Von 2012 bis 2023 war das Continental-Team Leopard eine feste Größe in der luxemburgischen Radsport-Szene. Als Talentschmiede hat das Team über all die Jahre immer wieder Radsportler ins Profigeschäft gebracht, die dann in der Weltspitze fuhren. Vor allem aber profitierten luxemburgische Talente, die dank Leopard immer die Sicherheit hatten, in ein Team aufgenommen zu werden. Zu Beginn des Jahres 2023 fusionierte das Team mit der dänischen Mannschaft Riwal – mit dem Ziel, schnellstmöglich in die professionelle 2. Liga des Radsports aufzusteigen. Doch nach nur einer erfolgreichen Saison wurde das Team aufgelöst. Markus Zingen war von Anfang bis Ende bei Leopard als Teammanager dabei und blickt auf die Zeit zurück. 

Tageblatt: Markus Zingen, inwiefern war die Fusion mit dem dänischen Team Riwal ein Grund dafür, dass sich das Team Leopard auflösen musste?

Markus Zingen: Ich sage mal so: Vielleicht war die Zusammenführung überhaupt erst ein Grund, dass das Team noch Fortbestand hatte. Das muss man aus der Perspektive betrachten. Ich kann aber auch nicht garantieren, dass es ohne die Dänen nicht auch so weitergegangen wäre. Ohne die Dänen wäre die Wahrscheinlichkeit aber höher, dass das Projekt schon ein Jahr früher beendet wäre. Mit dem Abstand, den ich jetzt habe, würde ich die Fusion als positiv bewerten. Wir haben uns alle erhofft, dass eine nachhaltigere Zusammenarbeit entstehen würde. Wir waren nicht naiv: Wir wussten, dass solche Fusionen gerade im Radsport große Herausforderungen mit sich bringen. Bei allen Herausforderungen waren wir doch sehr erfolgreich. Mit der Distanz, den zwei Standorten und der Logistik waren wir uns der Herausforderung bewusst. Trotzdem: Das war es alles wert. Sportlich war es eines der besten Jahre des Teams.

Das luxemburgisch-dänische Team hat dabei nie versteckt, dass es schnell den Sprung in den Profibereich schaffen wollte. 

Das war die Zielsetzung. Das war ambitioniert. Wir haben aber von Anfang an intern darüber diskutiert, ob wir das nach außen so kommunizieren sollen. Damit würden wir uns eben auch unter Druck setzen. Wir haben uns aber dazu entschieden, es so zu tun. Wir sind nicht das erste und werden auch nicht das letzte Projekt sein, das daran scheitert. Es haben sich dennoch in dem Jahr nicht nur die Fahrer, sondern auch das Personal weiterentwickelt. Wir waren nicht weit weg vom Pro-Level mit unserem Team.

Ist das Scheitern des Teams einzig und allein finanzieller Art?

Ja, es gab keine Streitigkeiten oder sonstiges. Am Ende des Tages war die Aufgabe, weitere Partner zu suchen. Der Sprung zum Profiteam würde nicht alleine von Flavio (Becca) und Mogens (Tveskov) finanziert werden. Das war ganz klar kommuniziert. 2022 war der Grand Départ der Tour de France in Kopenhagen, dort herrschte eine große Euphorie. Es war ein interessanter Markt, dazu hatten Luxemburg und Dänemark im Radsport immer schon eine traditionelle Verbindung. Deswegen war das Interesse groß, ins Profigeschäft einzusteigen.

Sie haben schon erwähnt, dass das Team 2023 sehr erfolgreich war. Warum haben Sie dennoch keine Sponsoren gefunden?

Das ist wirklich nicht so einfach. Selbst WorldTour-Teams haben dabei Probleme. Selbst damals, als Andy (Schleck), Frank (Schleck) und Fabian Cancellara im WorldTeam fuhren, standen die Sponsoren nicht Schlange, um Geld zu geben. Für den Übergang vom Continental- zum Pro-Team braucht man einiges mehr an Geld. Flavio und Mogens haben die Teams schon über viele Jahre stark unterstützt und haben viel investiert. Da kann man voll und ganz verstehen, dass es irgendwann heißt, dass es nun gut ist. Wir haben keine Partner gefunden, also mussten wir die Konsequenzen daraus ziehen.

Für den luxemburgischen Radsport bedeutet die Auflösung des Teams doch einen großen Einschnitt. Mit Leopard hatten junge und talentierte Luxemburger eigentlich eine Sicherheit, ein Sprungbrett aufs internationale Niveau zu bekommen. 

Ja, es ist schon sehr schade, vor allem für den luxemburgischen Radsport. Deswegen sollte es ein Bestreben sein, wieder ein Team auf die Beine zu stellen. Aufgrund der guten geografischen Lage hat Luxemburg es leicht. Man ist nah an den Radsport-Hochburgen. Das macht es einfacher. Es ist für junge Athleten immer einfacher, ein Team vor Ort zu haben. In Luxemburg war es ein großer Vorteil, sich als junger Sportler im Sportlycée auf sein Abitur vorzubereiten und dann nebenbei noch in die Strukturen eines Radteams blicken zu können. Das ist was ganz anderes, als wenn du für ein Team in 700 Kilometern Entfernung fährst. Aber dieser guten Möglichkeiten ist man sich erst bewusst, wenn sie nicht mehr vorhanden sind. Luxemburg braucht ein Conti- oder Development-Team – wenn nicht mehr. 

Es war immer Ihre Philosophie, jungen Sportlern einen Schulabschluss nahezulegen, oder?

Wir wollten Fahrer ausbilden, die eine lange Karriere vor sich haben. Wir wollten, dass sie bis Mitte 30 oder Anfang 40 noch was leisten können. Es ist natürlich ein Spagat: Einerseits willst du schnellen Erfolg haben, der auch für das Team wichtig ist, andererseits musst du darauf verzichten, weil du den Athleten langfristig aufbauen willst. Aber zu unserer Philosophie hat immer auch ein Schulabschluss dazugehört. Im Radsport kann es schnell gehen und alles ist vorbei. Ich war immer großer Fan, den Sportler „gesund“ zu entwickeln. Es gibt doch viele Beispiele, da wird der zweite Schritt vor dem ersten gemacht. Viele Radsportler gehen sofort in die WorldTour. Das ist nicht immer unbedingt der richtige Weg.

Welche Bilanz ziehen Sie nach all den Jahren Leopard?

Unter dem Strich ist es eine große Erfolgsstory. Gute Arbeit wird nicht immer nur an Resultaten gemessen. Viele Fahrer sind dem Team im Staff erhalten geblieben. Das zeigt, dass bei uns vieles richtig gelaufen ist. Die menschliche Entwicklung stand bei uns auch im Vordergrund. Man muss schauen: 2012 haben wir mit elf Sportlern angefangen, das war schon eine sensationelle Saison. Als Development-Team eines WorldTour-Teams hatten wir noch ganz andere Möglichkeiten. Als wir 2014  die WorldTour-Lizenz verkauft haben, lag es nahe, das Development-Programm einzustellen. Es war aber weiterhin wichtig für Fahrer wie Alex Kirsch, der dann zwei Jahre bei uns noch viel gelernt hat. Er hat jetzt eine tolle Karriere. Wer weiß, was damals ohne uns mit ihm passiert wäre. Ich sage nicht, dass er ohne uns nicht auch Profi geworden wäre. Aber wir hatten insgesamt viele Herausforderungen und haben immer weitergemacht. Es gab jedes Jahr Gerüchte, dass wir aufhören. Mal waren sie mehr begründet, mal weniger. Wie man aber sieht, haben wir das Team zehn Jahre länger fortgeführt, als es der eine oder andere gedacht hätte.

Gab es in all der Zeit einen Radsportler, der den Sprung in den Profibereich geschafft hat, von dem Sie es niemals gedacht hätten?

Alex Kirsch ist so ein Beispiel. Ich habe immer an ihn geglaubt. Ich erinnere mich aber an eine Aussage von Adriano Baffi (2012 und 2013 Sportlicher Leiter bei Leopard). Er sagte, dass Alex im internen Team-Ranking auf Platz elf von elf Fahrern gewesen sei. Ich habe damals einen Großteil des Scoutings übernommen, habe aber auch über die Jahre ein tolles Team hinter dem Team gehabt. Wir haben immer geschaut, wie der Fahrer menschlich ist und welches Entwicklungspotenzial in ihm steckt. Mit der Trainingsanalytik ist es heute viel einfacher: Du kannst schnell herausfinden, ob ein 16- oder 17-Jähriger wie ein Profi trainiert oder ob er einfach gut ist und trainingsmethodisch noch viel Luft nach oben hat. Alexander Krieger (von 2015 bis 2019 bei Leopard, dann von 2020 bis 2023 bei Alpecin und seitdem bei Tudor) ist ein ähnliches Beispiel wie Kirsch. Wir haben immer an ihn geglaubt, viele andere nicht. Er hat es verdient. Er war für uns ein Ergebnisgarant, hat viel an sich gearbeitet und sich später entwickelt. In den letzten Jahren war er einer der besten Lead-out-Fahrer für Tim Merlier, Jasper Philipsen oder Mathieu van der Poel. 

Wer war das größte Talent, das Sie je im Team hatten?

Das ist schwer zu sagen. Wir hatten viele Talente in verschiedenen Richtungen, sei es Sprinter, Klassikerspezialist oder Rundfahrer. Aber wenn wir chronologisch anfangen, dann war Bob Jungels ein Grund, warum wir das Development-Team überhaupt begonnen haben. Er hatte großes Potenzial, heute wäre er wohl direkt in einem WorldTour-Team gelandet. Aber das haben wir ja eben bereits angesprochen: Ich wollte Radsportler behutsam aufbauen. Über die Jahre kamen dann viele dazu: Matthias Skjelmose (jetzt bei Lidl-Trek, u.a. gewann er die Tour de Suisse 2024 und soll in diesem Jahr die Gesamtwertung der Tour de France anvisieren) oder Mauro Schmid (jetzt bei Jayco AlUla, Schweizer Landesmeister und u.a. Sieger des Cadel Evans Great Ocean Road Race). Es ist aber ungerecht, einzelne Namen herauszupicken, weil wir viele tolle Athleten hatten. Das jüngste Beispiel ist Tim Torn Teutenberg (jetzt bei Lidl-Trek, Sieger von Paris-Roubaix Espoirs 2024). Ich habe bereits, als er zu uns kam, der deutschen Presse gesagt, dass er das größte deutsche Talent ist. Es geht auch darum, wie jemand den Radsport lebt oder wie sein taktisches Gespür ist. Vom Gesamtpaket gibt es kaum einen, der besser ist als er.

Wie ehrlich muss man zu Sportlern sein, bei denen man merkt, dass es nicht reicht?

Das gehört dazu. Das tut manchmal weh, nicht nur den Sportlern, sondern auch mir. Ich bin ein harmoniebedürftiger Mensch und Optimist. Ich habe also immer versucht, den Sportlern so lange es geht, die Chance zu geben, sich zu entwickeln. Wenn man das richtig argumentiert, den richtigen Ton trifft und dann noch mit dem Sportler versucht, Alternativen zu finden, dann geht das. Im Radsport trifft man oft wieder aufeinander. Ich hatte mit diesen Sportlern immer wieder freundschaftliche Gespräche, wenn man sich wiedergesehen hat. Bei uns war aber eben auch die Konkurrenz immer hart. Wegen der Quote haben wir immer geschaut, dass wir genügend Luxemburger im Team haben. Dann hatten wir auch Jahre, in denen wir 100 bis 120 Bewerbungen von Australien bis Kolumbien vorliegen hatten. 

Markus Zingen ist am 7. September 1979 geboren und stammt aus Trier. In seiner aktiven Karriere als Radsportler fuhr er unter anderem in der Bundesliga und für das Team CCI Differdange. Später gründete er das Trierer Elite-Team Physiodom, war dort gleichzeitig Fahrer und Teamchef. Neben seinem Tourismus- und Volkswirtschaftsstudium in Trier war die Tätigkeit als Teamchef bereits ein „Vollzeitjob, bei dem es mir mit dem Studium nie langweilig wurde“, sagt er selbst. Von 2008 bis 2010 war er dann Teamkoordinator beim deutschen Profi-Team Milram, ehe er dann bereits 2011 das Projekt Leopard anging. Über 13 Jahre war er beim Continental-Team tätig und durchlebte damit alle Phasen des Teams, von Anfang bis Ende. Nach dem Ende seines Engagements bei Leopard im August 2024 hat sich Zingen eine kurze Auszeit gegönnt. „Ich habe mal alles sacken lassen und reflektiert“, sagt Zingen. „Ich habe meine Batterie neu aufgeladen und mir die Frage gestellt, wo meine Reise jetzt hingehen soll. Ich habe genau das gefunden, was ich gesucht habe. Es ist keine komplett neue Welt, aber ich werde dem Sport bald in einer anderen Perspektive treu bleiben.“