Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sein Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verteidigt. „Das war wichtig“, sagte Scholz, „um auch zu sagen, dass er nicht darauf rechnen darf, dass die Unterstützung Deutschlands, Europas und vieler anderer in der Welt für die Ukraine nachlassen wird“. Er habe Putin gesagt, „dass es jetzt auch an ihm ist, dafür Sorge zu tragen, dass der Krieg ein Ende findet“, erklärte Scholz vor seiner Abreise zum G20-Gipfel in Rio de Janeiro vor Journalisten.
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Das Gespräch sei lange angekündigt gewesen. Es sei sehr ausführlich gewesen, habe aber auch zu der Erkenntnis beigetragen, „dass sich bei dem russischen Präsidenten an seinen Ansichten zu diesem Krieg nicht viel geändert hat, was keine gute Nachricht ist.“ Gerade deshalb sei es so wichtig, „dass wir in der Frage des Prinzips sehr klar sind, nämlich, dass die Ukraine sich auf uns verlassen kann und dass der Grundsatz gilt: Über die Köpfe der Ukraine hinweg wird es keine Entscheidung gegeben“, sagte Scholz weiter.
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Aus seiner Sicht sei es keine gute Idee, „wenn es demnächst Gespräche zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem russischen Präsidenten gibt und der Regierungschef eines wichtigen europäischen Landes nicht selber auch Gespräche führt“. Trump hatte im Wahlkampf angekündigt, er werde den Ukraine-Krieg binnen kürzester Zeit durch einen Deal mit Russland beenden.
Der polnische Regierungschef Donald Tusk zog den Nutzen von Gesprächen mit Putin in Zweifel. „Niemand wird Putin mit Telefonaten stoppen“, schrieb der liberalkonservative Politiker bei der Online-Plattform X mit Blick auf Russlands Angriffskrieg in dem Nachbarland. Der jüngste Luftangriff habe gezeigt, dass „Telefondiplomatie“ kein Ersatz für reale Unterstützung durch den ganzen Westen für die Ukraine sein könne. „Die nächsten Wochen werden entscheidend sein, nicht nur für den Krieg selbst, sondern auch für unsere Zukunft“, mahnte der Ex-EU-Ratspräsident.
Finnlands Außenministern Elina Valtonen mahnt nach dem Telefonat von Scholz und Putin Zurückhaltung der europäischen Verbündeten der Ukraine gegenüber dem Kreml an. „Das Wichtigste ist, dass wir verstehen, dass es jetzt nicht dazu kommen darf, dass es wieder zu einem Wettrennen um Aufmerksamkeit im Kreml kommt. Dass europäische Staatsoberhäupter mit Putin koordiniert oder unkoordiniert telefonieren, das wird nichts bringen“, sagte sie dem ARD-„Europamagazin“. Es brauche eine koordinierte Antwort – nicht nur mit den Vereinigten Staaten, sondern vor allem mit der Ukraine.
Kritik von Union und Grünen
Kritik kam auch aus der Union. Der CDU-Politiker Hardt sagte im Deutschlandfunk, Putin verstehe den Anruf des Kanzlers „eher als Zeichen der Schwäche denn als Stärke“. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag warf Scholz vor, Putin aus innenpolitischen Gründen zu einem „Propaganda-Erfolg“ verholfen zu haben.
Auch der CDU-Politiker Johann Wadephul kritisierte, der Kanzler habe das Telefonat lediglich aus innenpolitischen Gründen geführt. Scholz sei es „mehr um PR als um den Schutz der Ukraine“ gegangen, sagte der Vizevorsitzende der Unionsfraktion der Nachrichtenagentur AFP.
Doch auch in der Koalition gibt es Unmut. Grünen-Außenpolitiker Robin Wagener sagte vor den Teilnehmern eines Bundesparteitages in Wiesbaden mit Blick auf die fehlende Mehrheit der Regierungskoalition nach dem Ende der Ampel-Koalition: „Nie war Olaf Scholz machtloser als zum jetzigen Zeitpunkt.“
Russlands Präsident Wladimir Putin kenne diese Schwäche und habe deshalb jetzt auch mit dem deutschen Kanzler telefoniert. Es stelle sich die Frage, ob Scholz womöglich einen Wahlkampf als „Friedenskanzler“ plane, der dann so substanzlos zu werden drohe wie einst sein Wahlkampf als „Klimakanzler“, sagt Wagener. Die Grünen seien in der Ukraine-Politik verlässlich und setzten sich für einen „Freiheitsfrieden“ ein, nicht für einen „Frieden im Sinne von Grabesruhe“.
Scholz bedauert Fehlen Selenskyjs beim G20-Treffen
Scholz hatte Putin auf eigene Initiative am Freitag angerufen – das erste Mal seit Dezember 2022. Er forderte erneut einen russischen Truppenabzug aus der Ukraine sowie die Bereitschaft zu Friedensverhandlungen. Kritik an dem Telefonat kam unter anderem vom ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj, der ihm in der Folge vorwarf, sein Anruf öffne die „Büchse der Pandora“.
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Scholz reist für fast drei Tage nach Rio, um dort mit den G20-Ländern unter anderem über Armutsbekämpfung, Klimaschutz und die Kriege in der Ukraine und in Nahost zu sprechen. Er bedauere, dass – anders als bei vorherigen Treffen – Selenskyj nicht eingeladen worden sei. „Ich habe mich dafür sehr intensiv eingesetzt, andere auch. Das aber ist jetzt nicht der Fall.“ Die Ukraine gehört nicht zur G20. Selenskyj wurde von den brasilianischen Gastgebern auch nicht als Gast nach Rio eingeladen. (dpa)