Heidi Reichinnek nötigt Sören Pellmann, ihren Co-Chef in der Bundestagsfraktion, noch zu einem kleinen Tanz, bevor sie auf der Parteitagsbühne in Chemnitz abermals das Ergebnis der Linken bei der Bundestagswahl feiert. „Es ist so ein verdammt gutes Gefühl, endlich mal wieder gewonnen zu haben“, ruft der Shootingstar der Linken der Halle zu. Bei den kommenden Wahlen will Reichinnek daran anknüpfen, hierfür stellt sich die Linke in Chemnitz auf.
Die Partei versucht sich dabei an einem Spagat. Einerseits will man eine radikale Alternative bleiben. So forderte Reichinnek diese Woche, den Kapitalismus zu stürzen. Andererseits sind ohne die Linke Zweidrittel-Mehrheiten im Bundestag nicht mehr möglich. Als CDU-Chef Friedrich Merz am Dienstag bei der Kanzlerwahl im ersten Wahlgang durchfiel, gab sich die Linke staatstragend und ermöglichte einen zweiten Wahlgang. Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) dachte danach laut darüber nach, ob die Union ihren Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken nicht überdenken muss.
Aus der Isolation wird die Linke allerdings nur finden, wenn sie ein altbekanntes Problem überwindet: den Antisemitismus in den eigenen Reihen. Auf X postete Ulrike Eifler, die zum erweiterten Parteivorstand gehört, am Dienstag eine Grafik, in der ein freies Palästina gefordert wird. Das Problem: Zu sehen ist in der Grafik nicht nur Gaza und das Westjordanland, sondern ganz Israel.
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Der Parteivorstand der Linken distanzierte sich zwei Tage später von der „bildlichen Darstellung, die unter dem Deckmantel der Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung die Existenz Israels negiert oder die Auslöschung Israels propagiert“. Indirekt rief er Eifler auf, den Post zu löschen.
Er steht jedoch weiter im Netz. Zudem solidarisierte sich die linke Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke mit Eifler. Eifler selbst zeigt sich uneinsichtig und bedankt sich bei ihren Unterstützern für die Solidarität.
Wieder Streit um Israel-Kurs
In den sozialen Medien streitet die Linke seitdem öffentlich über ihren Israel-Kurs. So schrieb der Brandenburger Co-Linkenchef Sebastian Walter bei X, dass alle, die die Positionierung des Parteivorstands nicht mittragen könnten, nicht in die Linke gehörten. Ein „irrer Tweet“, kommentierte Gohlke. Walter hat den Post inzwischen gelöscht.
In einem anderen Post betont Walter allerdings noch einmal, wie ausgewogen der Beschluss des Parteivorstands ist. Denn darin wird nicht nur das Existenzrecht Israels verteidigt. Der Vorstand solidarisiert sich auch mit den Palästinensern. Neben dem Terror der Hamas wird auch jede völkerrechtswidrige Kriegshandlung der israelischen Armee verurteilt.
Der Parteivorstand referiert damit noch mal die Kompromisslinie, die im Oktober auf dem letzten Parteitag in Halle beschlossen wurde. Damit sollte der Dauerstreit um den Nahost-Konflikt in der Partei befriedet werden.
Zwei strittige Anträge
Auf dem Parteitag in Chemnitz standen an diesem Samstag aber wieder zwei strittige Anträge zum Nahostkonflikt auf der Tagesordnung. Ein Antrag aus Baden-Württemberg wirft Israel einen Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung vor. Das queerfreundliche Klima in israelischen Städten wie Tel Aviv wird in dem Antrag als „Pinkwashing“ diffamiert.
Als problematischer erwies sich allerdings ein Antrag aus Berlin, wonach deutsche Behörden die „Arbeitsdefinition-Antisemitismus“ der „International Holocaust Remembrance Alliance“ (IHRA) durch die Jerusalemer Erklärung ersetzen sollen. Laut dieser Definition ist auch die BDS-Bewegung, die Israel boykottieren will, nicht zwingend antisemitisch.
In der Aussprache warnte Jan van Aken die Delegierten vor der Annahme dieses Antrags. Die Linke könne einen wissenschaftlichen Streit über die Definition von Antisemitismus nicht per Parteitagsbeschluss entscheiden. Der Parteichef fürchtete aber vor allem, dass damit der Kompromiss von Halle über den Haufen geworfen wird.
In der Gegenrede erklärte ein junges Parteimitglied, dass durch die Definition der IHRA jegliche Kritik an der israelischen Regierung als Antisemitismus diffamiert werden könne. „Und das akzeptieren wir nicht.“
Antisemitismus sei kein Vogelschiss. Als antifaschistische Partei stelle man sich jeglichem Antisemitismus entgegen. „Aber, was gerade in Gaza passiert, ist auch kein Vogelschiss.“ Man sei an der Seite des jüdischen Lebens, aber man sei auch an der Seite des Lebens in Palästina, „und dort geht Israel inakzeptabel vor“.
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Diese Position setzte sich bei der Abstimmung schließlich mit 213 zu 181 Stimmen durch. Die Linke hat sich damit offiziell von der IHRA-Definition verabschiedet. Der Umgang mit Israel ist damit seit diesem Samstag wieder ein Problem für die Linke.