Die Rebellen kommen in Syrien so schnell voran, dass viele Szenarien möglich scheinen. Nach eigenen Angaben stehen die islamistischen Truppen 20 Kilometer vor Damaskus. Diktator Assad sei noch in der Hauptstadt, berichtet die staatliche Nachrichtenagentur.

Die Blitzoffensive der islamistischen Rebellenallianz in Syrien verändert die Dynamik in der Region. Nach dem Fall der Millionenstadt Aleppo steht nun eine entscheidende Schlacht um die strategisch wichtige Stadt Homs bevor. Syrische Regierungstruppen hätten sich aus der Millionenmetropole zurückgezogen, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die mit einem Netz aus Informanten das Kriegsgeschehen im Land verfolgt. Regierungstreue Milizen seien jedoch weiterhin in der drittgrößten Stadt Syriens stationiert.

Nach eigenen Angaben sind Rebellen bereits in Homs im Einsatz. In einer Mitteilung der islamistischen Gruppe HTS hieß es, Kräfte, die hinter den feindlichen Linien stationiert seien, hätten mit „Spezialoperationen“ im Stadtgebiet begonnen. Gleichzeitig gebe es einen massiven Angriff von mehreren Seiten.

Militärchef der Islamisten: Stehen 20 Kilometer vor Damaskus

Die Kämpfer sind nach eigenen Angaben außerdem bis auf rund 20 Kilometer an die Hauptstadt Damaskus herangerückt. Hassan Abdel Ghani, ein Militärchef der Islamisten, teilte am Samstag der Nachrichtenagentur AFP mit: „Wir sind jetzt weniger als 20 Kilometer vom südlichen Zugang der Hauptstadt Damaskus entfernt.“ Syriens staatliche Nachrichtenagentur meldet unterdessen, Präsident Baschar al-Assad bleibe in Damaskus. Er übe seine Tätigkeit in der Hauptstadt aus, so die Agentur.

Aus Sicherheitskreisen im benachbarten Irak verlautete, die dortigen Behörden hätten „hunderten“ syrischen Soldaten, die desertiert seien, die Einreise erlaubt. Mehrere der über den Grenzübergang Al-Kaim eingereisten Deserteure seien verletzt.

Die Vereinten Nationen ziehen nicht notwendiges Personal aus Syrien ab. Das teilte ein Sprecher mit. Die UN würden aber weiterhin ihre Dienste in dem Bürgerkriegsland bereitstellen, um das syrische Volk in dieser schwierigen Situation zu unterstützen.

Der überraschend schnelle Vormarsch der Aufständischen bereitet auch Israel zunehmend Sorgen. Die israelische Armee (IDF) verstärkt angesichts des Vormarsches syrischer Rebellen auch in unmittelbarer Nähe der Grenze zu Israel seine Truppen auf den Golanhöhen. „Entsprechend der Lagebeurteilung beruft die IDF zusätzliche Kräfte für Verteidigungsaufgaben in der Region der Golanhöhen an der israelisch-syrischen Grenze ein“, teilte die Armee auf Telegram mit. Angaben zum Umfang der Verstärkungen machte die Armee auch auf Anfrage hin zunächst nicht. Es war bereits die zweite Ankündigung dieser Art binnen 24 Stunden.

Israel stellt sich auf Armee-Kollaps ein

Der Staat stellt sich Medienberichten zufolge auch auf einen möglichen Kollaps der syrischen Armee ein. Die israelische Zeitung „Haaretz“ berichtete, Israel bereite sich auch auf die Möglichkeit eines Überraschungsangriffs aus der syrischen Grenzregion heraus vor. Die Golanhöhen, ein strategisch wichtiges Felsplateau, waren im Sechstagekrieg 1967 von Israel erobert und 1981 annektiert worden. Nach internationalem Recht gelten die Gebiete als von Israel besetztes Territorium Syriens.

Am 27. November war der Bürgerkrieg in Syrien mit der Offensive der Islamisten-Allianz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) plötzlich wieder aufgeflammt. Das Bündnis strebt den Sturz der syrischen Regierung an. Neben mehr als 200 Dörfern und Positionen nahmen die Rebellen zuletzt die Stadt Hama ein. Seit dem Wiederaufflammen des Bürgerkriegs, der ursprünglich schon 2011 begann, wurden laut Vereinten Nationen mindestens 370.000 Menschen vertrieben.

Derweil setzten Rebellengruppen auch im Süden Syriens ihre Vorstöße fort. Dort übernahmen Aufständische laut Aktivisten die Kontrolle weiter Teile des symbolträchtigen Gouvernements Daraa. Die Armee gab daraufhin am Samstag eine „Neuaufstellung“ ihrer Kräfte in Daraa und Suweida bekannt. Dort errichteten die Truppen derzeit einen „Sperrbezirk“, nachdem „terroristische Elemente entlegene Kontrollpunkte der Armee angegriffen“ hätten, erklärte der Generalstab der syrischen Armee laut Staatsmedien am Samstag.

Die syrische Regierung kann in ihrem Kampf gegen die Rebellen weiter auf russische Unterstützung zählen. Russlands Luftwaffe zerstörte nach eigenen Angaben gemeinsam mit syrischen Kampfflugzeugen in den Provinzen Idlib, Hama und Aleppo Stellungen und Munitionsdepots der Rebellen. Dutzende Einheiten Militärtechnik und 200 Terroristen seien „vernichtet“ worden, sagte ein Luftwaffenoffizier der russischen Nachrichtenagentur Interfax. Die Angaben konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden.

Russland, das Machthaber Baschar al-Assad im Bürgerkrieg ebenso unterstützt wie der Iran, hat neben Militärflugzeugen auch Kriegsschiffe in Syrien stationiert. Seit Beginn der überraschenden Offensive der syrischen Rebellenallianz betonte die russische Führung mehrfach, weiter fest an der Seite Assads zu stehen.

Irans Außenminister Araghtschi nahm unterdessen wie angekündigt in Katar an einem Treffen zur Lage in Syrien mit seinen Amtskollegen aus Russland und der Türkei teil. Der Iran und Russland sind wichtige Verbündete Assads. Die Türkei teilt eine lange Landgrenze mit Syrien und hat fast drei Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen. Ankara unterstützt seit Jahren Aufständische im Norden Syriens, hatte sich zuletzt jedoch um eine Annäherung an Damaskus bemüht. Araghtschi sprach von einem “sehr offenen Gespräch“ mit seinem türkischen Kollegen Hakan Fidan. Der russische Chefdiplomat Sergej Lawrow sagte, es wäre „inakzeptabel“, wenn eine terroristische Gruppe Syrien kontrollieren sollte.

Angesichts der Lage in Syrien rief nach den USA und Russland nun auch die Regierung des Nachbarstaats Jordanien seine Staatsbürger auf, das Land “schnellstmöglich„ zu verlassen. Zuvor hatte Jordanien bereits den einzigen aktiven Grenzübergang zu Syrien geschlossen. Einem Bericht der “New York Times„ zufolge begann sogar der mit Assad verbündete Iran, sein diplomatisches Personal aus dem Land auszufliegen.

Unbestätigten israelischen Medienberichten zufolge befürchten die israelische Regierung und die Militärführung, dass Chemiewaffen des syrischen Machtapparats oder Material und Wissen für deren Herstellung in die Hände der Rebellen oder proiranischer Milizen fallen könnten. In einem solchen Fall könnte sich Israel gezwungen sehen, vorsorglich militärisch einzugreifen, hieß es. Die israelische Armee verweigerte auf Anfrage einen Kommentar zu Berichten, wonach die Luftwaffe in den vergangenen Tagen bereits Lager für Chemiewaffen in Syrien bombardiert haben soll.

dpa/AFP/cuk/sara/krö/con