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Europa diskutiert über die Abhängigkeit von den USA – auch im Rüstungssektor. Welche Folgen hätte Deutschland durch eine eigenständige Verteidigung?

Brüssel/Berlin – Europa steht vor einer strategischen Neuausrichtung, die sich nach dem Regierungswechsel in den USA offenbar schneller anbahnt, als viele gedacht haben.

Die jahrzehntelange militärische Abhängigkeit von den USA soll reduziert, eigene Verteidigungsfähigkeiten gestärkt werden. Politiker wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Premierminister Keir Starmer aus Großbritannien unterstützen diese Bestrebungen – die mit wirtschaftlichen, technologischen und geopolitischen Herausforderungen einhergehen.

Europa, das Militär und die USA als dominierender Waffenexporteur

Laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut (SIPRI) entfielen in den vergangenen vier Jahren 43 Prozent der weltweiten Waffenexporte auf die USA. Viele europäische Staaten sind seit jeher Großabnehmer amerikanischer Rüstungsgüter. Doch das erweist sich in Zeiten verhärteter Fronten zwischen Europa und den USA als Bumerang.

Pieter Wezeman, leitender Forscher des Instituts, erklärt in der veröffentlichten Studie: „Die europäischen NATO-Staaten haben Schritte unternommen, um ihre Abhängigkeit von Waffenimporten zu verringern und die europäische Rüstungsindustrie zu stärken.“ Dennoch sind weiterhin hunderte Kampfflugzeuge und andere Rüstungsgüter in den USA bestellt, u. a. auch von Deutschland.

Airbus-Kampfhubschrauber in Diensten der Bundeswehr: Es gibt Bestrebungen, Europas Militär unabhängiger von den USA zu machen

Airbus-Kampfhubschrauber in Diensten der Bundeswehr: Es gibt Bestrebungen, Europas Militär unabhängiger von den USA zu machen. © Sven Eckelkamp/ImagoFrankreich als Vorreiter der europäischen Unabhängigkeit

Frankreich pocht angesichts der wirtschaftspolitischen Entwicklungen auf eine europäische Lösung und auch aus der deutschen Wirtschaft gibt es entsprechende Signale. Macron erklärte jüngst, er wolle NATO-Partner davon „überzeugen“, statt US-Waffen europäische Produkte zu kaufen.

So setzt Frankreich im Bereich der Luftabwehr auf das französisch-italienische System SAMP/T als Alternative zum US-Patriot-System von Raytheon. Ähnlich verhält es sich beim Thema Kampfjets: „Wer eine F-35 kauft, dem müssen wir die Rafale anbieten“, zitiert das US-Magazin Newsweek den Präsidenten der „Grande Nation“. Tatsächlich avanciert die Dassault Rafale zunehmend zum Exportschlager und könnte als Alternative zur F-35 des US-Rüstungskonzerns Lockheed-Martin dienen.

Europäische Länder haben in den USA zahlreiche F-35-Kampfjets bestellt

Zudem gibt es Kritik an der modernen Kampfjet-Generation: Berichte deuten darauf hin, dass Washington bei den Flugzeugen über eine Fernabschaltfunktion verfügt. Länder wie Deutschland oder die Schweiz haben dennoch Milliarden in die F-35 investiert und zahlreiche Kampfjets bestellt. Im Fall von Portugal bahnt sich bereits eine Kehrtwende an.

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Kampfjet vom Typ F-35: Exportschlager und neuer Streitpunkt im Zuge der europäischen Aufrüstung. © Boris Roessler/dpa

Der frühere Airbus-Chef Tom Enders kritisiert diesen Kurs: „Niemand braucht eine F-35“, erklärt Tom Enders in einem Gespräch der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Der jetzige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) erläutert, dass die Bundesregierung sich bei dem Angebot der F-35-Flugzeuge hat blenden lassen:

Kann Europa Rüstungsgüter aus den USA ersetzen? Es geht auch um Starlink

Schon 2022 sei die Bestellung ein Fehler gewesen – und das Argument, für die nukleare Teilhabe brauche es den Kamfjet aus den USA, „an den Haaren herbeigezogen“. Laut Enders hätte man als Nuklearwaffenträger genauso gut den Eurofighter Typhoon weiterentwickeln können. Der zweistrahlige Düsenjäger ist ein europäisches Vorzeigeprojekt und wird von Airbus, Leonardo aus Italien und BAE Systems aus Großbritannien gemeinsam produziert.

Trotz dieser Bemühungen bleibt Europa in vielen Bereichen von den USA abhängig. So basiert die europäische Verteidigung teils auf US-Technologien – etwa bei Logistik, Schwertransport oder Satellitenaufklärung. Ein Beispiel ist das von Elon Musks SpaceX betriebene Starlink-System, das insbesondere für den Ukraine-Krieg eine Schlüsselrolle spielt.

Europas Aufrüstung: Sozialwirtschaftliche Kosten der Unabhängigkeit

Ein Hauptargument gegen die Abkopplung von den USA sind die Kosten, doch diese Entscheidung scheint bereits vollzogen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach jüngst von bis zu 870 Milliarden Dollar, die für die europäische Verteidigung bereitgestellt werden könnten: „Dies ist ein Wendepunkt für Europa.“

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Kritiker fragen jedoch, ob Europa eine so massive Aufrüstung finanzieren kann – insbesondere angesichts der hohen Staatsverschuldungen in Ländern wie Deutschland und drohende Auswirkungen für Infrastruktur, Bildung, Klimaschutz und andere Bereiche. Was aus Sicht von Enders übrigens noch gegen die F-35 spricht, sind die hohen Beschaffungs- und Wartungskosten.

Deutschland braucht mehr Militär: Drohnen besser als Kampfjets?

Der frühere Airbus-Manager befürwortet stattdessen eine Fokussierung auf preiswertere Alternativen, wie zum Beispiel Kampfdrohnen: Software und Künstliche Intelligenz seien hier die zentralen Punkte, mit einer beliebigen Skalierbarkeit. Die Aufrüstung sei so günstiger und schneller möglich, dazu hält Enders eine Umrüstung von Automobil- zu Rüstungsfabriken wie in früheren Kriegen nicht für nötig.

Dieses Szenario kursiert bereits für bedrohte Volkswagen-Fabriken in Deutschland. (PF)