Ab sofort bekommen alle gesetzlich Versicherten eine elektronische Patientenakte (ePA) angelegt – es sei denn, sie widersprechen bei ihrer Versicherung. “Der heutige Tag markiert den Beginn eines neuen Zeitalters”, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) während einer Pressekonferenz in Berlin. Der Minister versicherte zugleich, alle bekannten Sicherheitsmängel würden bis zum bundesweiten Start beseitigt.
Die E-Akte soll ein digitaler Speicher etwa für Befunde, Laborwerte und Angaben zu Medikamenten sein und Patienten ein Leben lang begleiten. Die praktische Anwendung startet zunächst nur in drei Modellregionen.
In Hamburg mit Umland sowie in Franken sollen mehr als 250 Praxen,
Apotheken und Krankenhäuser die Alltagsverwendung testen. Eine dritte
Modellregion ist in Nordrhein-Westfalen vorgesehen. Der bundesweite
Einsatz für alle 73 Millionen gesetzlich Versicherten soll dann starten, sobald das System in den Modellregionen
stabil funktioniert. Angestrebt wird dies voraussichtlich nach vier
Wochen, also frühestens ab Mitte Februar.
Freiwillige E-Akte wurde kaum genutzt
Die elektronische Patientenakte soll die bisher an verschiedenen Orten wie Praxen und
Krankenhäusern abgelegten Patientendaten digital zusammentragen und ein
Ende der Zettelwirtschaft im Gesundheitswesen bringen. Notfalldaten,
Röntgenbilder, Arztbriefe, Befunde und Medikationspläne, aber auch der
Impfausweis, der Mutterpass oder das Untersuchungsheft für Kinder können
dann elektronisch archiviert und schnell abgerufen werden. Zuletzt
hatten Experten allerdings Zweifel an der Datensicherheit geäußert.
Als wählbare Option, um die sich Versicherte aktiv kümmern müssen, waren E-Akten bereits 2021 eingeführt worden. Das Angebot wurde jedoch kaum in Anspruch genommen. Daher wurde mit einem Gesetz der Ampelkoalition das Prinzip umgekehrt: Jetzt sollen alle eine E-Akte bekommen, außer man widerspricht dem aktiv.
Offener Brief an Gesundheitsminister Lauterbach
Mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen hatten vor einem verfrühten “Roll-out” der ePA gewarnt. Einen offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) unterzeichneten unter anderem der Verbraucherzentrale Bundesverband, der Chaos Computer Club sowie die Deutsche Aidshilfe.
Winfried Holz vom
Vorstand der Deutschen Aidshilfe äußerte deutliche Zweifel
an der Datensicherheit: “Die ePA enthält äußerst sensible Daten. Das
System darf nicht bundesweit an den Start gehen, bevor Sicherheitslücken
geschlossen und Bedenken ausgeräumt sind.” Viele Menschen mit HIV,
Geschlechtskrankheiten und anderen stigmatisierten Erkrankungen wollten
die Vorzüge der ePA nutzen, nicht jedoch ihre Diagnosen automatisch
allen medizinischen Einrichtungen mitteilen, die sie besuchten, so Holz.
Bestimmte Informationen in der ePA zu sperren, sei jedoch unzumutbar kompliziert
und erfordere viel Wissen. Es fehle eine Benutzeroberfläche, die an den
Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten orientiert sei. “Hier gilt
es dringend nachzubessern.”
Verbraucherschützer rufen zu genauer Prüfung auf
Verbraucherschützer
rieten Versicherten daher, sich aktiv mit der ePA zu befassen. “Es ist
wichtig, sich spätestens jetzt zu überlegen, ob und wie man die ePA
nutzen will”, mahnte Jochen Sunken von der Verbraucherzentrale Hamburg.
Es gehe darum, sich umfassend zu informieren und eine bewusste
Entscheidung zum Einsatz der ePA zu treffen.
Wer sich für die elektronische Patientenakte entscheide,
profitiere am meisten davon, wenn diese aktiv gepflegt werde, betonte
Sunken. “Nur wer sorgfältig abwägt und steuert, welche Daten eingestellt
werden und wer Zugriff auf welche Dokumente haben soll, hat wirklich
eine ‘versichertengeführte Akte’, wie es das Gesetz vorsieht.”
Löschung kann auch später noch beantragt werden
Werde
die E-Akte nicht aktiv gepflegt, könnten beispielsweise unerwünschte
Befundberichte und Arztbriefe eingestellt werden. “Wer das nicht möchte,
muss sich aktiv darum kümmern und dem widersprechen oder diese
Dokumente vor dem Zugriff anderer in der ePA verbergen beziehungsweise
sie im Nachhinein löschen”, erklärte Sunken.
Versicherte, die sich gegen die elektronische Patientenakte entscheiden,
können jederzeit deren Löschung beantragen, wie die Verbraucherzentrale
hervorhob. Dies sei auch möglich, wenn die ursprüngliche Frist der
Krankenkasse für einen Widerspruch bereits abgelaufen sei.
Ärzteschaft kritisiert Testphase als zu kurz
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung kritisierte die Testphase als zu kurz. Vorstandsmitglied Sibylle Steiner sagte, die ePA biete die Chance, die Gesundheitsversorgung deutlich zu verbessern. Die Testphase müsse aber dazu genutzt werden, um Kinderkrankheiten der ePA zu erkennen sowie das Zusammenspiel mit anderen elektronischen Anwendungen zu überprüfen. Grundlegend sei auch, dass Datensicherheit und Datenschutz gewährleistet seien. “Die Probleme, auf die jüngst der Chaos Computer Club hingewiesen hat, nehmen wir sehr ernst und schauen mit einem unguten Gefühl auf die doch kurze Testphase.”
Elektronische Patientenakte
Z+ (abopflichtiger Inhalt);
Elektronische Patientenakte:
“Es wäre schön, wenn wir endlich loslegen!”
Elektronische Patientenakte:
Hört auf, vom gläsernen Patienten zu reden
ePA für alle:
Potenziell 70 Millionen digitale Patientenakten für Hacker zugänglich
Der Digitalverband Bitkom nannte die elektronische Akte dagegen einen Meilenstein bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder sagte, die Patientenakte sei “das Herzstück des digitalen Gesundheitssystems”. Mit ihr würden Behandlungsprozesse verbessert, und Bürokratie werde drastisch reduziert. “Die Patientinnen und Patienten werden dadurch souveräner und mündiger.” Wichtig sei jetzt, dass auch Praxen und Kliniken Vertrauen und Akzeptanz aktiv stärkten.