Wie viel Prozent der deutschen Beamten denn eigentlich bis zur gesetzlichen Altersgrenze arbeiteten, wollte Günther Jauch am Sonntagabend im TV-Quadrell von RTL und N-tv von den vier aussichtsreichsten Kandidaten auf das Kanzleramt wissen. Fiese Frage.
Entsprechend erntete der Moderator von allen zunächst eine Kunstpause. Zur Auswahl standen in Quizshow-Optik: 20, 40, 60 und 80 Prozent. Robert Habeck (Grüne) legte sich auf 60 Prozent fest, Friedrich Merz (CDU) und Alice Weidel (AfD) tippten auf 40, Olaf Scholz auf 20 – und der SPD-Politiker behielt recht.
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Immerhin ein kleiner Erfolg für den Noch-Kanzler, derer gibt es dieser Tage schließlich auch nicht so viele.
Dass das Thema Rente in diesem Wahlkampf trotz aller Dringlichkeit dramatisch unterbelichtet wird, ist allerdings nicht neu. Ebenso wenig, dass die jeweiligen Spitzenkandidaten auf Nachfragen dazu eher schmallippig reagieren.
„Ungerecht“ sei die Regelung
Dennoch trat Jauchs Frage eine Debatte los über das Renteneintrittsalter, die vermeintlichen Privilegien von Beamten und die Frage: Wie gerecht ist das eigentlich?
Kaum 24 Stunden später nutze AfD-Chefin Weidel in der „Wahlarena“ der ARD die Vorlage, um eine Spitze gegen das deutsche Beamtentum zu setzen. Und Grünen-Kandidat Habeck versuchte zwar minutenlang erfolglos, auf das komplizierte Kleingedruckte in der Rentenfrage zu verweisen. Wurde dann aber von einem aufgebrachten Zuschauer zu der Aussage genötigt, dass die derzeitige Regelung „ungerecht“ sei.
79
Prozent der Renteneintritte von Beamten erfolgten 2023 vor der gesetzlichen Frist
Aber wie ist die Lage wirklich, wie groß die Privilegien? Fakt ist: Laut dem Statistischen Bundesamt gingen im Jahr 2023 rund 57.600 Beamte in Rente. Und ziemlich genau 46.500 von ihnen taten dies vor Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze – das macht 79 Prozent.
Die Regelaltersgrenze wird derzeit schrittweise von 65 auf 67 Lebensjahre angehoben, 2023 lag sie für alle vor 1959 Geborenen bei 66 Jahren. Unter den fast 80 Prozent, die früher ausschieden, taten das die meisten bereits wesentlich früher, nämlich durchschnittlich im Alter von 63 Jahren und neun Monaten.
So lief die Wahlarena in der ARD Ein Pfarrer gegen Weidel – Scholz mit Galgenhumor
Unter regulären Arbeitnehmern lag der Anteil der Frührentner zuletzt deutlich niedriger – wenn auch im internationalen Vergleich weiterhin auf einem hohen Niveau. Laut Daten der Deutschen Rentenversicherung beantragten in den vergangenen Jahren rund die Hälfte der Beschäftigten den Ruhestand vor dem eigentlichen Eintrittsalter.
Das Ruhegehalt lohnt sich
Doch woran liegt es, dass Deutschlands Beamte so häufig ins „Ruhegehalt“ wechseln, wie die Rente bei ihnen heißt?
Einerseits, weil unter ihnen besonders viele wegen einer festgestellten Dienstunfähigkeit in den Ruhestand gehen, im Jahr 2023 etwa 18 Prozent aller Neurentner. Das ermöglicht ihnen eine Rente mit Abzügen und einen Eintritt weit vor Frist. Darunter fallen auch Beamte mit körperlich wie psychisch besonders fordernden Jobs, etwa Polizisten oder Feuerwehrleute.
Der gewichtigere Grund ist jedoch womöglich, dass sich die Rente für Beamte finanziell lohnt. Während „normale“ Arbeitnehmer zuletzt nach 45 Versicherungsjahren im Schnitt 1543 Euro im Monat bezogen, kamen Beamte auf mehr als das Doppelte, nämlich 3240 Euro. Ein „Ruhegehalt“, für das wohlgemerkt nicht die Beschäftigten selbst aufkommen, sondern die Steuerzahler.

Hält die Rentenbezüge von Staatsdienern für „ungerecht“: Grünen-Kanzlerkandidat bei seinem Auftritt in der ARD-Sendung „Wahlarena“.
© dpa/Kay Nietfeld
Angesichts dessen könnte man leicht auf die Idee kommen, dass es sich um eine Neiddebatte handelt. Schließlich haben Beamte auch im Alter ein komfortables Auskommen. Zumal sich der Beitrag zur privaten Krankenversicherung für Beamte mit dem Ruhestand noch einmal reduziert – auf im Schnitt 256 Euro pro Monat. Gleichzeitig reicht die Rente für immer mehr regulär Beschäftigte bestenfalls noch für das Gröbste.
Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn tatsächlich stellen die Beamten für den deutschen Staat eine besondere Belastung dar, während dieser das Geld eigentlich dringend für andere Baustellen bräuchte – etwa die marode Infrastruktur oder das rostige Militär.
Staatliche Investitionen stagnieren
Anfang 2023 bezogen rund 1,4 Millionen Deutsche eine Beamtenrente, was die Staatskasse 53,4 Milliarden Euro pro Jahr kostete. Nimmt man die Zuwendungen für Hinterbliebene dazu, die sich noch einmal auf 8,4 Milliarden pro Jahr beziffern lassen, verschlingen die Renten für ehemalige Staatsdiener ganze 1,6 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts.
Zum Vergleich: Im selben Jahr gab es in Deutschland zwanzigmal so viele reguläre Rentner – welche die Deutsche Rentenversicherung aber nur rund fünfmal so viel kosteten wie die Beamten.
Mittelfristig führt an einer Erhöhung auf 70 Jahre kein Weg vorbei, bei Beamten wie abhängig Beschäftigten.
Ökonom Alexander Kritikos zur Entwicklung des Renteneintrittsalters
Diese Kosten werden zunehmend zum Problem. Seit Jahren fällt beispielsweise auf, dass die staatlichen Investitionen stagnieren, etwa in die Infrastruktur oder die Bildung. Gleichzeitig haben die staatlichen Einnahmen nahezu jährlich stark zugenommen und immer wieder Rekordwerte erreicht. Wie passt das zusammen?
„Diese Einnahmenzuwächse sind ausschließlich in den staatlichen Konsum gegangen, in Renten und Beamtenpensionen zum Beispiel“, sagt Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Der Ökonom sieht in diesen Kosten eine der wichtigsten Stellschrauben für die nächste Bundesregierung, wie er sagt: „Wenn also die nächste Bundesregierung nach finanziellen Spielräumen sucht, muss es darum gehen, den staatlichen Konsum zu reduzieren.“

Alexander Kritikos ist Forschungsdirektor „Entrepreneurship“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
Kritikos schlägt deshalb vor, frühzeitige Pensionierungen von Beamten nicht mehr zu ermöglichen – oder nur unter sehr viel höheren Abschlägen. Ebenso sollte seiner Meinung nach die Pensionierung mit 63 Jahren bei abhängig Beschäftigten, die 45 Jahre gearbeitet haben, abgeschafft werden.
Und auch beim Renteneintrittsalter wünscht sich der Experte eine klare Reform: „Mittelfristig führt an einer Erhöhung auf 70 Jahre kein Weg vorbei, bei Beamten wie abhängig Beschäftigten“, sagt er.
Der Beamtenbund winkt ab
Der Deutsche Beamtenbund lehnt derlei Forderungen erwartungsgemäß ab, ebenso wie Vorschläge einer Eingliederung der Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung: „Forderungen nach einer solchen Zwangs-Einheitsversicherung erteilen wir eine klare Absage“, ließ der Interessenverband bereits am Montag mitteilen.
Hoffnungen auf „Einnahmesteigerungen und Ausgabeneinsparungen“ seien nach Ansicht des Beamtenbundes ohnehin nicht erfüllbar: „Eine Einbeziehung der Beamtinnen und Beamten in die Gesetzliche Rentenversicherung hätte zur Folge, dass die Dienstherrn den Arbeitgeberanteil zur Rentenversicherung zusätzlich zu tragen hätten und zugleich die Bruttobezüge der Beamtinnen und Beamten im Hinblick auf eine Beitragspflicht angehoben werden müssten“, so ein Sprecher.
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Kurz: Der Versuch, bei den Beamten zu sparen würde wohl Unsummen kosten. Das gab auch Habeck am Montagabend in der „Wahlarena“ zu bedenken, als er auf bestehende Rechtsansprüche verwies und verschiedene Säulen der Rente umschrieb.
Um dann doch noch in Aussicht zu stellen, dass „es durchaus möglich“ sei, diesen Zustand zu ändern.