Würde die Kleinstadt Pokrowsk in russische Hände fallen, käme Wladimir Putin einem seiner wichtigsten Kriegsziele einen großen Schritt näher. Der ukrainische Präsident tauscht dort jetzt zum dritten Mal binnen eines Jahres den Kommandeur der Truppen aus.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat zum dritten Mal binnen eines Jahres den Kommandeur am Frontabschnitt zur Verteidigung der strategisch wichtigen Stadt Pokrowsk im Osten ausgetauscht. Das teilte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache mit.

Demnach ernannte er den bisherigen Heeres-Befehlshaber, General Mychajlo Drapatyj, zum neuen Führer der dort eingesetzten Gruppierung „Chortizja“, deren Verantwortungsbereich einen Großteil der Ostfront der Ukraine umfasse. Gleichzeitig behalte Drapatyj die Befehlsgewalt über die Landstreitkräfte.

„Dies sind die härtesten Kampfgebiete“, sagte Selenskyj über die Region. Drapatyj soll Generalmajor Andrij Hnatow ersetzen, der seit Juni das Kommando über „Chortyzja“ innehatte. Hnatow soll stellvertretender Generalstabschef werden und für Ausbildung und Kommunikation zuständig sein. Würde Pokrowsk in die Hände der stetig vorrückenden russischen Streitkräfte fallen, kämen diese der Eroberung der gesamten Region Donezk einen großen Schritt näher – und damit einem der wichtigsten Kriegsziele des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Russische Angreifer und ukrainische Verteidiger hatten sich zuletzt im Osten der Ukraine erneut schwere Kämpfe geliefert. Insgesamt seien im Tagesverlauf 153 russische Angriffe an verschiedenen Frontabschnitten registriert worden, teilte der Generalstab in Kiew in seinem abendlichen Lagebericht mit.

Der Schwerpunkt der Kampfhandlungen lag einmal mehr rund um die Kleinstadt Pokrowsk am Rande des Donbass. Es hatte wiederholt Berichte aus der Region Pokrowsk über fahnenflüchtige ukrainische Soldaten gegeben, da angesichts der häufigen Rückschläge vielfach das Vertrauen in die militärische Führung verloren gegangen war.

Rund um Pokrowsk traten russische Einheiten im Tagesverlauf mit Artillerieunterstützung zu 70 Angriffen an verschiedenen Stellen gegen die ukrainischen Verteidigungslinien an. Die Attacken seien abgewehrt worden, hieß es. Die Angaben konnten nicht unabhängig bestätigt werden. Die Stadt ist nach russischer Darstellung bereits von drei Seiten eingekreist.

Bei russischen Artillerieangriffen wurden nach offiziellen Angaben mindestens ein Mensch getötet und vier weitere schwer verletzt. In Pokrowsk starb eine Frau, in Konstantinowka wurden vier Menschen beim Einschlag von Granaten in Wohnhäuser verletzt, teilte der regionale Militärverwalter Wadim Filaschkin auf Telegram mit.

An den Fronten rund um den Donbass setzten die russischen Militärs nach Meinung des ukrainischen Strategieexperten Andrij Ryschenko ihre operativen Aktionen fast schon planmäßig fort. „Vor allem interessiert sie Pokrowsk, das ist ein wirtschaftliches Ziel“, sagte Ryschenko im Rundfunk. „Es ist ja bekannt, dass sich dort mehrere Kohleschächte befinden.“ Daher sei die Eroberung der Stadt für Russland schon aus wirtschaftlicher Sicht wichtig.

Ukraine soll russisches Drohnendepot angegriffen haben

Die Ukraine griff nach Darstellung aus Kiew mit Kampfdrohnen auf russischem Staatsgebiet ein Depot mit Drohnensprengköpfen an. Nach der Attacke auf das Gebäude in Orjol in Zentralrussland sei eine starke Sekundärexplosion registriert worden, teilte der Generalstab in Kiew auf Facebook mit. Damit seien rund 200 sogenannte Schahed-Kamikazedrohnen außer Gefecht gesetzt worden, hieß es.

Die Angaben aus Kiew konnten nicht unabhängig geprüft werden. Von russischer Seite gab es dazu keine Erklärung. Orjol liegt knapp 350 Kilometer südwestlich von Moskau. Die ukrainischen Streitkräfte greifen seit einiger Zeit Militärstützpunkte, Raffinerien und Munitionsdepots auf russischem Staatsgebiet mit Raketen und weitreichenden Drohnen an, um die Versorgung der in der Ukraine eingesetzten Streitkräfte Russlands zu erschweren.

Das russische Militär startete am Sonntagabend erneut größere Drohnenschwärme in Richtung Ukraine. Die Gruppen von unbemannten Fliegern wurden von der ukrainischen Flugabwehr in verschiedenen Regionen gesichtet – in Cherson im Süden, in Charkiw im Osten sowie Poltawa in der Zentralukraine. Auch in der Region Kiew wurden der dortigen Militärverwaltung zufolge feindliche Drohnen registriert.

dpa/Reuters/gub