In der Bundeswehr-Spitze sieht man Deutschland angesichts russischer Bedrohungen in einer besonderen Rolle – und warnt vor einem trügerischen Sicherheitsgefühl.

„Früher gab es nur Null oder Eins, Frieden oder Krieg. Heute liegt dazwischen eine lange Strecke hybrider Bedrohungen“, sagte Generalleutnant André Bodemann. „Wir befinden uns schon lange nicht mehr im Frieden, weil wir täglich bedroht und auch attackiert werden.“ Bodemann ist Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr. Im Vorfeld einer für März geplanten Sicherheitstagung gab er dem Verein „Gesundheitsstadt Berlin“ ein Interview, aus dem der Tagesspiegel in diesem Artikel vorab zitiert.

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Insbesondere Cyber-Angriffe auf deutsche Einrichtungen werden Russland zur Last gelegt. In den letzten Jahren wurde die IT des Bundestages, der SPD-Zentrale sowie einzelner Rüstungs- und Luftfahrtunternehmen sabotiert. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Hacker für den russischen Geheimdienst arbeiteten. Seit Russlands Angriff auf die Ukraine wurden zudem regelmäßig Drohnen über Truppenübungsplätzen der Bundeswehr gesichtet – gerade dort, wo von Kiew entsandte Offiziere weitergebildet wurden. Auch hinter diesen Flügen werden Spione Moskaus vermutet, wenngleich keine Drohnenpiloten festgenommen werden konnten.

Generalleutnant André Bodemann, Befehlshaber Territoriales Führungskommando der Bundeswehr

© dpa/Carsten Koall

Aufgrund seiner geostrategischen Lage komme Deutschland nicht erst im Kriegsfalle eine „herausgehobene Rolle“ in der Verteidigung des Nato-Gebietes zu, sagte Bodemann, sondern schon in der aktuell nötigen Abschreckung. Wenn Russland an der Nato-Ostflanke – „mit dem Potenzial, das Bündnisgebiet anzugreifen“ – ein Großmanöver durchführe, brauche es zur Abschreckung viele Kräfte. Dann müsse im Sinne des Nato-Vertrags, wonach jeder Angriff auf ein Mitgliedsland als Angriff auf alle Bündnispartner verstanden werde, die „Drehscheibe Deutschland“ funktionieren.

Jammer, Störsender, Fangnetze Deutschlands Kampf gegen illegale Drohnen

Bodemann, einer der ranghöchsten Soldaten des Landes, verwies dazu auf den „Operationsplan Deutschland“. In dem aktuellen Strategiepapier skizzieren Bundeswehr-Experten die Zusammenarbeit zwischen Streitkräften, Wirtschaft, Gesundheitswesen und zivilen Organisationen.

Im Ernstfall müssten hierzulande auch alliierte Soldaten „durchgängig logistisch und medizinisch versorgt“ werden können, sagte Bodemann. An einem Mechanismus für „eine nationale Patientensteuerung im Bündnis- und Verteidigungsfall“ arbeite die Bundeswehr gerade. Kernidee sei dabei, regional unterschiedliche Patientenströme, ähnlich dem Vorgehen in der Corona-Pandemie, so zu verteilen, dass die verfügbaren Behandlungskapazitäten optimal genutzt würden.

Schussbrüche, Explosionswunden, Schäden am Rückenmark Mit diesen Verletzungen kommen ukrainische Kriegsopfer in Berliner Kliniken

Dass die deutschen Krankenhäuser nicht auf einen Katastrophen- oder Kriegsfall vorbereitet seien, hatten kürzlich Fachpolitiker und Top-Mediziner bemängelt. Müssten massenhaft Verletzte versorgt werden, drohten Personal- und Koordinierungsmängel. Das Kleeblattverfahren aus der Pandemie, auf das auch Bundeswehr-Generalleutnant Bodemann anspielt, werde in einem Bündnisfall mit Hunderten Verletzten pro Tag nicht funktionieren, hatte etwa Bayerns Ex-Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) gesagt.

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Dem in der Corona-Krise etablierten Kleeblatt-Konzept zufolge wird Deutschland wie berichtet in fünf Regionen gegliedert. Wenn in einer Region keine Krankenbetten mehr frei sein sollten, fragen Klinikleiter bundesweit nach Hilfe.