zwar will die Partei keinen Kanzler Scholz. Aber wie in Thüringen würde sie Chaos ins politische System bringen.

Wir haben die Ampel wiederholt aufgefordert, den Weg für Neuwahlen freizumachen.

Christian Posselt, BSW-Pressesprecher

Eine These: Neuwahlen wären dann nur möglich, wenn sich Unionschef Friedrich Merz im Zuge eines konstruktiven Misstrauensvotums mit Stimmen von AfD und gegebenenfalls BSW wählen ließe.

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Konkret hieße das: AfD, CDU und gegebenenfalls weitere Abgeordnete wählen Merz mit einer Mehrheit zum Kanzler. Im nächsten Schritt könnte diese Mehrheit Merz absichtlich das Misstrauen aussprechen, um wiederum Neuwahlen zu ermöglichen. Die AfD, so heißt es in den komplexen Gedankenspielen, könnte so die Brandmauer der Union zum Einsturz bringen.

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Merz selbst hatte das allerdings bereits in der vergangenen Woche mehrfach ausgeschlossen. Er würde sich nicht mit Stimmen der AfD wählen lassen, sagte er etwa bei Maybrit Illner. Die Union hat seit langem eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen. Bei der Generaldebatte am Mittwoch bekräftigte Merz, er werde auf keinen Fall mit der Partei kooperieren.

Auch rein rechnerisch wäre das Szenario unwahrscheinlich. Dies zeigt ein Überblick über die Kräfteverhältnisse: Für einen neuen Kanzler müsste die Mehrheit der Abgeordneten stimmen. Bei 733 Mitgliedern wären das 367 Abgeordnete. Auch eine bewusste Abwesenheit der AfD-Abgeordneten würde daran rechnerisch nichts ändern. Denn laut Grundgesetz gilt hier die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, nicht die Mehrheit der Anwesenden.

Die Grünen haben bereits erkennen lassen, dass sie für den Kanzler stimmen möchten. Immerhin hätte die Partei gerne bis zum Ende der Legislatur weiter in dem Dreierbündnis mit der FDP regiert.

Für Scholz werden erwartungsgemäß auch die eigenen Leute stimmen. Zusammen mit den Grünen käme der Kanzler, sollten beide Fraktionen geschlossen wählen, also auf 324 Stimmen. Bis zur Mehrheit fehlten 43 Stimmen. Die AfD verfügt über 76 Stimmen. Theoretisch wäre es also möglich, den Plan der übrigen Fraktionen zu torpedieren.

Bei der Vertrauensfrage wird namentlich abgestimmt

Die Umsetzung ist allerdings fraglich. Stand jetzt dürfte die Abstimmung eine namentliche werden. Jeder Abgeordnete, der kurz darauf in seinem Wahlkreis antritt, müsste also erklären, warum er einen Kanzler bestätigt hat, den er eigentlich gar nicht will.

Auch die AfD will schnelle Neuwahlen, zumal sie gerade im Umfragehoch ist. Unnötiges Chaos, das dann doch auf Neuwahlen hinausläuft, würde ihr eher schaden. Die Brandmauer kann sie mit großer Wahrscheinlichkeit nicht einstürzen lassen.

Es wäre widersinnig, wenn wir dem Kanzler jetzt das Vertrauen aussprechen.

AfD-Parteisprecher

Denn – hypothetisch – sollte Scholz die Vertrauensfrage gewinnen, könnte er sie erneut stellen und sich dann – wiederum aus taktischen Gründen – auch von Grünen und SPD abwählen lassen.

Selbst aus Sicht der AfD ist das Szenario unrealistisch, ist in der Partei zu hören. „Es wäre widersinnig, wenn wir dem Kanzler jetzt das Vertrauen aussprechen“, sagte ein Parteisprecher dem Tagesspiegel.

Die AfD hätte nichts zu gewinnen

Daniel Tapp, Sprecher von AfD-Chefin Alice Weidel, erklärte dem Tagesspiegel: „Die AfD fordert seit Monaten das Ende der Regierung und eine Neuwahl des Bundestages. Sie wird dem Bundeskanzler selbstverständlich nicht das Vertrauen aussprechen.“

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Auch taktisch würde dieses Vorgehen nicht zum Kurs der Partei passen. In Thüringen hatte die AfD ein klares Ziel verfolgt: Sie wollte eine Landtagspräsidentin aus der eigenen Partei gegen den Willen der übrigen Fraktionen wählen.

Im Bundestag hätte die gewonnene Vertrauensfrage nur Chaos zur Folge. Das Ergebnis wäre in jedem Fall die Neuwahl. Die AfD hätte nichts zu gewinnen.

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In manchen Gedankenspielen kommt auch das BSW mit einer entsprechenden taktischen Wahl vor. Auch das dürfte unwahrscheinlich sein, mangels Motiv.

Christian Posselt, BSW-Pressesprecher, sagte dem Tagesspiegel: „Solche Überlegungen gibt es bei uns nicht. Wir haben die Ampel ja auch wiederholt aufgefordert, den Weg für Neuwahlen freizumachen.“