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Berliner Runde im Fernsehen am Wahlabend. Olaf Scholz (links) und Friedrich Merz sitzen nebeneinander

Versteinerte Minen der beiden ehemaligen Kontrahenten in der „Berliner Runde“ am Wahlabend – Ex-Kanzler Olaf Scholz (SPD) und seinen Herausforderer Friedrich Merz (CDU) trennen Welten. Aber die Sieger-Partei CDU scheint sich in einer Koalition mit der SPD doch gut aufgehoben zu fühlen. © IMAGO Thomas Imo

Friedrich Merz streckt die Hand aus. Die SPD steht vor einer schwierigen Entscheidung. Welche Rolle spielt das Soziale?

Berlin – Friedrich Merz äußerte sich mit den Worten: „Ich biete Ihnen an, lassen Sie uns das zusammen machen. Wir müssen dieses Problem lösen,“ und bezog sich dabei auf die Migration. Sein damaliger Gesprächspartner war der Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD. Inzwischen haben sich die politischen Gegebenheiten verändert. Merz streckt erneut die Hand aus, doch „Bundeskanzler Olaf Scholz, der Merz im Wahlkampf hart angegangen war, wird bei den Koalitionsverhandlungen keine Rolle mehr spielen“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) berichtet. Dies bedeutet, dass die Verhandlungen ohne persönliche Spannungen zwischen den beiden Politikern stattfinden, obwohl es dennoch genügend Konfliktpotenzial gibt.

Die bevorstehende Koalition wird eher eine „MiKo“ als eine „GroKo“ sein, da die SPD mit 16,41 Prozent der Stimmen nur die drittstärkste Kraft hinter der AfD ist. Die Sozialdemokraten werden in der Regierung eine untergeordnete Rolle spielen und für die CDU eher als das kleinere Übel gelten. Eine Zusammenarbeit mit der SPD sei keine „Liebesehe“, wie die Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl vom ZDF zitiert wird. Sie sieht vor allem im Haushalt und im sozialen Bereich mögliche Hindernisse für eine Einigung.

„GroKo“ und Migration: „Bei keinem anderen Thema so verhakt wie bei diesem“

In der Migrationsfrage sind die Fronten besonders verhärtet: „Bei keinem anderen Thema so verhakt wie bei diesem“. Die SPD kritisiert Merz scharf, insbesondere wegen eines „CDU/CSU-Antrags zur Migrationspolitik, der mit den Stimmen der AfD-Fraktion eine Mehrheit im Bundestag bekommen“ hat. Dies wird als „historischen Tabubruch“ angesehen, da die Union damit den Konsens aufkündigt, nicht mit Rechtsextremen zusammenzuarbeiten. Ein Konsens zwischen den Parteien scheint in dieser Frage schwer erreichbar.

„Bei keinem anderen Thema hatten sich Union und SPD im Wahlkampf so verhakt wie bei diesem“, schreiben Mona Jaeger und Matthias Wyssuwa in der F.A.Z. Lars Klingbeil von der SPD betonte in einem Interview mit der Bild: „Es gibt eine rote Linie, über die gehen wir nicht rüber“. Diese Haltung wird er wohl auch in einer möglichen Koalition beibehalten. Obwohl Merz von einigen seiner ursprünglichen Pläne abgerückt ist, bleibt ein Punkt für die Union unverhandelbar: „die Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen“.

Wahlsieg der CDU: Die SPD muss in etwaigen Koalitionsverhandlungen das „S“ im Namen verteidigen

Ein weiteres Konfliktfeld ist die Finanzplanung. Merz betont: „Wir müssen uns zunächst einmal jetzt darauf konzentrieren, für die nächsten drei bis vier Jahre zwei Prozent mindestens zu erreichen“, um den Verteidigungshaushalt zu konsolidieren oder auszubauen, möglichst ohne neue Schulden. Die Mittel dafür sollen aus Bereichen wie Kultur, Bildung und Soziales kommen. Das Bürgergeld, ein zentrales Projekt der SPD, steht dabei zur Disposition. Merz möchte das Fordern in den Vordergrund rücken und die Sanktionen verschärfen, was die SPD in ihrer Wählerschaft Sympathien kosten könnte.

Diese bekannten Politiker sitzen jetzt nicht mehr im Bundestag

Michael Müller (SPD), Bijan Djir-Sarai (FDP), Sahra Wagenknecht (BSW) und Christian Lindner (FDP) sitzen alle nicht mehr im Bundestag. (Montage: red)

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Rolf Mützenich von der SPD deutete an, dass seine Partei zu einer Reform des Bürgergelds bereit wäre, um Missbrauch zu verhindern. Er sagte, „ein Teil der Ukraine-Flüchtlinge habe offenbar „einen Mehrwert abgeschöpft, der nicht gerechtfertigt“ sei. „Sollten wir Gelegenheit dazu haben, würden wir in einer neuen Regierung nachsteuern“. Die Union müsste ebenfalls bei der Finanzierung nachjustieren. Mehr Kredite sind kein völliges Tabu mehr, doch „am Anfang kommt das Einsparpotenzial, kommt das Wachstum und kommen wirklich mal Umschichtungen im Haushalt, die dringend notwendig sind.“

CDU contra SPD: „Durch Vermittlung von Bürgergeld-Beziehern in Arbeit ließen sich viele Milliarden sparen“

Matthias Middelberg von der Union sieht Einsparpotenzial: „Allein durch die Vermittlung von Bürgergeld-Beziehern in Arbeit und durch eine Reduzierung der Asyl-Migration ließen sich deshalb schon viele Milliarden sparen“. Diese Ansicht steht im Widerspruch zu den bisherigen Erfahrungen mit der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen, die zur Einführung des Bürgergeldes führten. Eine erneute Reform könnte die Herausforderungen der Hartz-IV-Ära wieder aufleben lassen.

Kurt Kister schrieb 2017: „Wer eine große Koalition halbwegs erfolgreich führen will, muss eher gelassen sein“. Ein zu dominantes Auftreten könnte zu häufigen Konflikten führen. Anders als bei Angela Merkel und Olaf Scholz werden nun ausgeprägtere Egos verhandeln.

Bürde des Bundeskanzlers: Die „GroKo“ ist eine nostalgische Illusion alter Bundesrepublikaner

Eine „GroKo“ hat in Deutschland selten große Erfolge erzielt. Sie deckt die Mitte ab, verzichtet aber auf echte Innovationen: „Was sich im ehrwürdigen Begriff der Großen Koalition spiegelt, ist eine nostalgische Illusion alter Bundesrepublikaner – nämlich jene, dass CDU/CSU und SPD als große Volksparteien die ganze Bandbreite der Gesellschaft abdecken“.

Eine neue „GroKo“ müsste sich mit der Herausforderung auseinandersetzen, dass die Illusion einer breiten Mitte an den Rändern an Farbe gewinnt. Die AfD wäre auf der rechten Seite der eigentliche Juniorpartner, während die Linke sich den Grünen angenähert hat. Die „GroKo“ hätte nur eine knappe Mehrheit von 328 Sitzen, was wenig Spielraum für abweichende Meinungen lässt. Nico Fried beschreibt im Spiegel die Beziehung zwischen Union und SPD treffend: „Union und SPD lehnen sich aneinander wie zwei Betrunkene.“