Israels Kriegsführung im Gazastreifen wird international immer wieder scharf kritisiert. Nun kommt aber auch harte Kritik aus dem innersten Kreis früherer Entscheidungsträger des Landes selbst. Der ehemalige israelische Verteidigungsminister Mosche Jaalon hat seinem Land „ethnische Säuberung“ im Gazastreifen vorgeworfen.

Die Tagesspiegel-App Aktuelle Nachrichten, Hintergründe und Analysen direkt auf Ihr Smartphone. Dazu die digitale Zeitung. Hier gratis herunterladen.

„Die Straße, die wir entlanggeführt werden, ist Eroberung, Annexion und ethnische Säuberung“, sagte Jaalon am Samstag in einem Interview mit dem privaten Sender DemocratTV.

Es gibt kein Beit Lahija mehr, kein Beit Hanun, die Armee interveniert in Dschabalija und in Wahrheit wird das Land von Arabern gesäubert.

Mosche Jaalon, ehemaliger Verteidigungsminister Israels

Auf die Nachfrage der Journalistin, ob er glaube, dass Israel sich in Richtung „ethnische Säuberung“ bewege, sagte Jaalon: „Was passiert dort? Es gibt kein Beit Lahija mehr, kein Beit Hanun, die Armee interveniert in Dschabalija und in Wahrheit wird das Land von Arabern gesäubert.“

Der Norden des Gazastreifens, in dem die von Jaalon genannten Gebiete liegen, sind Ziel einer israelischen Offensive, mit der eine Neugruppierung der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas verhindert werden soll.

Krieg in Gaza

Der Krieg im Gazastreifen war durch den beispiellosen Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst worden. 1207 Menschen wurden israelischen Angaben zufolge dabei getötet, viele weitere wurden als Geiseln verschleppt.

Als Reaktion geht Israel seitdem massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden laut Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, bislang mehr als 44.380 Menschen getötet. (AFP)

In einem Gespräch mit dem israelischen Kan-Sender bekräftigte Jaalon seine Vorwürfe. Er sprach von angeblichen Plänen Israels, die palästinensischen Einwohner des nördlichen Gazastreifens zu vertreiben und dort stattdessen israelische Siedlungen zu errichten. Rechtsextreme Mitglieder der israelischen Regierung haben sich mehrmals für eine Rückkehr israelischer Siedler in den Gazastreifen ausgesprochen, dies ist aber bisher keine offizielle Regierungspolitik.

Jaalon sagte, er spreche im Namen israelischer Kommandeure, die im Norden Gazas im Einsatz seien und sich große Sorgen darüber machten, was dort geschehe. „Sie werden in Lebensgefahr gebracht, sie werden vor moralische Dilemmas gestellt“, sagte der Ex-Verteidigungsminister. Außerdem hätten sie eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu befürchten. Israel begehe im Gazastreifen Kriegsverbrechen, sagte er.

Der 74-jährige Jaalon war von 2002 bis 2005 Armeechef, bevor Israel sich aus dem Gazastreifen zurückzog. Er war Verteidigungsminister und Vize-Ministerpräsident, bevor er 2016 wegen Meinungsverschiedenheiten mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zurücktrat. Während seiner Karriere in der konservativen Likud-Partei hatte er den Ruf eines Falken. 2019 verbündete er sich mit dem aktuellen Oppositionschef Jair Lapid, bis er sich 2021 aus der Politik zurückzog.

Seine jüngsten Äußerungen lösten in Israel umgehend Verärgerung aus. Der rechtsextreme Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir sagte, es sei eine „Schande“ für Israel, „so eine Person als Armeechef und Verteidigungsminister gehabt zu haben“.

Mehr zu Israel bei Tagesspiegel Plus: Israel schränkt Pressefreiheit weiter ein Regierung boykottiert die kritische Tageszeitung „Haaretz“ Genozid-Vorwürfe gegen Israel „Es geht um die systematische Zerstörung des Gazastreifens“ Haftbefehle gegen Netanjahu, Gallant und Hamas-Anführer Welche Folgen hat das IStGH-Urteil?

Netanjahus Likud-Partei verurteilte Jaalons „unehrliche Bemerkungen“ und bezeichnete sie als „Geschenk für den IStGH und das Lager der Israel-Feinde“.

Damit bezog sich die Partei auf den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), der am 21. November einen internationalen Haftbefehl gegen Netanjahu und dessen ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant wegen des Vorwurfs der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen hatte. (AFP, dpa)