Menschen lassen sich in zwei Kategorien einteilen, ganz unabhängig von Geschlechterkonstruktionen und -normen. Auf der einen Seite: die Lerchen, also Menschen, die früh am Morgen voller Elan in den Tag starten. Ihnen gegenüber stehen die Eulen. Dieser Chronotyp kommt erst in Fahrt, wenn sich die Geisterstunde nähert.
Adrienne Haan, ihres Zeichens Sängerin, in gewissem Maße auch Schauspielerin und Produzentin, scheint zu den Lerchen zu zählen. Anders lässt es sich nicht erklären, dass sie für das Gespräch vor ihrem Auftritt am 18. März im Théâtre National du Luxembourg (TNL) einen Timeslot in der ersten Tageshälfte vorschlägt. 7.30 Uhr hiesiger Zeit. Für Adrienne Haan: 8.30 Uhr Ortszeit in Kapstadt, denn dort hält sie sich seit mehreren Wochen auf.
Luxemburger Freunde in Südafrika
Die Musikerin, die als Tochter eines Luxemburgers und einer Deutschen vor 46 Jahren in Essen (Nordrhein-Westfalen) das Licht der Welt erblickte, und ihr Mann Klaus sind regelmäßig zu Gast in Südafrika; und das nicht nur, um dem Winter auf der Nordhalbkugel zu entfliehen und ein wenig Sonne zu tanken (was ihr Teint verrät, den sie während des Videotelefonats mit einem großen Lachen präsentiert). Nein, auch einige Auftritte standen jüngst auf ihrer Agenda. Auftritte, die die professionelle Sängerin begeisterten.
„Wissen Sie, die Südafrikaner sind alle so interessiert. Die Locations waren rammelvoll. Die sind nicht ganz so übersättigt wie die Europäer und Amerikaner, das ist mal eine richtig tolle Erfahrung.“ Doch ganz ohne Bezug zur Heimat sei ihr Aufenthalt nicht verlaufen. „Ein Mann, dessen Eltern immer meine Konzerte in Luxemburg besuchen, war hier in Südafrika bei einem Auftritt. Mit ihm und seinem Partner haben wir uns sofort angefreundet. Und sie haben mich dann wieder anderen Luxemburgern vorgestellt, die wiederum aus Rümelingen stammen und meine Verwandten kennen.“
Die Südafrikaner sind alle so interessiert. Die sind nicht ganz so übersättigt wie die Europäer und Amerikaner.
Adrienne Haan
Sängerin
Mittlerweile, sprudelt es aus Adrienne Haan heraus, seien sie und ihr Mann recht gut in die Luxemburger Gemeinschaft in Kapstadt und Umgebung eingebunden. Dort hält sie sich, wie sie unfrisiert vor der Kamera berichtet, noch bis kurz vor ihrem Auftritt im TNL auf.
In Luxemburg wird Adrienne dann in Kürze mit Klavierbegleitung von Benjamin Schaefer auf der Bühne stehen. „Margo. Eine Frau in Berlin“ ist der Titel des neuen Programms, das die Zuschauerinnen und Zuschauer in die 1920er- und 1930er-Jahre entführt, eine Zeit, in der die deutsche Hauptstadt als das Partyzentrum des Kontinents galt. Die Sängerin verwandelt sich im Scheinwerferlicht in die Frauen, die damals das Nachtleben der Stadt bestimmten: Sie performt mal als Vamp, mal als zarte Verführung, mal als Frau, die Frauen liebt, oder auch als Frau von nebenan.
Sechs Frauenfiguren
Texte und Lieder von Marlene Dietrich, Kurt Weill, Berthold Brecht: Sie alle erwachen an einem Abend durch sechs Frauenfiguren wieder musikalisch zum Leben. Es steckt viel Herzblut in der Show, die einen Blick zurück wirft, aber alles andere als gestrig wirkt.
Diva, Vamp oder die Frau von nebenan: Adrienne Haan schlüpft in ihrem neuen Programm in verschiedenste Rollen. Foto: Jack Denver
Die angesprochenen Thematiken könnten nämlich aktueller nicht sein: das Recht auf Abtreibung, die Rechte von Frauen, finanzielle Probleme, Diskriminierung … „das holt uns heute irgendwo wieder ein“. Die Bundestagswahl vor wenigen Wochen – „wir haben per Briefwahl abgestimmt, das war uns ganz wichtig“ – lässt auch Adrienne Haan nachdenklich zurück.
Die Messerattacken und der wachsende Antisemitismus lösen in ihr einiges aus. „Aber die AFD ist absolut keine Lösung. Die werden die Probleme nicht lösen.“ Man merkt, dass die politische Lage in Deutschland die Musikerin aufwühlt. Dort, wo sie bis 1997 lebte, ist einiges in Bewegung, sie wägt im Gespräch ihre Worte ab, weiß, welche Probleme die Menschen beschäftigen, erkennt aber auch an, dass die Politik mit vielen Aufgaben zu kämpfen hat. Immer wieder liest sie Bücher, die sich mit gesellschaftlichen und politischen Themen beschäftigen.
Texte und Lieder von Marlene Dietrich, Kurt Weill, Berthold Brecht: Sie alle erwachen an einem Abend wieder musikalisch zum Leben.
Und da wäre noch die Situation in den Vereinigten Staaten, wo sie seit zweieinhalb Jahrzehnten ihren Lebensmittelpunkt hat. Ob sie darüber nachdenke, dem Big Apple, den USA und vor allem Trump den Rücken zu kehren? Zunächst: nein. „Meine Green Card wurde gerade verlängert, das heißt ich gehe auf jeden Fall nach New York zurück.“ Richtig wohl ist ihr dabei nicht, was vor allem an dem Mann liegt, der derzeit die Zügel in den USA in der Hand hält. „Man kann ihn nicht mehr nur als Demagogen bezeichnen. Das geht schon in Richtung Faschismus.“
Donald Trump und die Kultur
Die Zensur der Presse, die Unterdrückung sexueller Minderheiten, all dies beunruhige sie. „Und dann hat er auch noch die kulturelle Szene in Washington gekapert.“ Damit spielt sie auf das Kennedy Center, das größte Kulturzentrum der US-Hauptstadt an, das nun in der Hand des Präsidenten ist.
In New York fühle sie sich derzeit noch sicher, die Stadt stehe als Gegenpol zu Trump. Doch wie geht es weiter? Wird auch ihre Show irgendwann zensiert? „Meine Programme sind immer ein wenig politisch. Was wird passieren, wenn ich nicht mehr das sagen darf, was ich sagen will?“ Die Sängerin zieht Vergleiche mit düsteren Zeiten, die einst in Deutschland herrschten.
Ihre Freunde teilten eine ähnliche Einstellung, ähnliche Ängste. Doch es gibt eine Ausnahme: Adrienne Haans Pianist Richard Danley, mit dem sie seit 23 Jahren zusammenarbeitet, ist Trump-Anhänger. „Eigentlich passen Leute, die Faschisten wählen, nicht in meinen Freundeskreis. Aber Richard, das ist wirklich ein guter Mensch. Er geht mit mir durchs Feuer, schreibt meine Arrangements und Shows. Wenn ich ihn abschieße, dann schieße ich mich selbst ab.“
Die Künstlerin ist selbständig und, was viele nicht wissen, übernimmt auch Management- und Booking-Aufgaben. „Ich bin sozusagen 24/7 mit Arbeit beschäftigt.“ Selbst im vermeintlichen Südafrika-Urlaub stehen daher berufliche Telefonate auf der Tagesordnung, denn sie selbst nimmt ebenfalls Kontakt zu Veranstaltungslocations auf.
Und dabei fällt ihr vor allem in Deutschland auf, dass das Geld immer knapper wird. Umso glücklicher ist sie daher, dass es dann doch regelmäßig zu Auftritten kommt, etwa im September, wenn es sie nach Olpe (Nordrhein-Westfalen) verschlägt, wo sie mit Ernie Hammes und dem Luxembourg Jazz Orchestra auf der Bühne performen darf.
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Zuvor steht aber noch ihr Leben auf dem Spiel, zumindest in der Vorstellung des Journalisten: Vor dem Flug nach Europa, vor ihrem Konzert im TNL, ist eine Safari angesetzt. „Da freuen wir uns schon sehr drauf, das ist unser erstes Mal.“
Angst vor wilden Tieren hat Adrienne Haan jedoch nicht. Wieso auch: Sie steht häufig auf der Bühne im Rampenlicht. Auch dort ist sie wie in einer Manege der Menge ausgeliefert. Und ihr gelingt es immer wieder, die Zuschauenden auf ihre Seite zu ziehen. Ob das auch mit den Wildtieren in der Savanne gelingt, wird sich dieser Tage zeigen.
Adrienne Haan: „Margo. Eine Frau in Berlin“, am Dienstag, den 18. März, um 19.30 Uhr im Théâtre National du Luxembourg (TNL); Tickets sind zum Preis von 25 Euro unter luxembourg-ticket.lu erhältlich.