Um es gleich vorwegzunehmen: Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die USA aus der Nato austreten, der gemeinsamen Abschreckung ein Ende setzen und ihre Atomwaffen aus Europa abziehen werden. Und dennoch sind viele Staats- und Regierungschefs in Europa alarmiert. Das westliche Militärbündnis ist herausgefordert wie nie, zugleich stellt der neue US-Präsident Donald Trump immer wieder bislang geltende Regeln infrage. Hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Thema.

Warum wird so viel über nukleare Abschreckung gesprochen?

Das hat im wesentlichen zwei Gründe: Erstens haben aus Nato-Sicht die nuklearen Bedrohungen durch Russland stark zugenommen. Beim deutschen Verteidigungsministerium heißt es dazu: „Russland hat bereits vor vielen Jahren damit begonnen, sein nukleares Arsenal und die russischen Nuklearstreitkräfte mit hohem Aufwand zu modernisieren, deutlich zu erweitern und damit das Ende des INF-Vertrages über das Verbot atomarer Mittelstreckenwaffen herbeigeführt und billigend in Kauf genommen.“ Immer wieder haben Russlands Präsident Wladimir Putin und seine Getreuen im Kreml direkt oder indirekt mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht.

Zweitens sitzt seit Januar mit Donald Trump ein US-Präsident im Weißen Haus, der sich immer wieder kritisch zur Lastenverteilung in der Nato geäußert und die Beistandsregeln im Falle eines Angriffs auf Nato-Verbündete infrage gestellt hat. Erst in dieser Woche sagte er mit Blick auf die Bündnispartner: „Wenn sie nicht zahlen, werde ich sie nicht verteidigen.“

Wie funktioniert die nukleare Abschreckung bislang?

Bislang beruht die nukleare Abschreckung der Nato in Europa vor allem auf US-Atomwaffen, die sich in mehreren EU-Staaten befinden. Die USA haben Expertenschätzungen zufolge noch etwa 100 Atombomben in Europa stationiert – einige davon sollen auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel lagern. Im Ernstfall sollen sie von Kampfjets der Bundeswehr eingesetzt werden – das ist die sogenannte nukleare Teilhabe Deutschlands.

Auch in Belgien, den Niederlanden, Italien und in der Türkei sollen noch US-Atombomben stationiert sein. Offizielle Angaben gibt es dazu nicht. Neben den US-Atomwaffen in Europa verfügen auch Frankreich und Großbritannien über eigene Kernwaffen, die allein der Kontrolle der beiden Regierungen unterstehen. Sie bilden gewissermaßen eine nationale Ergänzung zu den US-Atombomben.

Hat es bereits Gespräche über Alternativen gegeben?

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte Deutschland und anderen EU-Partnern bereits 2020 während der ersten Trump-Amtszeit Gespräche über eine europäische Kooperation bei der atomaren Abschreckung angeboten. Bei der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stieß er aber zunächst auf genauso wenig Resonanz wie bei Kanzler Olaf Scholz (SPD). Der „Spiegel“ berichtet jetzt allerdings, dass es seit mehr als einem Jahr „einen strukturierten strategischen Dialog“ der Bundesregierung mit Großbritannien und Frankreich unter anderem über nukleare Abschreckung gebe, an dem seit April 2024 die Sicherheitsberater der Staats- und Regierungschefs beteiligt sind. Scholz bestätigte solche Gespräche zwar. „Es bleibt aber trotzdem dabei, dass wir uns gemeinsam dem Nato-Konzept verpflichtet fühlen und das ist Ihnen bekannt und das ist auch im Interesse der gemeinsamen Sicherheit in Europa“, fügte er hinzu.

Was schlägt nun Frankreichs Präsident Macron vor?

Macron will bis zum Sommer die Möglichkeit eines atomaren Schutzschildes für Europäer erörtern und zieht dabei in Betracht, andere Staaten mit französischen Kernwaffen zu schützen. Dabei geht es ihm womöglich auch um eine Kostenteilung des teuren Kernwaffenprogramms. Er gebe sich bis „Ende des Halbjahres“ Zeit, um zu sehen, ob es eine „neue Zusammenarbeit“ in der EU geben könne, sagte Macron am Donnerstag. Zunächst werde nun eine Phase beginnen, „in der unsere Techniker sich austauschen“, erläuterte er. Nach diesem „sowohl strategischen als auch technischen Dialog“ soll ein Austausch mit Staats- und Regierungschefs folgen.

Wird Deutschland die Pläne unterstützen?

Der voraussichtliche künftige Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat bereits angekündigt, Verhandlungen über eine nukleare Abschreckung mit den europäischen Atommächten Frankreich und Großbritannien führen zu wollen. Inwiefern darüber Einigkeit mit dem potenziellen Koalitionspartner SPD hergestellt werden kann, ist offen. Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn (CSU), mahnte Offenheit für die Ideen an. „Es ist klar, dass die nukleare Teilhabe Deutschlands eine wesentliche transatlantische Klammer bildet und über Jahrzehnte bildete. Diese deutsche Teilhabe ist, ebenso wie der nukleare Schutz Europas, im Interesse der USA und beiderseits des Atlantiks breit akzeptiert“, sagte Hahn unserer Redaktion. „Angesichts der dramatischen sicherheitspolitischen Veränderungen und der wachsenden Bedrohung sollte es jedoch grundsätzlich keine Denkverbote geben. Die sich fortentwickelnden französischen Offerten zeugen davon, dass diese Einschätzung auch in Paris geteilt wird und keinesfalls wie in der Vergangenheit ignoriert werden sollte“, sagte Hahn. „Wichtig ist aber frühzeitig klarzustellen: Eine unvollständige deutsche oder europäische Beteiligung an den französischen Nuklearwaffen unter vollständiger Beteiligung an den Kosten ist, unabhängig von weiteren politischen Überlegungen, kaum vorstellbar“, so der CSU-Politiker.

Die Umsetzung eines europäischen Atom-Schutzschilds, wie Macron ihn vorgeschlagen hat, halten einige Experten für schwierig. Unter anderem hoben sie die deutlich geringere Größe der britischen und französischen Atomarsenale im Vergleich zu dem der USA hervor. Es sei fraglich, wie ernst Russland eine europäische Abschreckung ohne die Unterstützung der USA nehmen würde. Auch Sozialdemokraten haben sich immer wieder skeptisch gezeigt und auf die weiterhin geltenden Nato-Verträge verwiesen. Dass Deutschland selbst Kernwaffen herstellt und ein eigenes Arsenal aufbaut, gilt als politisch und gesellschaftlich ausgeschlossen.