Aurubis mit Sitz in Hamburg ist Europas führender Kupferhersteller. Konzernchef Toralf Haag sagt, wie das energieintensive Unternehmen auch hierzulande weiter wachsen will und warum man im Vorstand keine Sorge wegen des neuen US-Präsidenten Donald Trump hat.

Seit September ist Toralf Haag, 58, Vorstandsvorsitzender von Aurubis, Europas führendem Kupferhersteller mit Zentrale in Hamburg. Er muss das Unternehmen nach internen Krisen und angesichts politischer und wirtschaftlicher Verwerfungen weiterentwickeln. In mehr als 20 Ländern arbeiten insgesamt rund 7100 Menschen für Aurubis, davon etwa 2800 in Hamburg. Haag sagte WELT AM SONNTAG, welche Weichenstellungen er von einer neuen Bundesregierung erwartet und warum die Nachfrage nach Kupfer ein auf lange Sicht wachsender Markt ist. Als vorläufigen operativen Gewinn vor Steuern für das Geschäftsjahr 2023/24 nannte Aurubis Ende September 410 Millionen Euro. Im Jahr zuvor waren es 349 Millionen Euro. Die endgültigen Zahlen legt das Unternehmen am 5. Dezember vor.

WELT AM SONNTAG: Herr Haag, Sie haben den Vorstandsvorsitz von Aurubis in einer gesamtwirtschaftlich und politisch schwierigen Zeit übernommen. Finden Sie so einen Zeitpunkt eher gut oder schlecht, um die Führung eines international tätigen Unternehmens anzutreten?

Toralf Haag: In einer herausfordernden Situation wie jetzt kann ich den größten Beitrag leisten. Es ist gut, dass ich vor 20 Jahren schon als Vorstandsmitglied hier war, ich kenne das Unternehmen von seinen grundsätzlichen Prozessen und vom Geschäftsmodell her gut und bin in die aktuellen Themen schnell hineingekommen. Als Vorstand haben wir uns klare Prioritäten gesetzt: Wir wollen die Probleme strukturell beseitigen, die in den vergangenen Jahren hier aufgetreten sind.

WAMS: Sie meinen die Arbeitssicherheit – nach teils tödlich verlaufenen Arbeitsunfällen – und die innere Sicherheit des Unternehmens speziell am Standort Hamburg nach einem großen Metalldiebstahl, begangen von organisierten Kriminellen mithilfe früherer Aurubis-Mitarbeiter.

Haag: Ja, wir wollen die Arbeitssicherheit und die Werkssicherheit signifikant verbessern und haben bereits viel darin investiert. Gleichzeitig wollen wir das Vertrauen unserer Stakeholder zurückgewinnen und uns wieder voll auf unsere Wachstumsagenda konzentrieren. Hierfür haben wir jetzt ein neues Führungsteam, das sehr gut und vertrauensvoll zusammen funktioniert. Ich bin sehr zuversichtlich, wir werden die Herausforderungen in den kommenden Monaten gut meistern.

WAMS: Kritiker des Standorts sehen Deutschlands energieintensive Industrie von Abwanderung bedroht. Aurubis ist aber auch in Hamburg und insgesamt in Deutschland sehr erfolgreich. Wie erreichen Sie das?

Haag: Die technologische Kompetenz von Aurubis über den langen Zeitraum von über 150 Jahren ist ein Faktor. Aurubis ist am Markt bekannt dafür, komplexe Materialien verantwortungsvoll zu verarbeiten und deren Wertmetalle effizient zu heben. Dies sowohl beim Rohstoff Kupferkonzentrat wie auch beim Recyclingmaterial, das wir einsetzen. Die verschiedenen Ergebnistreiber unseres Geschäftsmodells machen uns robust. Und wir haben in Hamburg und an anderen deutschen Standorten wie in Lünen langjährige, hervorragend ausgebildete Mitarbeiter, die als Team sehr gut funktionieren. Mit dieser Belegschaft haben wir die Prozesse in den vergangenen Jahren weiter optimiert. Dennoch sehen wir noch weiteres Verbesserungspotenzial, das wir heben werden. Und dies nicht nur in den Werken, sondern auch zwischen den europäischen Werken, denn Aurubis ist in den vergangenen Jahren auch durch Akquisitionen stark gewachsen. Durch diese Synergien können wir Teile der hohen Energiekosten ausgleichen, die uns in Deutschland leider deutlich belasten. Und wir bleiben profitabel, trotz des hohen Lohnniveaus in Deutschland.

WAMS: Die Aurubis-Aktie ist derzeit gefragt – der Drogerieunternehmer Dirk Rossmann hält inzwischen rund 20 Prozent der Anteile. Auch bei Übernahmegerüchten rund um die Salzgitter AG, die fast 30 Prozent der Aurubis-Anteile hält, geht es indirekt um Aurubis. Macht Ihnen das Sorgen?

Haag: Wir beobachten das genau, aber wir konzentrieren uns auf das operative Geschäft und darauf, unsere Leistung weiter zu steigern. Alles andere können wir aktuell nicht kommentieren.

WAMS: Aurubis investiert in diesem und in den kommenden fünf Jahren allein in Hamburg rund 750 Millionen Euro – auf dem Niveau eines Strompreises von fünf Cent je Kilowattstunde. Die Strompreise – auch für die Industrie – verändern sich aber ständig, und zwar tendenziell nach oben, auch wegen politischer Entscheidungen zum Klimaschutz. Wie können Sie da mittelfristig planen?

Haag: Wir sind auf eine langfristige Planungssicherheit angewiesen, vor allem bei den großen Investitionen, die wir hier am Standort Hamburg oder an anderen Standorten in Deutschland vorhaben oder gerade realisieren. Deshalb ist die Entlastung, die wir derzeit bei den Netzentgelten noch haben, für Aurubis essenziell. Wir brauchen niedrige Strompreise, um hier weiterhin wettbewerbsfähig zu produzieren und langfristige Investitionen tätigen zu können. Zu der Flexibilisierung der Netzlasten, die die Bundesnetzagentur anstrebt, können wir nur bedingt beitragen – weil unsere Anlagen aufgrund der Eigenschaften unseres Produktionsprozesses Tag und Nacht das gesamte Jahr hindurch laufen müssen.

WAMS: Weiß das der Gesetzgeber?

Haag: Der Gesetzgeber weiß das. Wir sind in einem intensiven und konstruktiven Austausch mit den einzelnen Regierungsstellen. Ich bin vorsichtig zuversichtlich, dass wir eine langfristig wettbewerbsfähige Energiebasis für unsere energieintensiven Unternehmen bekommen können. Das ist essenziell für den Industriestandort Deutschland.

WAMS: Was müsste die nächste Bundesregierung für energieintensive Unternehmen in Deutschland tun?

Haag: Sie muss wettbewerbsfähige und stabile Energiepreise schaffen. Zudem muss eine neue Bundesregierung den Bürokratieabbau endlich konsequent angehen. Regelungen wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gehören auf den Prüfstand, sie sind für uns mit einem enormen bürokratischen Aufwand verbunden. Und wir brauchen schnelle Genehmigungsverfahren, um Investitionen in Deutschland zügig umsetzen zu können. Uns ist zudem die öffentliche Debatte wichtig, dass Investitionen in Industriestandorte in Deutschland in der öffentlichen Wahrnehmung wieder positiv belegt sind. Investitionen schaffen Arbeitsplätze und Wohlstand, die Industrie ist Deutschlands DNA. Zu häufig wird dem Handeln der Industrie zunächst einmal mit Einspruch und einer negativen Grundhaltung begegnet. In den USA bauen wir gerade ein neues Recyclingwerk. Dort wird eine solche Investition sehr positiv gesehen.

WAMS: Wird Aurubis sein geplantes Recyclingwerk für Batterien von Elektroautos in Hamburg bauen?

Haag: Nachdem wir zunächst gute Resultate mit unserer Pilotanlage erzielt haben, testen wir nun Teilbereiche unseres Batterierecyclingprozesses im industriellen Maßstab in einer Demo-Anlage in Hamburg. Wir werden allerdings nicht voreilig agieren und eine großindustrielle Anlage bauen, sondern den Markt zunächst sorgfältig beobachten. Es wird noch eine Zeit lang dauern, bis hier ein ausreichendes Marktpotenzial für unser Einsatzmaterial, die sogenannte Schwarzmasse, im Batterierecyclingprozess entsteht. Bis dahin werden wir unsere technologische Vorreiterrolle mit der Demo-Anlage in Hamburg weiter ausbauen. Für die eigentliche Batterierecyclinganlage ist noch keine Entscheidung gefallen.

WAMS: Wie sichert sich Aurubis gegen Schwankungen des Strom- und Erdgaspreises ab? In der „Dunkelflaute“ Anfang November wurde kaum Strom in Windturbinen und Solarkraftwerken erzeugt. Der kurzfristige Strompreis am Spotmarkt stieg teilweise um das Zehnfache.

Haag: Das Beispiel zeigt die Risiken der aktuellen Energiepolitik auf. Sie schwächt die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie im internationalen Vergleich. Auch wir als Aurubis sind auf grundlastfähigen Strom angewiesen, um effizient Metalle für den Fortschritt und eine moderne Gesellschaft zu produzieren. Selbstverständlich sichern wir uns gegen Schwankungen am Spotmarkt so gut wie möglich ab und haben zudem einen langfristigen Stromliefervertrag. Aber auch das hat Grenzen.

WAMS: Wenn die Erneuerung von Industrieunternehmen durch politisches Hin und Her immer wieder gestört wird, ist das für ein Ziel wie Dekarbonisierung der Wirtschaft eher kontraproduktiv.

Haag: Die CO₂-Bilanz von Aurubis bei der Herstellung von Kupfer ist weltweit führend, wir produzieren Kupfer mit weniger als der Hälfte des CO₂ im internationalen Vergleich. Wir haben sehr viel investiert, um dieses und andere wichtige Metalle für die grüne Transformation auf umweltverträgliche Weise herzustellen. Es wäre für uns sehr schlecht, wenn wir in Deutschland weitere Disruptionen durch hohe oder schwankende Energiepreise oder eine instabile Energieversorgung bekommen würden.

WAMS: Die deutsche Stahlindustrie steht chronisch unter Druck vor allem durch die Branche in China und deren Dumpingpreise. Ist die Situation am globalen Kupfermarkt damit vergleichbar?

Haag: Wir sehen die globale Nachfrage nach Kupfer weiter stark ansteigen, getrieben durch Elektrifizierung und Digitalisierung. Aurubis ist Europas größter Kupferhersteller, aber zugleich auch ein Multimetall-Unternehmen – wir erzeugen eine ganze Reihe weiterer Metalle wie etwa Nickel oder Edelmetalle wie Silber und Gold. Der Rohstoff Kupferkonzentrat aus Minen wird internationaler gehandelt. Hier bauen unsere Wettbewerber aus China weitere Kapazitäten auf. Das beobachten wir genau und arbeiten ständig an unserer Wettbewerbsfähigkeit.

WAMS: Wie werden sich die Investitionen von Aurubis in den kommenden Jahren auf das Inland und Ausland verteilen?

Haag: Wir investieren in den kommenden Jahren etwa 40 Prozent in Deutschland und rund 60 Prozent im Ausland. Investiert wird in ausländische Wachstumsmärkte wie die USA, in bestehende Standorte wie in Belgien und in Bulgarien, aber auch in Standorten in Deutschland, wie eben hier an unserem Stammsitz in Hamburg. Wir stehen zu unseren Kernmärkten.

WAMS: In den USA hat Aurubis in diesem Jahr ein neues Multimetall-Recyclingwerk in Betrieb genommen. Was bedeutet die Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und die mögliche Abschottung des US-Marktes für Aurubis?

Haag: Die Entscheidung für unser Recyclingwerk in Augusta im Bundesstaat Georgia haben wir schon vor Jahren völlig unabhängig von den staatlichen Anreizen des Inflation Reduction Act in den USA getroffen. Und auch unabhängig vom Ausgang der US-Wahl von Anfang November. Wir bringen unsere technologische Expertise und unsere Finanzkraft an den US-Markt, wir investieren in das neue Recyclingwerk rund 800 Millionen Dollar, umgerechnet rund 740 Millionen Euro. Der Markt und der Bedarf für das Recycling von Kupfer in den USA wächst konstant. Wir stoßen auf große Zustimmung vor Ort, da das Recyclingmaterial und die darin enthaltenen strategisch wichtigen Metalle, die bislang teils auch nach China exportiert wurden, nun in den USA bleiben. So stärken wir die Kreislaufwirtschaft.

WAMS: Noch vor 20 Jahren wurden Industrieunternehmen wie Aurubis in der Nähe von Städten als problematische Umweltverschmutzer wahrgenommen – heutzutage gelten sie als unverzichtbare Partner für die städtische Energieversorgung, vor allem auch mithilfe industrieller Abwärme.

Haag: Unsere Investitionen sind durch den Bund über die KfW und das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle unterstützt worden. Unsere CO₂-freie Industriewärme versorgt mittlerweile bis zu 28.000 Haushalte im Hamburger Fernwärmenetz. Mit unseren Abnehmern verhandeln wir darüber, dies profitabel für alle Seiten zu machen. Das Beispiel zeigt auch, dass die Industrie ein wichtiger Teil der Lösung in der Energie- und Wärmewende ist.

WAMS: Werden Sie in Hamburg in den kommenden Jahren zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen, über die aktuell rund 2800 hinaus, die hier derzeit arbeiten?

Haag: Wir sind gut aufgestellt und gehen davon aus, dass wir die Mitarbeiterzahl hier in Hamburg stabil halten werden, auch bei weiterer Automatisierung und Digitalisierung. Er ist unser größter Standort weltweit, hier laufen viele wichtige Materialströme zusammen.

Seit September leitet der promovierte Ökonom Toralf Haag, 58, das Hamburger Unternehmen Aurubis, Europas führenden Kupferhersteller. Sein Vorgänger Roland Harings und zwei weitere Vorstände mussten ihre Posten vorzeitig räumen, nachdem organisierte Kriminelle – unterstützt von Aurubis-Mitarbeitern – das Unternehmen jahrelang bestohlen und betrogen hatten. Haag war bereits von 2002 bis 2005 Finanzvorstand bei der damaligen Norddeutschen Affinerie, wie Aurubis bis zum Jahr 2009 hieß. Anschließend arbeitete er für die Unternehmen Lonza und Voith.

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Die Grundstoffindustrie im Norden zählt zu seinen Schwerpunktthemen.