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Geld für die Rüstung ist jetzt da. Aber die Waffensysteme müssen auch gebaut werden. Die deutsche Branche blickt erwartungsvoll aufs Kanzleramt.
Rottach-Egern – Die Sorgen vor einem Angriff Russlands treibt Europa um. Deutschland und die EU wollen jetzt Tempo bei der Rüstung machen. Doch Fahrt aufnehmen muss dafür vor allem erst einmal die Rüstungsindustrie. Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), hat dem Münchner Merkur am Rande des „Unternehmertag 2025“ am Tegernsee erklärt, was dabei hilft – und wo Probleme liegen.
Sorge vor Angriff aus Russland: Rüstungsindustrie „vor großen Herausforderungen“
Herr Atzpodien, Rüstung und Verteidigung sind plötzlich in aller Munde. Spätestens seit dem Eklat um Wolodymyr Selenskyjs Besuch im Weißen Haus sogar mit großer Dringlichkeit. Spüren Sie da ein neues Image, eine neue Akzeptanz für die Rüstungsindustrie?
Diesen Wandel gibt es im Grunde schon seit Beginn des Ukraine-Krieges. Uns ist bewusster geworden, dass wir mehr für unsere Abschreckungs- und Verteidigungsbereitschaft tun müssen – und dass dazu eben auch entsprechende Ausrüstung gehört. Mittlerweile hat ja sogar die europäische Behörde ESMA, die sich um die Benennung von Anleiheklassen kümmert, entschieden, dass nachhaltige Anlagen Assets mit Rüstung beinhalten dürfen.

Friedrich Merz könnte bald bei der Rüstungsbeschaffung im Cockpit sitzen – die Branche wünscht sich eine deutsche „Führungsrolle“. © Montage: Michael Kappeler/picture alliance/dpa/Metodi Popow/Imago
Jetzt gibt es das neue EU-Weißbuch zur Verteidigung. Enthalten ist das Ziel, verstärkt in der EU einzukaufen. Freut Sie diese Nachricht – oder denken Sie vor allem an noch größere Herausforderungen?
Wir haben in der Tat sehr große Herausforderungen vor uns. Vielen Ländern steht viel mehr Geld für Rüstung zur Verfügung. Nun blicken natürlich alle auf die Industrie und fragen, wie schnell geliefert werden kann.
Wie kann die Industrie möglichst schnell liefern?
Die Voraussetzung ist im Grunde, dass der Bedarf an den gängigen Rüstungsgütern in Europa möglichst zusammengefasst vorliegt. Nur dann weiß die Industrie, auf welches Level sie ihre Kapazitäten heraufschrauben muss. Wenn jedes Land einzeln auf die Industrie zugeht, wird es sehr viel schwieriger. Genau darum geht es ja auch im neuen Weißbuch.
Aufrüstung in Europa: Industrie wünscht sich „Führungsrolle“ von Deutschland
Also ein guter Schritt aus Ihrer Sicht. Was kann die neue Bundesregierung tun?
Vor allem ist es ein guter Schritt, weil er respektiert, dass die Mitgliedsstaaten die entscheidende Rolle behalten. Und das ist auch die Überleitung zu Ihrer Frage: Deutschland ist jetzt absehbar das Land mit dem weitaus größten Verteidigungs- und Rüstungsbudget in Europa. Deshalb muss es aus unserer Sicht eine Führungsrolle für viele Beschaffungsthemen und Produkte übernehmen. Ich glaube, dass diese Ambition auch da ist.
„Führungsrolle”– was bedeutet das konkret?
Deutschland müsste sich an die Spitze stellen und sagen: ‚Wir wollen von dem und dem Rüstungsgut das und das beschaffen, wer macht mit?’ Dann könnten sich Gemeinschaften der Kaufwilligen ergeben – so kann man der Industrie im Grunde sehr schnell sagen, was benötigt wird. Entscheidend ist letztlich: welche Produkte, in welcher Stückzahl und in welcher Zeit?
Panzer, Drohnen, Luftabwehr: Waffen für die Ukraine

Wie schnell wird es denn gehen?
Ich glaube, wenn das Genannte gelingt, wird die Dynamik bei der Umsetzung deutlich größer wird, als wir das bisher erwarten. Denn wir haben in Deutschland zum Beispiel freiwerdende Kapazitäten im Automobilbereich. Wir müssen jetzt daran arbeiten, solche Ressourcen konsequent zu nutzen. Dazu braucht es einen allgemeinen, einen gesamtwirtschaftlichen Aufbruch. Die Bauwirtschaft steht bereit, die Automobilindustrie in Teilen steht bereit, die Maschinen- und Anlagenbauer stehen sowieso bereit. Das muss eben gut zusammen koordiniert werden.
Sie sprachen die Frage „welche Produkte?” an. Experten sagen, nötig seien weniger Panzer, denn Drohnen, KI, unbemannte Systeme. Wie ist Ihre Einschätzung?
Das ist eigentlich eine Frage für die militärische Seite. Ich glaube, es muss eine Mischung aus beidem sein. Mir sagen die Experten, wir brauchen im Grunde sowohl die Ausstattung für den hergebrachten Kampf auf dem Land als auch elektronische Rüstung – Drohnen, Drohnenabwehr und so weiter. Natürlich hat sich durch die Erfahrungen in der Ukraine die Kriegsführung geändert. Diese Lehren hat die NATO aufgenommen. Und daraus leitet sich der Bedarf ab. Den bestimmt nicht die Industrie, sondern die Planung der NATO und ihre Anforderungen an die Mitgliedsstaaten.
Russland greift bereits an: Rüstungsunternehmen brauchen wohl Schutz – „Das ist ein Thema“
Dennoch: Wenn Drohnen, KI und Co. eine Rolle spielen – braucht es nicht auch Forschung? Und einen überwölbenden Plan dafür?
Natürlich. Wenn wir auf lange Sicht mit unseren Technologien und unserer Industrie Abwehr- und Verteidigungsbereitschaft sicherstellen wollen, dann müssen wir innovativ bleiben. Das heißt: Um 2029 oder 2030 abschreckungsbereit zu sein, müssen wir jetzt einerseits sehr schnell in größerer Stückzahl das beschaffen, was es schon gibt. Aber zugleich müssen wir dafür sorgen, dass wir immer up-to-date und an der Spitze der Technologie bleiben.
Ein weiterer Hinweis einiger Experten: In der Ukraine lasse sich etwa Artilleriemunition sehr viel günstiger herstellen als in der EU. Macht da nicht Arbeitsteilung Sinn?
Es gibt ja schon Kooperationen zwischen europäischer und auch deutscher Industrie mit der ukrainischen Industrie. Das Thema spricht auch das Weißbuch sehr klar an – auch die Frage, was die EU von der ukrainischen Rüstungsindustrie lernen kann. Die wird ohnehin eine der starken europäischen Rüstungsindustrien sein. Wir sollten versuchen, gemeinsam das Beste für das Ziel „Abwehrbereitschaft bis 2030“ daraus zu ziehen.
Noch eine Frage zu „Abwehrbereitschaft“ im anderen Sinne: Russland führt offenbar bereits hybride Aktionen oder Sabotage in Deutschland durch. Müssen da auf Sicht auch Rüstungs-Produktionsstätten geschützt werden?
Ja, das ist ein Thema. Natürlich müssen wir unsere Rüstungsinfrastruktur sichern, wie andere Infrastrukturen auch. Ich denke, da wird man mehr machen müssen. Der Vizepräsident des Bundesverfassungsschutzes hat kürzlich auf einer Konferenz gesagt: Wir sind nicht hybrid bedroht, wir sind angegriffen, ständig. Also müssen wir uns auch gegen diese Angriffe schützen. (Interview: Florian Naumann)