Grünen-Außenpolitiker Hofreiter rät: Man müsse die Hoffnung, Trump im Konflikt mit Putin noch auf Europas Seite zu ziehen, begraben. Nötig sei ein Verteidigungsfonds über eine halbe Billion Euro. Er warnt vor Risiken, sollte sich das Verhältnis zu den USA weiter verschlechtern – etwa bei der Terrorabwehr.

Anton Hofreiter (Grüne), 55, ist Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union im Bundestag.

WELT: Herr Hofreiter, bisher hat die Nato unseren Schutz in Europa garantiert. Können wir uns darauf noch verlassen, nachdem US-Präsident Donald Trump eine transatlantische Gewissheit nach der anderen aufkündigt?

Anton Hofreiter: Nein, das ist vorbei. Wir dürfen uns nichts vormachen. Wir können uns nicht mehr auf den Schutz der Nato verlassen, in der die USA bisher wesentlich waren. Donald Trump hat klar zu erkennen gegeben, dass er stärker auf Putins Seite als auf der Seite der europäischen Demokratien oder der angegriffenen Ukraine steht. Die Hoffnung, dass man ihn mit dieser oder jener Maßnahme, etwa höheren Militärausgaben, noch auf die Seite Europas ziehen könnte, müssen wir begraben. Wir müssen als Europäer deshalb selbst so viel investieren, dass Frieden und unsere Sicherheit gewährleistet sind.

WELT: Erkennen Sie hinter Trumps Handeln eine Strategie?

Hofreiter: Dazu gibt es unterschiedliche Theorien. Manche sagen, er handele gar nicht so irrational, wolle mit Russland und China die Welt in unterschiedliche Einflusssphären aufteilen. Ich glaube, dass es sich bei Trump um einen imperialen Autokraten handelt. Demokratie hält er für eine defizitäre Staatsform. Seine Vorstellungen laufen auf eine von Oligarchen geprägte neofeudale Herrschaft hinaus.

WELT: Wenn das so wäre, in welche Einflusszone fiele dann Europa?

Hofreiter: Das ist Trump offenbar egal. Er ist offenbar bereit, große Teile Europas der russischen Einflusszone zu überlassen. In völliger Verkennung, dass die Europäische Union noch immer der wichtigste Wirtschaftsmarkt der Welt ist. Insofern handelt er gegen amerikanische Interessen. Aber das hilft uns nicht weiter. Wir müssen uns gegen diese imperialen Ideologien verteidigen.

WELT: Nun will Trump die Militärhilfe für die Ukraine aussetzen. Bevor wir zu den politischen Konsequenzen kommen, was bedeutet das konkret für die Verteidigung des Landes?

Hofreiter: Das bringt die ukrainische Armee in große Schwierigkeiten. Sie war massiv auf die militärische Hilfe aus den USA angewiesen. Die Armee steht bereits jetzt unter großem Druck. Trumps Lieferstopp bedeutet konkret, dass mehr Menschen in der Ukraine sterben müssen. Gleichzeitig hat Trump die Wahrscheinlichkeit, dass Putin weitere europäische Länder angreift, damit deutlich erhöht.

WELT: Viele europäische Staatenführer haben sich rhetorisch auf die Seite des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gestellt. Aber Rhetorik hält an der Front keine Russen auf. Was muss nun passieren?

Hofreiter: Europa muss sofort ein großes militärisches Unterstützungspaket für die Ukraine auflegen. Die Waffen dazu müssen wir weltweit einkaufen. Dazu müssen wir umgehend die eingefrorenen Vermögen russischer Oligarchen einsetzen, das sind etwa 200 Milliarden Euro.

WELT: Wird das reichen?

Hofreiter: Nein. Europa braucht einen eigenen Verteidigungsfonds im Umfang von mindestens 500 Milliarden Euro. Die militärische Sicherheit Europas und die Abschreckung müssen oberste Priorität haben.

WELT: Selenskyj beugt sich nun offenbar dem Druck Trumps. Er sei zu Friedensverhandlungen bereit, sagte Trump in seiner Rede vor dem Kongress. Ein gutes Zeichen?

Hofreiter: Es ist ein gutes Zeichen, wenn die Ukraine mit am Tisch sitzt. Doch ich bin vorsichtig. Wir müssen schauen, was Trumps Verhandlungsbereitschaft bedeutet. Ist er bereit für echte Sicherheitsgarantien? So oder so sollte Europa unabhängig von den USA handeln und schnell die Ukraine umfassend auch militärisch unterstützen.

WELT: Nun haben sich Union und SPD überraschend schnell auf Finanzierungsfragen geeinigt. Für Wirtschaft und Infrastruktur soll ein sogenanntes Sondervermögen von 500 Milliarden Euro aufgelegt werden. Die Verteidigungsausgaben sollen vor dem Hintergrund der aktuellen Bedrohungslage ab einer Höhe von einem Prozent der Wirtschaftsleistung von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Sind Sie einverstanden?

Hofreiter: Die Ausnahme betrifft im Haushalt nur den Einzelplan 14. Wichtige Sicherheitsfragen sind darin gar nicht enthalten, wie Cyberabwehr oder Satelliten. Hier haben wir ein Riesenproblem: Von den 13.000 Satelliten im All sind fast 9000 unter Kontrolle der USA. Und davon sind wiederum fast 8000 unter Kontrolle von Elon Musk. Von diesen Abhängigkeiten müssen wir uns in Windeseile befreien. Mittelfristig müssen außerdem die wirtschaftliche Transformation und der Klimaschutz berücksichtigt werden. Beides trägt elementar zu unserer Sicherheit bei.

WELT: Im Bundestag und im Bundesrat werden für die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit auch die Stimmen der Grünen gebraucht. Wo sehen Sie Änderungsbedarf, wo gehen Sie mit?

Hofreiter: Neben den bereits genannten Punkten müssen wir uns für ein Hilfspaket für die Ukraine einsetzen. Es geht dabei nicht nur um die Sicherheit der Ukraine, sondern um unsere eigene Sicherheit in ganz Europa. Wenn die Ukraine kapitulieren muss, ist die Gefahr groß, dass Putin weitere Länder angreift.

WELT: Die Geheimdienste der USA haben uns immer wieder vor Terrorangriffen bewahrt. Droht auch da Gefahr?

Hofreiter: Wir müssen mit allem rechnen. Bis jetzt bekommen wir relevante Informationen vom NSA. Ob das so bleibt, ist unsicher. Auch dafür brauchen wir deutlich mehr Geld. Der neue US-Verteidigungsminister hat erklärt, dass die Cyberabschreckung gegenüber Russland zurückgefahren werden wird. Auch auf diese Abschreckung waren wir angewiesen und müssen selbst mehr aufbauen. Das wird alles Unsummen kosten.

WELT: Im neuen Bundestag haben Union, SPD und Grüne keine Zwei-Drittel-Mehrheit mehr, deshalb sollen die finanzpolitischen Änderungen noch mit dem alten Bundestag beschlossen werden. Wie soll es aber in der neuen Legislaturperiode weitergehen, wenn weitere Beschlüsse nötig werden sollten?

Hofreiter: Die neue Regierung wird sich, auch wenn es der Union schwerfällt, mit den Linken ins Benehmen setzen müssen. Ich halte das für schwierig, aber nicht für unmöglich. Grundsätzlich wollen die Linken eine Reform der Schuldenbremse.

WELT: Die Linke will keine höheren Verteidigungsausgaben. Können Sie das nachvollziehen?

Hofreiter: Manche Äußerungen aus der Linkspartei erschüttern mich. Wenn da argumentiert wird, wir würden schon genug Geld für Verteidigung ausgeben, zeigt das, dass die den Ernst der Lage nicht verstanden haben. Und das Regime im Kreml falsch beurteilen. Putin agiert wie ein Faschist. Antifaschismus darf aber nicht an der Außengrenze der Europäischen Union enden. Die Unterstützung der Ukraine auch mit militärischen Mitteln ist für mich eine Frage linker Solidarität.

WELT: Die Union und der Bundeswehrverband fordern eine schnelle Wiedereinführung der Wehrpflicht. Gehen Sie da mit?

Hofreiter: Wir brauchen eine gut ausgestattete Bundeswehr, die ein attraktiver Arbeitgeber ist. Es darf keine Kasernen mehr geben, in deren Ecken der Schimmel hängt. Ich halte das von Boris Pistorius vorgeschlagene Modell, das an das schwedische angelehnt ist, für die richtige Lösung.

WELT: Im Wahlkampf hat CDU-Chef Friedrich Merz beteuert, er wolle an die Schuldenbremse nicht ran. Nun macht er das Gegenteil. Wortbruch?

Hofreiter: Das war ein schwerer strategischer Fehler von Merz, zu glauben, die Öffentlichkeit über die Schuldenbremse täuschen zu können. Das fällt ihm jetzt auf die Füße. Was Trump nun macht, ist doch keine Überraschung.

WELT: Haben Sie den Eindruck, dass der Ernst der Lage in der deutschen Politik schon überall begriffen worden ist?

Hofreiter: Teilweise schon. Ich kann nur raten, bei den Koalitionsverhandlungen jetzt nicht zu tricksen. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Ich war deshalb irritiert, wie wenig dieser Epochenbruch im Wahlkampf in der öffentlichen Debatte eine Rolle gespielt hat. In meinen Veranstaltungen habe ich sehr viele informierte Bürgerinnen und Bürger und sehr viele Anfragen dazu gehabt. Das war das Hauptthema. Und die europäische Sicherheit wird nun auch in der breiten Öffentlichkeit über lange Zeit das Hauptthema bleiben.

Claus Christian Malzahn berichtet für WELT seit vielen Jahren über die Grünen.