Wenn man in diesen Tagen einen niederländischen Diplomaten dazu bringen will, gequält zu lächeln, muss man nur seinen Heimatstaat dazu beglückwünschen, das nächste Nato-Gipfeltreffen ausrichten zu dürfen. Denn normalerweise ist es ja eine Ehre für ein Nato-Land, die Staats- und Regierungschefs der anderen 31 Mitglieder der Allianz bei sich zu empfangen – ein festliches diplomatisches Großereignis.

Der Nato-Gipfel in Den Haag Ende Juni allerdings findet im Schatten der Politik eines Mannes statt, der wenig von der Nato hält und daraus auch keinen Hehl macht: Donald Trump. Zwar wird der US-Präsident wohl in die Niederlande reisen, um seine Kolleginnen und Kollegen zu treffen – das jedenfalls ist die Erwartung im Hauptquartier des Bündnisses in Brüssel.

Doch wenn die bisherigen Europa-Besuche von Trumps Vizepräsident J. D. Vance, von seinem Verteidigungsminister Pete Hegseth und seinem Außenminister Marco Rubio ein Maßstab sind, dann wird da kein wohlwollender Nato-Patriarch einfliegen, der den Verbündeten Amerikas Treue und Rückendeckung versprechen wird. Sondern ein grantelnder Europa-Verächter, der die Allianz für eine Abzockerbude und die anderen Mitglieder für Schmarotzer hält.

Ruttes wichtigste Mission als Nato-Generalsekretär: Trump bei Laune halten

Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die wichtigste Mission von Nato-Generalsekretär Mark Rutte seit Monaten einzig und allein darin besteht, Trump so gut es geht bei Laune zu halten. Die Gefahr, dass der US-Präsident sonst etwas Impulsives tun könnte, das den Kern der Abschreckungsfähigkeit der Nato existenziell beschädigt – etwa indem er den Abzug der US-Truppen aus Europa befiehlt oder gleich Amerikas Mitgliedschaft in dem Militärbündnis aufkündigt –, gilt als hoch. „Rutte hat nur ein Ziel – die Amerikaner in der Allianz zu halten“, sagt ein Diplomat in Brüssel.

Ein Weg, Trump nicht die Laune zu verderben, ist natürlich, zu tun, was er fordert. Und so reift in der Nato derzeit ein Plan, der noch vor Kurzem von europäischen Regierungsvertretern als undenkbar abgetan wurde: Die Mitgliedsländer der Allianz sollen sich verpflichten, ihre Verteidigungsausgaben pro Jahr auf fünf Prozent der Wirtschaftsleistung anzuheben. Also auf jenen Wert, den Trump im Januar bei einer Pressekonferenz aus dem Hut gezogen hat. Damals wurde das in Europa noch als Ausrutscher abgetan, als typische Trump’sche Übertreibung. Doch spätestens seit Rubio die Zahl vor einigen Wochen bei einem Nato-Außenministertreffen in Brüssel öffentlich wiederholt hat, gilt sie als neues und eigentlich nicht mehr verhandelbares Ausgabenziel: fünf Prozent.

Um einschätzen zu können, was das bedeutet, kann man sich die derzeit noch gültige Vorgabe der Nato für die Verteidigungsausgaben ihrer Mitglieder anschauen. Dieser sogenannte Defence Investment Pledge (DIP) liegt bei zwei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Im vergangenen Jahr erreichten 23 der 32 Nato-Staaten dieses Ziel, kein einziger aber kam auf fünf Prozent. Polen führte die Liste mit 4,1 Prozent an, die USA selbst lagen mit 3,4 Prozent auf Platz drei. Den Zielwert auf einen Schlag mehr als zu verdoppeln, würde mithin Mehrausgaben in Höhe von Hunderten Milliarden Euro verlangen.

Lässt sich so viel Geld überhaupt sinnvoll investieren?

Das wäre nicht nur aus haushälterischen Gründen ein Problem für die meisten Nato-Länder, deren Kassen leer und Schulden hoch sind. Fachleute argumentieren auch, dass so viel Geld überhaupt nicht sinnvoll investiert werden könne. Weder habe die westliche Rüstungsindustrie die Produktionskapazitäten, um derartige Summen zu absorbieren, noch hätten die europäischen Armeen genügend Personal, um all die neuen Waffensysteme zu bedienen.

Nun gibt es in der Nato einen breiten Konsens, dass das seit 2014 geltende Zwei-Prozent-Ziel überholt ist. Das hat mit dem russischen Angriff auf die Ukraine zu tun, aus dem für die Allianz ein neues Bedrohungsszenario folgte. Die Nato benötigt plötzlich wieder große, schwere Landstreitkräfte, um sich schützen zu können. Es hat aber auch mit dem dringenden – und von Trump jetzt besonders ruppig geäußerten – amerikanischen Wunsch nach einer neuen Lastenteilung zu tun. Die Europäer, so fordern es die USA, sollen sich zumindest um ihre konventionelle Verteidigung künftig in erster Linie selbst kümmern.

In Europa haben diese beiden Entwicklungen zu der Einsicht geführt, dass das Ausgabenziel in Den Haag deutlich angehoben werden muss. Allerdings war bisher eben eher von einem neuen DIP in Höhe von um die 3,5 Prozent die Rede. Dieser ergibt sich, grob gesagt, wenn man die Budgetplanung nach rationalen Methoden macht, wie die Europäer es bevorzugen würden: Ihren Vorstellungen zufolge sollte die Nato mit einer Analyse der Bedrohungslage beginnen, daraus dann die notwendigen militärischen Kapazitäten und Fähigkeiten ableiten, um der Gefahr zu begegnen – sprich: die Art der Waffen und die Zahl der Soldaten –, und erst dann die erforderlichen Investitionen berechnen. Einfach wie Trump zu sagen: fünf Prozent, stößt in Europa auf wenig Begeisterung.

Ein Teil des Budgets könnte für Maßnahmen genutzt werden, die nur indirekt mit Verteidigung zu tun haben

Dennoch muss aus politischen Gründen das Fünf-Prozent-Ziel wohl in Den Haag in irgendeiner Form bestätigt werden. Ruttes Plan ist daher nach Angaben von Diplomaten, ein bisschen kreativ zu rechnen: Zum einen soll ein neuer offizieller DIP in Höhe der sachlich zu rechtfertigen 3,5 Prozent beschlossen werden. Darin würden dann alle Ausgaben von Nato-Ländern eingerechnet werden, die nach der Definition der Allianz im engeren Sinne für Verteidigung getätigt werden: der Kauf von Munition, Waffen und Militärgerät aller Art – von der Gewehrpatrone bis zum Kampfjet –, die Forschung und Entwicklung im militärischen Bereich, vor allem aber der Unterhalt von Armeen.

Hinzu soll jedoch eine zweite, etwas vager definierte Ausgabenkategorie kommen, die – kein Zufall – bei 1,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung liegen soll. Das unter dieser Rubrik ausgegebene Geld soll allgemein der Sicherheit dienen. Der Fantasie sind in dieser Hinsicht wenig Grenzen gesetzt, Nato-Vertreter geben zu, dass die Regierungen in diesem Bereich „mehr Spielraum als bei den harten Verteidigungsausgaben“ hätten. So könnte, sollte Ruttes Plan in die Praxis umgesetzt werden, zum Beispiel die Renovierung oder Verstärkung von Straßen und Brücken, damit sie Panzertransporte aushalten, als sicherheitsrelevante Ausgabe an die Nato gemeldet und auf das neue Fünf-Prozent-Ziel angerechnet werden.

Denkbar wäre das dann auch bei Ausgaben für den Schutz von Computernetzwerken, für den Zivilschutz, sogar – wie manche Fachleute anregen – für die Kosten, die entstehen, wenn ein Nato-Land seine Abhängigkeit von russischen Energielieferungen reduziert. „Es sollte halt nur irgendwie einen klaren Bezug zu Verteidigung haben“, sagt ein Diplomat. Denn am Ende zählt ohnehin nur eins: dass Donald Trump zufrieden ist.