Dritter Teil der WELT-Serie zur Krise der Wirtschaft. Deutschland muss zu einer wirtschaftsfreundlichen, leistungsorientierten Politik zurückfinden, schreibt Hildegard Müller, die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie.
Deutschland als international gefeiertes Beispiel für eine funktionierende soziale Marktwirtschaft mit Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätzen – das war einmal. Inzwischen sind wir in Europa und international zum Problemfall geworden: Zu einem Beispiel für eine Wirtschaftspolitik, die teils richtige Ziele, fast immer aber auf die falschen Instrumente gesetzt hat – und die innovative Veränderung durch überbordende Regulierung erstickt.
In diesem noch jungen Jahr 2025 gibt es kein Erkenntnisproblem mehr. Deutschland ist in Sachen Wettbewerbsfähigkeit und Standortattraktivität international abgehängt. Und auch die Politik, die in den vergangenen Jahren in Brüssel verfolgt wurde, hat es nicht geschafft, Wachstum, Klimaschutz und Menschen miteinander zu vereinen – im Gegenteil.
Jetzt haben wir einen neuen alten US-Präsidenten – und bekommen schonungslos die deutschen und europäischen Schwächen und Versäumnisse vor Augen geführt. Es ist schlichtweg fahrlässig, wie wenig Berlin und Brüssel in den vergangenen Jahren getan haben, um sich auf diesen Moment vorzubereiten.
Nun muss endlich allen klar sein, wie entscheidend wirtschaftliche Stärke jetzt und in Zukunft sein wird. Dass es ebendiese wirtschaftliche Stärke ist, die uns international Einfluss und Relevanz sichert, die uns die Möglichkeit gibt, auf Augenhöhe zu verhandeln und unsere Interessen – wirtschaftlich sowie werteorientiert – durchzusetzen. Dabei gilt: Unsere Stimme und Wirkung ist schwach, wenn sie eben nicht mit entsprechender wirtschaftlicher Schlagkraft daherkommt. Das alles ist eigentlich keine neue Erkenntnis – wir erleben gerade vielmehr das Ende des Verleugnens von Realitäten, das Ende eines Wunschdenkens.
Donald Trump ist also ein Auftrag an Deutschland und Europa, eigenverantwortlicher zu handeln, Wirtschafts- und Geopolitik gemeinsam zu denken und Wachstum wieder in den politischen Fokus zu nehmen. Wir sind spät dran – obwohl wir jetzt umso mehr als starke Stimme, als Verfechter für den freien und globalen Handel gebraucht werden. Viele Investitionen in die Zukunft sind für Deutschland unterdessen schon verloren, sind an andere Standorte gegangen.
Was heißt das alles? Deutschland braucht den Neustart. Wir brauchen einen umfassenden Mentalitätswandel und wirtschaftspolitischen Politikwechsel, um Wachstum sowie Wohlstand zu erhalten und Klimaschutz zu erreichen. Das geht nur mit umfassenden wirtschaftlichen Reformen und international wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen: Standortattraktivität und Wettbewerbsfähigkeit müssen Leitmotiv für Berlin und Brüssel sein. Und es muss verstanden werden: Dekarbonisierung wird nur dann wirtschaftlich funktionieren und international vermittelt werden können, wenn damit auch profitable Geschäftsmodelle entwickelt werden können.
Schon seit Monaten erreichen uns täglich Meldungen über Verlagerungen, Wegfall von Arbeitsplätzen und schlechte Wirtschaftszahlen – das ist erst der Anfang einer sich verschlimmernden Entwicklung, wenn jetzt nicht massiv gegengesteuert wird. Die Ursachen sind bekannt, Vorschläge zur Verbesserung der Rahmenbedingungen liegen auf dem Tisch. Es geht darum, wo die Zukunft unserer Wirtschaft – und damit auch unserer erfolgreichen weltweit hoch angesehenen Autoindustrie zu Hause sein wird. Es mangelt nicht an klugen Köpfen, hohen Investitionen und weltweit einzigartigen Innovationen – das alles beweisen wir täglich aufs Neue. Doch leider können wir es immer seltener hier in Deutschland beweisen.
Ein Beispiel: Allein von 2025 bis 2029 werden unsere Unternehmen rund 320 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung investieren. Hinzu kommen etwa 220 Milliarden Euro in Sachinvestitionen, insbesondere in die Werke. Die Investitionen der deutschen Automobilindustrie in die digitale und klimaneutrale Mobilität der Zukunft steigern sich damit noch einmal deutlich.
Alarmierend: Inzwischen ist ihr Hauptanteil auf Engagements der deutschen Firmen im Ausland zurückzuführen. Die Sachinvestitionen in Deutschland hingegen befanden sich 2023 gerade mal auf dem Niveau von 2016 und waren damit von dem Höchststand 2019 weit entfernt. Diese besorgniserregenden Zahlen sind umso gravierender, wenn man bedenkt, dass 70 Prozent der Arbeitsplätze unserer Industrie abhängig vom Export sind. Hier droht ein sehr großes Problem mit unabsehbaren Folgen für viele Regionen Deutschlands.
Die Ursache für diese negative Entwicklung ist einfach auszumachen: Es ist der Standort. Energiepreise, die drei bis fünf Mal höher sind als in China oder den USA, bürokratische Auflagen, die inzwischen mehr als ein Fünftel der Arbeitszeit in Unternehmen beanspruchen oder auch eine Digitalpolitik, die alles durchdefinieren und durchregulieren will und somit Innovation verhindert und Unternehmen fesselt. Hinzu kommt, dass wir in Sachen Steuerbelastung die weltweiten Listen anführen – bei Arbeitskosten ebenso. Das alles, während weltweit die Produktivität anzieht – und bei uns stagniert.
Die Liste der Problembereiche ist lang, die Liste der möglichen Lösungen aber ebenso: mehr Investitionen in (digitale) Infrastruktur, in Digitalisierung und erneuerbare Energien und in Bildung. Ein massiver Bürokratieabbau sowie ein verpflichtender Digital- und Praxis-Check bei jedem neuen Gesetz. Es braucht einen Mentalitätswandel hinsichtlich des Umgangs mit Herausforderungen, mehr Mut und dabei gleichzeitig mehr Pragmatismus.
Im Klartext: Wir brauchen den Mentalitätswandel und Politikwechsel, und wir brauchen jetzt ein entschlossenes Handeln der (neuen) deutschen Bundesregierung. Wir brauchen auch wieder eine gestaltende deutsche Stimme in Brüssel. Die aktuelle Situation ist mehr als schwierig – doch die Trendwende ist machbar: mit einer marktorientierten Aufbruchs-Wirtschaftspolitik aus Berlin und Brüssel. Unsere Industrie ist bereit. Wir wollen unser Potenzial in vollem Umfang entfalten – gerne in Deutschland.
Jetzt muss die Chance ergriffen werden, zurück zu einer wirtschaftsfreundlichen, leistungsorientierten Politik zu finden, die Innovationen „Made in Germany“ fördert. Zu einer Politik, die Deutschland und Europa wieder an die wirtschaftliche Spitze und in eine einflussreiche Position auf der weltpolitischen Bühne bringt.
Hildegard Müller ist Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA).