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In Deutschland haben sich die Strompreise seit 2010 verdoppelt. Laut einer aktuellen Studie wird dies so bleiben, wenn keine klugen Maßnahmen ergriffen werden.

München – Deutschland hat in den vergangenen 15 Jahren einen enormen Wandel im Energiesystem vollzogen – und wird in den kommenden Jahren noch mehr tun müssen. 2024 war der deutsche Strommix zu 60 Prozent erneuerbar. Für die verbleibenden 40 Prozent werden enorme Summen und Kraftanstrengungen mobilisiert werden müssen. Aus Sicht der Boston Consultung Group (BCG) droht Deutschland aber in eine Falle zu laufen, die die Kosten weiter in die Höhe treiben könnten. Ihren Berechnungen zufolge könnte die Energiewende nach aktueller Planung 320 Milliarden Euro zu teuer werden.

Prognosen für die Stromnachfrage sind zu hoch kalkuliert: Deutschland braucht nicht so viel Strom

Der größte Posten, der nach Ansicht der Beratergesellschaft zu hoch kalkuliert ist, betrifft die Nachfrageprognose. 215 Milliarden Euro könnte Deutschland einsparen, wenn die Prognosen angepasst würden. Ihrer Ansicht nach plant Deutschland zu viele Erneuerbare Energien – mehr, als bis 2035 realistisch betrachtet benötigt werden. Da der Netzausbau aber teuer ist, droht das die Preise unnötig zu erhöhen.

Weitere Einsparmöglichkeiten sieht die BCG in der höheren Flexibilitätsnachfrage (dynamische Stromtarife, flexibles Laden von E-Autos, Steuerung von Wärmepumpen könnten bis zu 50 Mrd. Euro sparen) oder durch den Zubau gesicherter Leistungen durch neue Gaskraftwerke (bis zu 50 Mrd. Euro Einsparungen möglich). Außerdem sollte der Einsatz von grünem Wasserstoff verschoben werden, da er absehbar nicht günstig zu erzeugen sein wird.

Atom-Ausstieg im Jahr 2011 hat die Stromkosten unnötig nach oben getrieben

Untersucht hat die Beratungsgesellschaft auch die Rolle der Atomkraft in Deutschland. Sie kommt zu dem Schluss, dass der Ausstieg aus der Kernenergie ab 2011 die Stromkosten steigen hat lassen. „Die deutsche Kernkraftflotte war bereits weitgehend abgeschrieben und hat deshalb vergleichsweise günstigen Baseloadstrom produziert, der nur durch eine teurere Alternative ersetzt werden konnte“, heißt es in der Studie.

Preistreiber war dabei der Netzausbau für die erneuerbaren Energien, der die Stromsystemkosten in den vergangenen 15 Jahren kontinuierlich gesteigert hat. Ein Teil dieser Kosten hätte es ohnehin gegeben, da auch mit der Kernenergie der Erneuerbaren-Ausbau vonnöten gewesen wäre; er wäre aber langsamer erfolgt.

Turm des Atomkraftwerkes Biblis fällt zusammen

Deutschland hat 2011 den Atomausstieg beschlossen. (Archivbild) © Frank Rumpenhorst/dpa

Der Atomausstieg hat außerdem die Dekarbonisierung des Stroms in Deutschland verlangsamt, da stattdessen Kohlekraftwerke länger am Netz bleiben mussten. Bis 2011 wurde 22 Prozent des deutschen Stroms aus emissionsfreier Atomkraft erzeugt.

Trotzdem sollten in Deutschland keine neuen Atomkraftwerke gebaut werden

Dem Wiedereinstieg in die Atomkraft erteilt die BCG aber eine klare Absage. Verglichen mit anderen europäischen Neubauprojekten, wie Hinkley Point C in Großbritannien und Flamanville 3 in Frankreich, würde ein neues Atomkraftwerk zunächst teuren Strom produzieren – genau genommen 50 Prozent teurer als der aktuelle Börsenstrompreis. „Ein Wiederanfahren der zuletzt stillgelegten Kraftwerke wäre sehr wahrscheinlich günstiger, hat aber sehr unsichere Realisierungschancen“, so die Autoren. Sie gehen außerdem davon aus, dass das deutsche Stromsystem bis zur Inbetriebnahme eines neuen Kernkraftwerks (15-20 Jahre Bauzeit) keinen großen Bedarf mehr an Bandlaststrom haben wird.

Kleinere Kernkraftanlagen wie SMNRs oder auch die Fusionskraft haben die Berater außen vor gelassen, da sie „keinen realistischen Beitrag zu Kostensenkungen im Stromsystem leisten können und damit eher Teil einer Innovationsagenda wären.“

Energiewende kann eine Wachstumschance für Deutschland sein: Strompreise werden sinken

Insgesamt betonen die Autoren der Studie, dass die Energiewende für die meisten Haushalte und Unternehmen zu günstigeren Strompreisen führen kann. Dazu müssten aber jetzt die richtigen Weichen gestellt und Fehlentwicklungen (wie z.B. zu viel Netzausbau) vermieden werden.

Und: Es werde auch dann noch Industriezweige geben, die nur mit Subventionen wettbewerbsfähig bleiben. Diese Branchen – wie Stahlproduktion oder Teile der Chemieindustrie – werden auch in Zukunft auf Entlastungen wie niedrige Stromsteuern und eine Strompreiskompensation angewiesen sein.

„Die globale Klimatransformation ist auf absehbare Zeit eine der größten Chancen, in Deutschland neue Industriewertschöpfung aufzubauen“, heißt es in der Studie. „Sektoren wie der Maschinen- und Anlagenbau sowie die Elektroindustrie haben in Energiewendetechnologien historische Wachstumschancen, benötigen im Standortwettbewerb mit Ländern wie China aber einen starken europäischen Heimatmarkt, um diesen in industrielles Wachstum zu übersetzen“. Die Energiewende kann also für Deutschland vielversprechend sein – sie muss aber richtig gemacht werden.