Pierre Vandier, Oberbefehlshaber der NATO für den Bereich Transformation, fordert ein engagierteres Handeln Europas in der wichtiger werdenden militärischen Domäne Weltraum. “Es kann keine europäische Souveränität ohne Anstrengungen im All geben”, sagte der französische Admiral dem Magazin Politico. Die EU-Staaten müssten dringend aufwachen, um Elon Musk und feindlichen Nationen wie China oder Russland nicht das Feld zu überlassen.
Auch NATO-Verbündete seien für ein stärkeres Engagement Europas im All, betonte Vandier. “Die Amerikaner selbst fordern eine Form der Emanzipation, dass die Europäer erwachsen werden und in vielen Bereichen besser werden – und dazu gehört auch der Weltraum.” Das sei eine riesige Chance. Denkbar sei im Rahmen des Verteidigungsbündnisses aber auch die gemeinsame Nutzung militärischer Satelliten-Konstellationen für Kommunikationsdienste.
Vor allem der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zeigt, wie wichtig Weltraumressourcen für die Kommunikation auf dem Gefechtsfeld und die Informationsbeschaffung sind. Er hat zugleich deutlich gemacht, wie abhängig Europa bei Breitbandinternet aus dem All aktuell von einer begrenzten Zahl US-amerikanischer Unternehmen ist – vor allem von Elon Musks Raumfahrtunternehmen SpaceX und dessen Angebot Starlink.
Die europäische “Infrastruktur für Resilienz, Interkonnektivität und Sicherheit durch Satelliten” (IRIS2) befindet sich noch im Aufbau und dürfte nicht vor 2030 im größeren Stil einsatzbereit sein. Im März bot sich der französisch-britische Betreiber Eutelsat als Ersatz für Starlink in der Ukraine an. Er benötigt aber finanzielle und logistische Unterstützung.
Orbitalwaffen und Jammer
Parallel dazu kristallisiert sich der Weltraum als potenzielles Kampfgebiet heraus. Anfang des Monats bezeichnete das US Space Command das All vor allem mit Blick auf China und Russland als “äußerst umkämpftes strategisches Umfeld”. NATO-Generalsekretär Mark Rutte zeigte sich besorgt, dass der Kreml die Stationierung von Atomwaffen im Weltraum anstrebe.
Aktuell gebe es eine Reihe von Akteuren, die Weltraumwaffen einführen, sagte Vandier. Er zählt dazu Orbitalwaffen in Form von Bomben, die in die Umlaufbahn gebracht und auf Befehl abgeworfen werden könnten, ohne dass Frühwarnsysteme die Möglichkeit hätten, sie zu entdecken. Andere gegnerische Objekte im All zielten darauf ab, Satelliten zu (zer-)stören oder aus der Umlaufbahn zu werfen. Europa und die NATO müssten daher dringend gegensteuern.
Die schnelle Militarisierung des Weltraums verändere auch die Architektur dieses Bereichs, führt der NATO-Kommandeur aus. Das erfordere von den Europäern, das Geschäftsmodell ihrer Rüstungsunternehmen zu überdenken. Im Weltraum stütze sich das Militär zunehmend auf kommerzielle Infrastruktur. Zudem seien die meisten dortigen Konstellationen auf “Dual Use” ausgerichtet, dienten also sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken.
Dual Use und New Space
Europäische Staaten sollten sich daher nicht mehr nur auf große Satelliten in geostationären Umlaufbahnen verlassen, rät Vandier. Sie bräuchten auch Backup-Konstellationen in niedrigen Umlaufbahnen. Dort fliegende Erdtrabanten kosteten zwischen 100.000 und 150.000 US-Dollar pro Stück, verglichen mit 300 bis 400 Millionen US-Dollar für einen einzelnen geostationären Satelliten. Erstere könnten ferner häufiger und zu geringeren Kosten gestartet werden.
Aktuell wird der New-Space-Sektor neuer Luft- und Raumfahrtunternehmen vor allem von SpaceX dominiert. In Deutschland bemühen sich junge Firmen wie Rocket Factory Augsburg (RFA) und Isar Aerospace, Mikrolauncher für Satelliten zum Fliegen zu bekommen. Ende März startete die Spectrum-Rakete von Isar Aerospace erfolgreich und hielt sich rund 30 Sekunden in der Luft. Dabei ging es vor allem ums Datensammeln.
Im April brachte das norwegische Rüstungsunternehmen Kongsberg seinen ersten Satelliten ins All, allerdings mithilfe von SpaceX. Vandier wirbt dafür, mit einem European Defense Act die Voraussetzungen für die Entstehung neuer Verteidigungstechnologien sowie einen Marktplatz drumherum zu schaffen.
(wpl)