Nach seiner umstrittenen Verhaftung wegen Korruptions- und Terrorvorwürfen ist der Istanbuler Bürgermeister und führende Oppositionelle Ekrem İmamoğlu erneut verhört worden. In rund fünf Stunden Verhör habe er alle Vorwürfe abgewiesen, berichtet die Zeitung Cumhuriyet. İmamoğlu soll nun an ein Gericht überstellt und dort von Staatsanwälten befragt werden. Am vergangenen Freitag war er bereits vier Stunden lang von der Polizei verhört worden.
“Ich sehe heute bei meinem Verhör, dass ich und meine Kollegen mit unvorstellbaren Anschuldigungen und Verleumdungen konfrontiert sind”, sagte İmamoğlu während einer Anhörung, wie die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf interne Dokumente berichtete.
Seine Festnahme am vergangenen Mittwoch hatte türkeiweit zu Protesten geführt. Innenminister Ali Yerlikaya teilte am Samstag mit, dass bei den Protesten am Abend zuvor 343 Personen festgenommen worden seien. “Es wird keine Toleranz für diejenigen geben, die versuchen, die gesellschaftliche Ordnung zu stören, den Frieden und die Sicherheit des Volkes zu bedrohen und für Chaos und Provokation zu sorgen”, schrieb er.
Zugangsbeschränkungen für Istanbul verhängt
Das Istanbuler Gouverneursamt erließ derweil ein strengeres Protestverbot und verlängerte es. Ab Sonntag gelten auch Zugangsbeschränkungen für die Stadt, wie aus einer Mitteilung des Amtes hervorgeht. Menschen, die etwa an Demonstrationen teilnehmen wollen, sollen demnach nicht mehr in die Stadt gelassen werden. Wie das umgesetzt werden soll, war zunächst unklar.
Zusätzlich zu Demonstrationen und Versammlungen dürfen dann auch keine Plakate mehr aufgehängt, keine Flyer verteilt und keine Unterschriften mehr gesammelt werden. Auch Gedenkveranstaltungen sind verboten. Alle Maßnahmen gelten der Mitteilung zufolge vorerst bis Mittwoch um Mitternacht.
Social-Media-Nutzer festgenommen, Accounts gesperrt
Kritikerinnen und Kritiker werfen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan vor, einen politischen Gegner aus dem Weg räumen zu wollen. İmamoğlu sollte eigentlich am kommenden Sonntag als Kandidat der größten Oppositionspartei CHP für die Präsidentschaftswahl nominiert werden. Die Partei hält trotz der Festnahme an der Nominierung fest.
İmamoğlu verurteilte die Ermittlungen in einem X-Post am Samstag als “politischen Putsch” und fügte hinzu: “Ich rufe mein Volk auf. Mit eurer Unterstützung werden wir zuerst diesen Putsch vereiteln, und dann werden wir diejenigen fortschicken, die uns dies erleben ließen.”
Derweil wurden 56 Social-Media-Nutzer unter dem Vorwurf der Anstiftung zu Unruhen festgenommen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Berichten zufolge wurden zudem zahlreiche Seiten von feministischen und studentischen Zusammenschlüssen auf der Plattform X blockiert. Laut der türkischen Initiative zur Überwachung von Internetzensur EngelliWeb wurden seit der Festnahme mindestens 85 Accounts gesperrt. So war etwa auch die Seite der bedeutenden Frauenrechtsorganisation Mor Dayanışma am heutigen Samstag nicht erreichbar.