In Georgiens Hauptstadt Tiflis sind am Sonntag den vierten Abend in Folge Demonstranten gegen die pro-russische Regierung auf die Straße gegangen. Die Proteste weiteten sich auch landesweit aus: Georgische Medien berichteten über Kundgebungen in mindestens acht Städten.

Die Regierung hatte am Donnerstag EU-Beitrittsgespräche bis 2028 ausgesetzt und damit Massenproteste ausgelöst, gegen die die Polizei auch gewaltsam vorging. Ministerpräsident Irakli Kobachidse wies Kritik der USA zurück, die am Samstag eine strategische Partnerschaft mit dem Land ausgesetzt hatten. Am Sonntag zeigte sich die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas solidarisch mit den Demonstranten.

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Der oppositionsnahe Fernsehsender Formula zeigte Bilder aus der Stadt Chaschuri in Zentral-Georgien, wo Menschen das Büro der Regierungspartei Georgischer Traum mit Eiern bewarfen und die Flagge der Partei herunterrissen. In der Stadt Poti wurde der georgischen Nachrichtenagentur Interpress zufolge eine Zufahrtstraße zum wichtigsten Schwarzmeerhafen des Landes blockiert. Kritiker beschuldigen den Georgischen Traum, eine zunehmend autoritärere und anti-westliche Politik zu verfolgen.

Die Partei wirft dagegen der EU im Streit über die Beitrittsgespräche Erpressung und Schüren von Unruhen vor. Die ehemalige Sowjetrepublik im Südkaukasus mit seinen 3,7 Millionen Einwohnern hat aber das Ziel eines EU-Beitritts in seiner Verfassung verankert und die Bevölkerung ist Umfragen zufolge mehrheitlich dafür. Bei den seit Tagen laufenden Massenprotesten in Tiflis setzte die Polizei Wasserwerfer und Tränengas ein, über 100 Menschen wurden festgenommen.

Kallas verurteilt Gewalt gegen Demonstranten

„Wir verurteilen die Gewalt gegen Demonstranten und bedauern Signale der Regierungspartei, Georgiens Weg in die EU nicht zu verfolgen“, schrieb die EU-Außenbeauftragte Kallas am ersten Tag in ihrem neuen Amt auf dem Kurznachrichtendienst X. „Das wird direkte Konsequenzen von Seiten der EU haben“, fügte sie hinzu, ohne ins Detail zu gehen. „Wir stehen zum georgischen Volk und seiner Entscheidung für eine europäische Zukunft.“

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Die ehemalige Ministerpräsidentin von Estland ist seit Sonntag neue EU-Außenbeauftragte. An ihrem ersten Tag im Amt reiste sie mit dem neuen EU-Ratspräsidenten Antonio Costa in die Ukraine. Dort versicherten sie der Regierung am Sonntag ihre Unterstützung im Kampf gegen Russland.

Der georgische Ministerpräsident Kobachidse hatte am Samstag gesagt, Georgien werde keine Revolution wie 2014 in der Ukraine zulassen. Damals war der Russland zugewandte Präsident Viktor Janukowitsch gestürzt worden.

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Der Vertraute von Russlands Präsident Wladimir Putin, Dmitri Medwedew, schrieb am Sonntag auf Telegram, in Georgien laufe ein Revolutionsversuch. Georgien bewege sich „schnell auf dem ukrainischen Weg in den dunklen Abgrund“, erklärte der frühere Präsident, der für seine drastischen Äußerungen bekannt ist. „Normalerweise endet so etwas sehr schlecht.“ Eine offizielle Stellungnahme aus Moskau steht noch aus.

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Der georgische Ministerpräsident erklärte zu dem Aussetzen einer US-Partnerschaft mit dem Land, dies sei nur eine vorübergehende Maßnahme. Wenn Donald Trump die US-Präsidentschaft im Januar übernehme, werde Georgien Kontakt zu der neuen Regierung in Washington aufnehmen.

Unterdessen spitzte sich der Streit zwischen der pro-russischen Regierung und der Europa zugewandten Präsidentin Salome Surabischwili zu. Surabischwili hatte am Samstag angekündigt, nicht abzutreten. Die Präsidentenwahl ist für den 14. Dezember angesetzt. Das Staatsoberhaupt, das hauptsächlich repräsentative Aufgaben hat, wird von einem Wahlgremium aus Parlamentsabgeordneten und Vertretern der lokalen Regierungen bestimmt und nicht mehr direkt vom Volk.