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Russland steigert seine Militäraktivitäten entlang der Nato-Ostflanke. Gleichzeitig stellt der Kreml seine Truppen nahe der finnischen Grenze neu auf. Was es damit auf sich haben könnte, erklärt der Militärexperte Emil Kastehelmi.

Armeestützpunkte werden ausgebaut und neue Schienen gelegt, die Rekrutierungszahlen steigen und die Produktion von Militärgerät läuft auf Hochtouren: Laut westlichen Militärexperten und Geheimdienstinformationen bereitet sich Russland mit Blick auf eine Zeit nach dem Angriffskrieg gegen die Ukraine auf eine Konfrontation mit der Nato vor. Dabei rückt verstärkt die Grenzregion zu Finnland in den Fokus.

Der finnische Analyst Emil Kastehelmi beobachtet die russischen Militäraktivitäten genau. Im Interview mit t-online berichtet er von einer russischen Militärreform, die die Nato-Ostflanke betrifft. “Diese Neustrukturierung des Militärs klingt abstrakt, hat jedoch weitreichende Folgen”, sagt Kastehelmi. Außerdem weiß der Militärexperte von der Reaktivierung eines eigentlich bereits verlassenen Flugplatzes der russischen Marine.

Herr Kastehelmi, Sie beobachten anhand öffentlich zugänglicher Daten wie Satellitenbilder die russischen Militäraktivitäten nahe der finnischen Grenze. Welche neuen Erkenntnisse haben Sie dabei zuletzt gewonnen?

Emil Kastehelmi: Die russischen Militäraktivitäten in dem Gebiet lassen sich in zwei Felder unterteilen: die Neuorganisation militärischer Einheiten und infrastrukturelle Maßnahmen. Die Neuorganisation bestimmt dabei die Aktivitäten, die wir derzeit am Boden beobachten können.

(Quelle: Armas Weselius)

Emil Kastehelmi ist ein finnischer Militärhistoriker und -analyst. Er arbeitet als Sonderredakteur bei der Zeitung “Iltalehti” und ist Mitbegründer der Analysegruppe Black Bird Group. Zuvor diente er als Nachrichtenoffizier in der Karelischen Brigade der finnischen Armee. Kastehelmi berichtet in Medien regelmäßig über den Ukraine-Krieg und veröffentlichte das Buch “Sturmbock”.

Stellt der Kreml sein Militär derzeit also völlig neu auf?

Zumindest in Teilen. Als Reaktion auf den Nato-Beitritt Finnlands entschloss sich der Kreml 2024 dazu, den Leningrader Militärbezirk als eigenständige Organisationseinheit wiederzubeleben. Dieser war zuvor gemeinsam mit dem Moskauer Militärbezirk sowie der Nord- und Ostseeflotte im Westlichen Militärbezirk aufgegangen. Heute umfasst er den Nordwesten Russlands, insbesondere auch die Inseln im Arktischen Ozean.

“Sollte man sich genau anschauen”: Bereitet Russland hier den Angriff auf die Nato vor?

Was bezweckt Russland damit?

Russland will die Nato-Präsenz in dem Gebiet kontern. Das ist paradox: Denn ursprünglich war es Russland selbst, das diese Präsenz und die Nato-Beitritte Finnlands und Schwedens durch seine Aggression in der Ukraine hervorgerufen hatte. Diese Neustrukturierung des Militärs klingt abstrakt, hat jedoch weitreichende Folgen.

Der neue Leningrader Militärbezirk fokussiert sich aktuell darauf, neue Einheiten zu bilden, die an der Nato-Ostflanke stationiert werden sollen. Brigaden mit Mannstärken von 3.000 bis 5.000 Soldaten werden zu Divisionen mit bis zu 12.000 Mann umgeformt. Noch sind diese Reformen im Gange. Es werden dort nicht unmittelbar neue Einheiten stationiert, und Russland kann noch auf Probleme bei der Rekrutierung und Ausrüstung der Einheiten stoßen. Das alles dient aber dazu, mehr Masse und mehr Feuerkraft für einen möglichen konventionellen Abnutzungskrieg bereitzustellen, wie er derzeit in der Ukraine tobt.

Mit welchen infrastrukturellen Maßnahmen unterstützt Russland diese Neuorganisation des Militärs?

Russland will in Petrosawodsk am Onegasee, rund 200 Kilometer von der finnischen Grenze entfernt, ein neues Armeehauptquartier errichten. Dazu sollen bestehende Stützpunkte in dem Gebiet ausgebaut werden. Anhand von Satellitenbildern kann ich bisher keine großen Veränderungen erkennen. Es gibt schon neue Lagerhallen aus den Jahren 2023 und 2024 sowie auch Bauten, die wohl zur Unterbringung von Soldaten dienen. Doch dass bisher nur kleinere Projekte umgesetzt sind, heißt nichts: Ein Hauptquartier zu errichten, bedeutet nicht, dass sofort Soldaten, Panzer und Ähnliches dort stationiert werden. Es können zunächst auch bereits bestehende Gebäude genutzt werden. Diesen Sommer könnte dort Größeres anstehen.

Außerdem heißt es, dass Russland dort massiv das Schienennetz ausbaut.

Auch das lässt sich erst im Sommer zuverlässig feststellen, wenn der Schnee geschmolzen ist und weitere Projekte erkennbar werden. Es gibt Berichte über Projekte im Leningrader Militärbezirk, die jedoch nicht zwingend mit der Militärreform zu tun haben müssen. Dies würde aus Sicht des Kremls aber durchaus Sinn ergeben: Wenn Russland seine Militärpräsenz in dem Gebiet ausbauen will, braucht es die nötige Infrastruktur. Im militärischen Sinne besonders interessant ist außerdem, was an russischen Flugfeldern in der Region passiert.

Was führt Russland dort im Schilde?

Russland reaktiviert und modernisiert alte Militärflugplätze. Nahe Murmansk und den Grenzen zu Finnland und Norwegen gibt es drei solcher Militärflugplätze: Seweromorsk 1, 2 und 3. Seweromorsk 2, auch bekannt als Safonowo, wurde 1998 geschlossen und war verlassen. Einige Hubschrauberlandeplätze wurden 2022 jedoch reaktiviert. Russland baut diesen Flugplatz jetzt weiter aus, bisher vor allem für Helikopter, doch bald könnten auch Kampfjets dort landen. Auch Seweromorsk 1 wurde renoviert und auf dem Flugplatz Seweromorsk 3 errichteten die Russen neue Schutzbauten für ihre Kampfflieger.