Nach dem Einzug Trumps ins Weiße Haus muss die EU ihre Wettbewerbspolitik neu ausrichten, sagt Bernd Lange. Der SPD-Politiker ist der Vorsitzende des EU-Handelsausschusses. Zumindest im Zollstreit um chinesische E-Autos ist eine Einigung in Sicht. Lange nennt auch ein mögliches Datum für die Unterzeichnung des Mercosur-Abkommens.

ntv.de: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordert seit Jahren “De-Risking”, das bedeutet: Die Abhängigkeit der EU von übermächtigen Handelspartnern wie China durch die Diversifizierung von Lieferketten mindern. Davon ist bislang kaum was zu sehen, oder?

Bernd Lange: Unser Wirtschaftssystem hat nicht nur das Risiko einer möglichen Abhängigkeit von China. Wir sind inzwischen in einem komplexen System von Wertschöpfungsketten. Hinsichtlich China: Es gibt nur wenige einseitige Abhängigkeiten der EU in Bezug auf einige Rohstoffe. Deswegen suchen wir nach zusätzlichen Lieferanten. Wir haben jetzt mit Chile ein Abkommen gemacht, um den Markt für verarbeitetes Lithium zu erschließen. Es gibt aber auch andere Risiken, etwa wenn ein Schiff mit Lieferungen im Suezkanal quer steht oder wenn es im ASEAN-Bereich Überflutungen gibt. Ich habe deshalb ein Problem damit, die Risiken nur beim Handel mit China zu sehen.

Von der Leyens Konzept von “De-Risking” ist also zu vereinfacht?

Ja, wenn es nur gegen China gerichtet ist. Die Frage ist auch, ob man das System der Wertschöpfungskette durch internationalen Handel reduzieren sollte. Handel trägt dazu bei, wirtschaftliche Entwicklungen in vielen Ländern dieser Erde zu ermöglichen und bringt Stabilität von Beziehungen mit sich. Ein Staat, der vom Export abhängig ist, wird sich daher überlegen, ob er mit einem anderen Staat in Konflikt geht.

Bernd Lange glaubt, dass der künftige US-Präsident Trump seine Zoll-Drohungen gegenüber China wahr machen wird. Bernd Lange glaubt, dass der künftige US-Präsident Trump seine Zoll-Drohungen gegenüber China wahr machen wird.

Bernd Lange glaubt, dass der künftige US-Präsident Trump seine Zoll-Drohungen gegenüber China wahr machen wird.

(Foto: EP)

Deutschland ist zum Beispiel vom Export abhängig. Deshalb war es aus Furcht vor Vergeltung gegen die Einführung von Strafzöllen beim Import chinesischer E-Autos in die EU – wurde aber von anderen Ländern im Rat überstimmt. Sind die Zölle aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Das sind keine Straf-, sondern Ausgleichszölle. Die USA haben 100 Prozent Zoll gesetzt, um chinesische batterieelektrische Fahrzeuge vom Markt fernzuhalten. Das machen wir in der EU nicht. Wir wollen nur einen fairen Wettbewerb. Die Gesetzgebung der EU ermöglicht es uns, Ausgleichszölle zu erheben, wenn es Dumping-Maßnahmen oder illegale Subventionen gibt. Und das stellen wir in vielen Fällen fest. Wir haben im Moment so knapp 200 Produkte, die mit Ausgleichszöllen belegt sind. Etwa die Hälfte kommen aus China, aber auch aus den Vereinigten Arabischen Emiraten oder aus den USA.

Kanzler Olaf Scholz ist strikt gegen diese Zölle …

Dass Olaf Scholz bei den Zöllen auf chinesische E-Autos eine andere Bewertung hat, liegt daran, dass deutsche Hersteller in China einen Markt haben. Die Befürchtung war, dass es chinesische Gegenreaktionen geben kann, die diese Hersteller in dem Markt in China treffen würden. Ich sehe das etwas anders aufgrund meiner Erfahrungen in der EU. Zum Beispiel haben wir bei chinesischen E-Bikes auch schon Ausgleichszölle zwischen 40 und 80 Prozent. Da hat die chinesische Seite gemurrt, aber es letztendlich akzeptiert. Außerdem verhandeln wir bezüglich der E-Autos noch mit der chinesischen Seite. Wir stehen kurz vor einer Lösung mit China, um die Zölle abzuschaffen. Wir sind kurz vor einer Verständigung: China könnte sich verpflichten, die E-Autos in der EU zu einem Mindestpreis anzubieten. Damit würde der Tatbestand der Wettbewerbsverzerrung durch unfaire Subventionen wegfallen, weshalb die Zölle ursprünglich eingeführt wurden.

Der künftige US-Präsident Donald Trump droht der EU mit einem Zoll von 10 Prozent, China sogar mit 60 Prozent. Falls Trump die Abgaben so einführt, könnte China die EU mit noch mehr Billigwaren fluten als bisher. Ist das gefährlich?

Ich glaube nicht, dass das bei Herrn Trump nur eine Drohung ist. Denn das ist seine wirtschaftspolitische Vorstellung: Den Importmarkt abzuschotten, um Investitionen in die USA zu holen, damit eine wirtschaftliche Entwicklung zu befördern und dann aus den USA zu exportieren. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass er hohe Zölle gegen China einführen wird. Das Risiko ist groß, dass China dann auf den EU-Markt ausweicht, denn China ist stark abhängig vom Export. Jetzt analysieren wir, welche Anzahl welcher Produkte in dem Fall auf den europäischen Markt drängen wird, um ein Sicherheitsnetz zu knüpfen.

Das heißt, Sie machen in der EU gerade eine Risikoanalyse, welche chinesische Produkte dann zu Dumping-Preisen auf den Markt kommen könnten?

In der Tat, wir haben eine Task Force und gucken, was die angekündigten Maßnahmen von Herrn Trump mit sich bringen, welche Zahlen da zu hinterlegen sind. Daraus leiten wir die Strategie für mögliche Gegenmaßnahmen gegenüber Herrn Trump ab und gegen mögliche Umleitungseffekte aus China. Aber die Details, die in dieser Liste stehen, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen.

Okay, dann nehmen wir irgendein Produkt, das China zu Dumping-Preisen in die EU exportiert, nachdem der US-Markt durch Zölle weggebrochen ist. Wie reagiert die EU dann?

Wenn wir uns dann schützen wollen, würden wir die gleichen Zollsätze setzen wie die USA, also 20 Prozent oder auch 60 Prozent – je nachdem, was die USA entscheiden. Man zieht für eine bestimmte Zeit mit den USA bei den Zöllen gleich, für maximal acht Jahre.

Die EU könnte Trump einen weiteren Deal anbieten: Sie stützt ihn in seinem harten Kurs gegen China; im Gegenzug soll Trump dann von Zöllen gegen die EU absehen und die US-Hilfen für die Ukraine weiterlaufen lassen. Was halten Sie davon?

Zum einen werden wir nichts machen, was den Regeln der Welthandelsorganisation widerspricht. Da gibt es keine Dirty Deals, die das untergraben. Dann müssen wir mit den Vereinigten Staaten verhandeln, was deren Zölle uns gegenüber anbetrifft und unsere Gegenzölle. Es sollte keine Eskalation geben. Ziel von Gegenmaßnahmen ist nämlich, dass man wieder an den Verhandlungstisch zurückfindet. Wir reagieren defensiv, aber mit der klaren Perspektive, Verhandlungen einzuleiten.

Die EU könnte bald gegen China Sanktionen verhängen, falls sich der Verdacht erhärtet, dass Peking Militärgüter für die russische Invasion in die Ukraine herstellt. Würden Sie diese Sanktionen dann befürworten?

Wenn da was dran ist, dass da substanziell der Krieg unterstützt wird, dann muss man auch über Sanktionen nachdenken. Keine Frage, das ist nicht akzeptabel. Der russische Angriffskrieg richtet sich gegen einen souveränen Staat und das widerspricht jeglichem internationalen Recht. Was da militärisch passiert, ist auch überhaupt nicht zu tolerieren. Die EU geht ja auch gegen andere Staaten vor, die Russland indirekt helfen, Sanktionen zu durchbrechen. Wir tolerieren nicht, dass dieser russische Angriffskrieg in irgendeiner Weise unterstützt wird.

Zölle und Sanktionen führen zu Preissprüngen – das zeigte sich zuletzt etwa an den hohen Energiepreisen, als Russland Deutschland den Gashahn zudrehte. Welche Möglichkeiten haben die EU und ihre Mitgliedstaaten, um Preissprünge abzufedern?

Ich glaube, dass eine Kompensation für die hohen Stromkosten nötig ist, auch um die Innovationskraft zu stärken und die wirtschaftliche Situation zu verbessern. Zudem muss man schauen, ob man alternative Märkte organisieren kann. Wir haben im Moment 44 Handelsverträge mit circa 70 Ländern. Wenn man nach Süden guckt zum afrikanischen Kontinent, gibt es noch viele Bereiche, wo wir in einer fairen Partnerschaft wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten auf beiden Seiten schaffen können. Da muss man mehr tun als bisher.

Eine Möglichkeit für Diversifizierung wäre das Abkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Südamerikas, das kurz vor dem Abschluss stehen soll. Brasilien zum Beispiel besteht jedoch auf protektionistische Zusatzvereinbarungen. Ist der Wert des Abkommens am Ende nur symbolisch?

Nein, es ist ein wichtiges Abkommen. Auch geostrategisch, weil wir enge Beziehungen zu Lateinamerika haben. Und auf der anderen Seite sitzen chinesische Investoren und staatliche Institutionen schon vor der Tür. Außerdem ist das Abkommen so gut wie fertig. In das Abkommen und ein Zusatzprotokoll müssen noch ein paar Erläuterungen rein und ein paar Feinjustierungen. Die Mercosur-Staaten stehen dann allesamt hinter dem Abkommen. Rein theoretisch könnte man das am 6. Dezember, beim Gipfeltreffen in Montevideo, paraphieren, also vorläufig unterzeichnen. Es hängt noch ein bisschen an der europäischen Seite. Leider haben wir einen großen Mitgliedstaat, Frankreich, der sich dagegen ausgesprochen hat. Jetzt müssen wir politisch entscheiden, inwiefern die anderen Mitgliedstaaten noch mit Frankreich reden können oder auch gewillt sind, es zu überstimmen.

Mit Bernd Lange sprach Lea Verstl