Die Lage im Nahen Osten ist explosiv. Israel führt Krieg gegen die Terrorgruppe Hamas, der Gazastreifen ist zerstört und Donald Trump würde ihn gerne übernehmen. Zwei Expertinnen schätzen ein, wie es weitergehen könnte.
Ihre Freundschaft begann mit einem Streit über den Nahostkonflikt: Jenny Havemann störte sich an einem Beitrag von Susanne Glass – und kritisierte sie dafür heftig in der Kommentarspalte. Glass ärgerte sich, aber bot Havemann an, bei einem Kaffee darüber zu sprechen. Sie trafen sich – und wurden daraufhin Freundinnen und Geschäftspartnerinnen.
Jetzt haben die Journalistin und die Bloggerin zusammen ein Buch geschrieben, “Unser Israel gibt es nicht mehr”. Darin erzählen sie von ihrer Beziehung und dem Trauma des Terroranschlags am 7. Oktober 2023. Außerdem stellen sie ihre unterschiedlichen Positionen zu Israel und dem Gazastreifen gegenüber.
Wie weit ihre Meinungen stellenweise auseinanderliegen, zeigt sich im Gespräch mit t-online, in dem die beiden Autorinnen leidenschaftlich miteinander streiten.
t-online: Frau Havemann, Sie werden bei Vorträgen immer wieder antisemitisch angefeindet. Warum tun Sie sich das eigentlich an?
Jenny Havemann: Weil ich wahnsinnig stur bin. Außerdem hatte ich schon immer ein großes Gerechtigkeitsgefühl. Ich empfinde eine Verantwortung, auch für ältere Generationen. Ein Großteil meiner Familie wurde im Holocaust ermordet. Aber auch für die jetzige jüdische Generation spüre ich eine Art Mutterinstinkt und will für alle da sein, weil ich die Kraft dazu habe.
Wie oft erhalten Sie denn Morddrohungen?
Havemann: Das ist ganz unterschiedlich, mal mehr und mal weniger. Ich finde es furchterregend, dass viele antisemitische und islamistische Gruppierungen offenbar eine Art Stasi-Akte von mir haben. Aus dieser kramen sie oft Zitate von mir heraus, die ich irgendwann mal gesagt habe, zum Beispiel in einem Podcast.

(Quelle: Michael Sela/Langenmüller)
Jenny Havemann (*1986 in Dnipro, Ukraine) ist Bloggerin und Unternehmerin. Sie arbeitet mit Start-ups und berät Politiker und Organisationen über deutsch-israelischen Dialog und Antisemitismus. Sie ist Jüdin und wuchs in Deutschland auf. Heute lebt sie mit ihrem Ehemann Eliyah Havemann, Sohn von Musiker Wolf Biermann, und ihren drei Kindern in Israel.
Welche Vorsichtsmaßnahmen treffen Sie vor einer öffentlichen Veranstaltung?
Havemann: Wenn ich Vorträge halte, müssen sich die Organisatoren immer mit Polizei oder LKA abstimmen. Es sind fast immer Streifenwagen vor der Tür oder private Sicherheitsleute angeheuert. Das schränkt mich schon ein. Ich kenne aber auch viele jüdische Menschen, die so stark angefeindet wurden, dass sie nichts mehr öffentlich teilen und verstummt sind.
Vor einiger Zeit haben Sie Deutschland als “lost” (verloren) bezeichnet. Was haben Sie damit gemeint?
Havemann: Ich glaube einfach, dass nach dem 7. Oktober etwas gekippt ist. Nicht nur in Israel, sondern auch in Deutschland, Europa und den USA. Natürlich gab es auch schon davor Antisemitismus, aber das war in einem Rahmen, in dem man sich frei bewegen konnte. Das ist jetzt für jüdische Menschen an einigen Schulen, Universitäten und öffentlichen Veranstaltungen nicht mehr möglich.
Havemann: Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die Justiz verfolgt viel zu wenige Straftaten. Die Politik steckt nicht genug Geld in Projekte gegen Antisemitismus oder unterstützt die Falschen. Außerdem ist das Bildungssystem gefordert. Es gibt viele tolle engagierte Lehrkräfte, aber sie kommen gar nicht hinterher. Die sollten viel stärker Medienkompetenz, Demokratie und grundsätzliche Werte vermitteln als nur den Satz des Pythagoras.

(Quelle: Alex Goldgraber/Langenmüller)
Susanne Glass (*1970 in Schwäbisch Gmünd) ist Journalistin und langjährige ARD-Auslandskorrespondentin. Von 2016 bis 2021 war sie als Chefkorrespondentin im ARD-Studio Tel Aviv zuständig für Israel und die palästinensischen Gebiete. Derzeit leitet sie die Redaktion Ausland und politischer Hintergrund beim Bayerischen Rundfunk in München.
Kommen wir auf Ihr Buch zu sprechen. Warum haben Sie das zusammen geschrieben?
Susanne Glass: Ich habe das Projekt angestoßen. Ich fand es spannend, dass wir nicht vollkommen gegensätzlicher Meinung sind, aber viel miteinander gerungen und wertschätzend gestritten haben. Das war schon zu Beginn unserer Freundschaft so, als mich Jenny für ein geteiltes Foto hart angegangen ist. Ich hatte einen Mann in Betlehem fotografiert, der einen Pullover trug mit dem Schriftzug “We love Jerusalem – the capital of Palestine”. Das hatte Jenny damals sehr kritisch gesehen und mit mir über Social Media diskutiert. Zuvor hatten wir uns nur mal zufällig kennengelernt und ich dachte, dass ich jetzt überhaupt keine Lust mehr habe, mich mit dieser Frau zu treffen. Aber jetzt ist sie eine meiner besten Freundinnen und sie hat mein Leben verändert.