Benjamin Netanjahu rühmt sich gerne seiner guten Kontakte zu den Mächtigen dieser Welt. Mehrfach hat er voller Stolz verkündet: Wenn es ihm nützlich erscheine, könne er jederzeit mit Donald Trump oder Wladimir Putin reden. Anruf genügt.

Dem US-Präsidenten und dessen russischem Amtskollegen hat Israels Premier vor wenigen Tagen einen großen Gefallen getan – und damit sowohl die Ukraine als auch viele Partner Israels verärgert, ja enttäuscht. Wendet sich Israel demonstrativ von dem überfallenen Land ab?

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Am Montag vor einer Woche hatte der jüdische Staat erstmals seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs vor drei Jahren gegen eine UN-Resolution gestimmt, die Moskaus als Aggressor benannte und den Abzug aller russischen Truppen von ukrainischem Gebiet forderte.

Ebenso wie Israel wollten weder die USA – unter Trump wird die Führung in Moskau nicht mehr für den Krieg in der Ukraine verantwortlich gemacht – noch Staaten wie Belarus und Nordkorea sich dem Votum der Mehrheit der Vereinten Nationen anschließen.

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Israels Botschafter in der Ukraine, Michael Brodsky, verteidigte sein Land mit dem Hinweis, Kiew habe sich schon mehrfach anti-israelischen Resolutionen angeschlossen.

In Washington wurde Selenskyj von Trump und seinem Vize Vance mangelnde Dankbarkeit vorgeworfen.

© dpa/Mystyslav Chernov

Bisher hatte es die Regierung in Jerusalem immer vermieden, allzu offenkundig für Russland oder die Ukraine Partei zu ergreifen. Zwar weigert sich Israel, trotz inständiger Bitten aus Kiew, Waffen, vor allem Luftverteidigungssysteme, an die Ukraine zu liefern – auch mit dem Hinweis, diese für die eigene Verteidigung zu benötigen. Doch ist es inzwischen kein Geheimnis mehr, dass ukrainische Soldaten von israelischen Experten darin geschult werden, vor allem iranische Drohnen zu bekämpfen.

Auch humanitäre Hilfe wird von Jerusalem bereitgestellt. Zum Beispiel richtete Israel im März 2022 ein Feldlazarett in der Westukraine ein. Damit reagierte Israels Regierung nicht zuletzt auf die Stimmung im eigenen Land.

Russland führt seit mehr als drei Jahren einen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

© REUTERS/Nina Liashonok

Die Mehrheit der Bevölkerung – darunter viele aus der Ukraine stammende Juden – spricht sich bis heute dafür aus, die Opfer der russischen Vollinvasion wenigstens in bescheidenem Umfang zu unterstützen. So könne deutlich gemacht werden, dass man auf der richtigen Seite der Geschichte stehe.

Diese Gesten des Wohlwollens scheinen jetzt allerdings der Vergangenheit anzugehören. Das Votum bei der UN-Abstimmung könnte das Zeichen für eine Kursänderung unter Premier Benjamin Netanjahu sein. Dahinter stecken vermutlich handfeste geostrategische und sicherheitspolitische Überlegungen.

1 Sich Trumps Wohlwollen sichern

Seit dem Eklat zwischen Wolodymyr Selenskyj und Trump geht sogar bei engen Verbündeten die Angst um: Lassen die USA uns fallen, wenn wir als Partner nicht dankbar genug sind oder kein Geschäft anzubieten haben, das dem Chef der Supermacht gefällt?

Netanjahu dürfte ebenfalls aufmerksam registriert haben, wie rasch bedingungslose Hilfe in eingeforderte Dankbarkeit umschlagen kann, die mit konkreten Gunstbezeugungen einhergehen soll.

Bente Scheller ist Referatsleiterin Nahost und Nordafrika bei der Heinrich-Böll-Stiftung und Politikwissenschaftlerin.

Israel habe sich bislang immer auf die USA als Verbündeten verlassen, sagt Bente Scheller, Referatsleiterin Nahost und Nordafrika bei der Heinrich-Böll-Stiftung. „Trump ist zum Teil weiter als seine Vorgänger gegangen, zum Beispiel mit dem Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem in seiner ersten Amtszeit.“

Trump lässt keinen Zweifel daran, dass er für seine Unterstützung klare Gegenleistungen erwartet.

Bente Scheller, Referatsleiterin Nahost und Nordafrika bei der Heinrich-Böll-Stiftung

Auch heute sehe Netanjahu im US-Präsidenten den „besten Freund, den Israel je im Weißen Haus hatte“. Nur lässt Trump nach Ansicht der Politikwissenschaftlerin auch keinen Zweifel daran, dass er für seine Hilfe klare Gegenleistungen erwartet.

Gerade jetzt ist Scheller zufolge die Lage für Israels Regierungschef heikel: Die Waffenruhe in Gaza und der Geiseldeal könnten scheitern. Auch wegen Netanjahus Bestreben, seine rechtsextremen Koalitionspartner an Bord zu halten, brauche er Trumps Hilfe dringender denn je.

„Möglicherweise beruht das Stimmverhalten Israels bei den UN auf dem Kalkül, dass die von den USA eingeforderte ,Rückzahlung‘ auf diese Weise erfolgen könnte“, sagt Expertin Scheller.

Stehen der Geiseldeal und die Waffenruhe in Gaza vor dem Scheitern?

© IMAGO/APAimages/IMAGO/Omar Ashtawy \ apaimages

Allerdings: Die Verbundenheit des US-Präsidenten mit dem jüdischen Staat gilt als groß. Dagegen liegt Trump offenkundig das Wohlergehen der Ukraine deutlich weniger am Herzen.

Gegen eine Kursänderung spricht nicht zuletzt, dass die US-Führung erst vor wenigen Tagen einen milliardenschweren Waffenverkauf an Israel genehmigte. Ganz abgesehen davon, dass Trump Politiker schätzt, die nach seinem Dafürhalten Stärke zeigen. Dazu dürfte er wohl Netanjahu zählen.

2 Sich Putin gewogen machen

Putin, ein Freund? So weit würde Netanjahu wohl nicht gehen. Aber er weiß sehr wohl: Es ist besser, auf den Kremlchef zuzugehen, als ihn wütend zu machen. Israels Weigerung, für die Russland-kritische UN-Resolution zu stimmen, könnte eine Geste des guten Willens in Richtung Moskau gewesen sein.

Denn Russland zum Feind zu haben, hieße auch, notwendigen Bewegungs- und Handlungsspielraum im Nahen Osten zu gefährden. Vor allem, wenn es um Syrien geht. Dort hat Russland 2015 in den Bürgerkrieg zugunsten des Diktators Baschar al-Assad eingegriffen und ihm für Jahre das politische Überleben gesichert.

Eckhart Woertz ist Direktor des Giga-Instituts für Nahost-Studien und Professor an der Universität Hamburg.

Damals gelang es Moskau, sich mit Syrien eine Machtbasis in der Region zu schaffen. Lange Zeit kam niemand im Nahen Osten an Russland vorbei, auch Israel nicht.

Ohne Putins Zustimmung wäre es zum Beispiel nicht möglich gewesen, Nachschubwege und Stellungen der Schiitenmiliz Hisbollah oder der iranischen Revolutionsgarden zu bombardieren.

Mit Assads Sturz und der Machtübernahme durch die Islamisten am 8. Dezember hat sich zwar die Ausgangslage geändert. Russland kann in Syrien nicht mehr nach Belieben schalten und walten.

Israelische Soldaten sind auch in die eigentlich entmilitarisierte Pufferzone zu Syrien eingerückt.

© AFP/JALAA MAREY

Aber Israel hat großes Interesse daran, dass keine ausländische Macht zu viel Einfluss bekommt und die neuen Herrscher in Damaskus nicht zur Bedrohung werden. So rechtfertigt der jüdische Staat zumindest seine völkerrechtswidrige Besetzung von Teilen Südsyriens.

In Jerusalem sieht man Ankaras wachsenden Einfluss in Syrien kritisch.

Eckart Woertz, Direktor des Giga-Instituts für Nahost-Studien

Doch nach Einschätzung von Eckart Woertz betrachtet Israel auch die Türkei als unliebsamen Gegenspieler. In Jerusalem sehe man Ankaras „wachsenden Einfluss in Syrien kritisch“, sagt der Direktor des Giga-Instituts für Nahost-Studien in Hamburg.

Deshalb würde Israel es begrüßen, wenn Russland seine Militärbasen im syrischen Tartus und Hmeimim behalten würde – und damit ein politisches und militärisches Gegengewicht zur Türkei schaffen.

Noch etwas spricht aus Netanjahus Sicht dafür, sich mit Putin gut zu stellen: In Israel leben Hunderttausende russischstämmige Jüdinnen und Juden. Nicht wenige von ihnen haben kein Problem mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine. Diese Gruppe durch eine Parteinahme für Kiew zu verprellen, könnte Netanjahus Chancen bei der nächsten Wahl schmälern.

3 Sich auf einen Krieg mit dem Iran vorbereiten

Bei allem Bemühen des israelischen Premiers, es sich mit Trump und Putin nicht zu verderben, kommt der Konfrontation mit dem Iran eine wichtige Bedeutung zu.

Irans Führung, hier Revolutionsführer Chamenei (l.) und Präsident Peseschkian, rechnet mit einem israelischen Angriff.

© IMAGO/ZUMA Press Wire/IMAGO/Iranian Supreme Leader’S Office

Israel sieht in dem Mullah-Regime eine existenzielle Bedrohung. Deshalb gibt es Überlegungen, mit einem Präventivschlag vor allem Irans Atomanlagen zu zerstören.

Ein solcher Einsatz wäre allerdings ohne militärische Unterstützung durch die USA kaum machbar. Trumps Zustimmung ist dafür unerlässlich – Putins im Grunde auch.

Denn den Iran und Russland verbindet eine strategische und politische Partnerschaft. Mitte Januar schlossen beide Länder ein Abkommen, das unter anderem eine enge militärische und geheimdienstliche Zusammenarbeit vorsieht. Schon seit Längerem liefert die Islamische Republik Drohnen an Moskau für den Angriffskrieg gegen die Ukraine.

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Die Frage lautet daher: Wird Putin bei einem israelischen Angriff dem Iran zu Hilfe eilen? Das halten Beobachter für eher unwahrscheinlich.

Dennoch ist Israel daran gelegen, dass der Kreml im Ernstfall stillhält. Vielleicht war das Abstimmungsverhalten Jerusalems bei der UN-Resolution ein Zeichen in Richtung Moskau: Wir sind auf eurer Seite.