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V.l. Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Dr. Brigitte Knopf, Prof. Dr. Hans-Martin Henning, Dr. Barbara Schlomann. © jürgen Heinrich/IMAGO
Laut dem neuen Prüfbericht des Klima-Expertenrats hält Deutschland sein CO₂-Einsparziel für 2030 vor allem dank der Wirtschaftsschwäche ein / Von Jörg Staude
Forscher und Forscherinnen, die sich mit Emissionsprognosen befassen, sind nicht zu beneiden. Schauen wir aufs deutsche Klimaschutzgesetz: Beim Start 2021 lagen die jährlichen CO₂-Emissionen bei 729 Millionen Tonnen. Im Zieljahr 2030 sollen es nur noch 438 Millionen sein. Das gesamte CO₂-Budget, das per Gesetz über die zehn Jahre gewissermaßen verwaltet wird, beträgt knapp 6,2 Milliarden Tonnen.
Geht es darum, solche Emissionsmengen nicht zu überschreiten, wird oft auf die Klimapolitik geschaut, auf den Ausbau der Erneuerbaren oder das Wachstum bei E-Autos und Wärmepumpen. Schaut man aber zurück und in die Gegenwart, haben häufig nicht klimapolitische Schritte die größte CO₂-Wirkung, sondern ganz andere Effekte. Im Falle Deutschlands waren das nach 2020 die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg mit seiner Energiepreiskrise sowie die seit mindestens drei Jahren anhaltende Wachstumsschwäche.
Vor allem aufgrund dieser Sondereffekte und Krisen baute Deutschland bis Ende 2024 einen enormen „CO₂-Puffer“ auf. Derzeit beträgt er etwas mehr als 110 Millionen Tonnen und wird bis Ende 2030 auf etwa 80 Millionen Tonnen abgeschmolzen sein. Das sagt das Umweltbundesamt (UBA) in seiner jüngsten, im März vorgelegten Prognose für 2030 voraus – und diese bestätigte nun der für die Prüfung zuständige Expertenrat für Klimafragen am Donnerstag.
Die unmittelbare Folge: Die Regierung muss in diesem Jahr keine zusätzlichen Schritte für den Klimaschutz in Angriff nehmen. Es bleibt aber die gesetzliche Pflicht, bis März 2026 ein neues umfassendes Klimaschutzprogramm zu beschließen, betont der Klimarat. Erste Vorstellungen müssten die Ressorts sogar schon bis Ende September auf den Tisch legen.
Ganz so glatt ging es mit der Bestätigung der UBA-Prognose allerdings nicht. Man sei zwar zum Ergebnis gekommen, dass die UBA-Daten die Emissionsmengen bis 2030 „tendenziell unterschätzen“, ist im Prüfbericht des Klimarats zu lesen. Das „Maß der Unterschätzung“ liege aber etwa in der Größe des erwähnten „Puffers“. Anders gesagt: Die Reserve von 80 Millionen Tonnen ist nunmehr groß genug, dass bis 2030 das gesamte Budget von rund 6,2 Milliarden Tonnen irgendwie plus minus Null doch eingehalten werden kann.
Schwache Entwicklung und milder Winter
Dieses Okay des Expertenrats kam für viele überraschend. Denn letztes Jahr hatte das Gremium noch festgestellt: Deutschland wird sein CO₂-Gesamtbudget von 6,2 Milliarden Tonnen bis 2030 nicht einhalten und so das gesetzliche Klimaziel verfehlen. Als wesentlichen Grund für den Sinneswandel gab der Expertenrat veränderte Rahmenbedingungen an. Das meint wieder vor allem die Wirtschaft, eine geringere Erzeugung der Industrie und einen geringeren Gütertransport. Die Wirtschaftsentwicklung 2024 sei noch schwächer gewesen, als man bei der letzten Prognose vorausgesagt habe, erläuterte Ratsmitglied Barbara Schlomann.
Dazu kam noch ein milder Winter. All das ließ, vereinfacht gesagt, den für 2030 vermutlich noch übrigbleibenden CO₂-„Puffer“ sogar noch von rund 40 Millionen Tonnen auf die aktuellen 80 Millionen anwachsen – und diese Reserve trägt Deutschland jetzt bis 2030.
Dass die Bundesrepublik ihr Klimaziel aus anderen Gründen als Klimapolitik erreicht, betonte auch Ratsvorsitzender Hans-Martin Henning. Ohne den Puffer, der sich 2021 bis 2024 unter anderem durch Corona und die schwache Wirtschaft aufgebaut habe, wäre bis Ende 2030 mit hoher Wahrscheinlichkeit eine deutliche Budgetüberschreitung zu erwarten gewesen.
Allerdings bewahrt der „Puffer“ nach bisherigem Stand Deutschland nicht davor, ein anderes Klimaziel zu reißen – und zwar die Verpflichtung, die Treibhausgas-Emissionen von 1990 bis 2030 um 65 Prozent zu senken. Denn hierfür zählt nur, was im Jahr 2030 selbst an fossilen Brennstoffen wie Kohle, Gas und Öl verbrannt wird und was sonst noch an Emissionen entsteht. Da geht es nicht um ein Budget über zehn Jahre, sondern nur um das eine Jahr.
Und nach jetziger Prognose werden die Emissionen 2030 wohl nicht bei den klimagesetzlich vorgeschriebenen 438 Millionen Tonnen liegen, sondern deutlich darüber. Die CO₂-Reduktion erreicht so nur 63 Prozent. Das hat auch das UBA so vorausgesagt. Die attestierte Einhaltung des Gesamtbudgets sei „keine Entwarnung“, betont auch Brigitte Knopf. „Letztlich werden alle anderen Ziele des Klimagesetzes nicht eingehalten“, erklärt die Vizevorsitzende des Expertenrats.
Was alles nicht eingehalten wird – diese Aufzählung ist so lang wie bekannt. In die Liste bekannter Probleme in den Bereichen Gebäude und Verkehr nimmt der Expertenrat ausdrücklich die neue Lage im Sektor Landnutzung auf.
Insbesondere Wälder seien keine CO₂-Senke mehr, sondern zu einer CO₂-Quelle geworden, warnt der Klimarat. Statt 2045 rund 35 Millionen Tonnen CO₂ der Atmosphäre zu entnehmen, werden Wälder und Co nach jetzigem Stand dann in etwa diese Menge abgeben.
Langfristige Klimaziele weiterhin in Gefahr
Dass erfolgreiche Klimapolitik – wie die Zahlen des Expertenrats nahelegen – sich bisher vor allem im Brennstoffwechsel von fossil zu erneuerbar erschöpft, hat langfristig gravierende Folgen. Für den Zeitraum bis 2040 drohen die Emissionsvorgaben so um 500 Millionen Tonnen überzogen zu werden. Das Klimaziel für 2040 – eine CO₂-Reduktion um 88 Prozent – wird nach übereinstimmenden Angaben von Expertenrat und UBA wahrscheinlich um acht Prozentpunkte verfehlt.
Noch schlimmer sieht es für 2045 aus, das Jahr, in dem Deutschland klimaneutral sein soll. Derzeit werden Emissionen von 250 Millionen Tonnen CO₂ prognostiziert.
In den schwarz-roten Koalitionsvertrag setzt Brigitte Knopf dabei wenig Hoffnung. Von diesem gehe „kein nennenswerter positiver“ Impuls für das 2030er Klimaziel aus, sagt die stellvertretende Ratsvorsitzende. Zu vieles bleibe vage oder aufgrund der unklaren Ausgestaltung des Heizungsgesetzes oder des Sondervermögens werde nicht deutlich, wie die Vorkehrungen dann wirken.
Emissionssteigernd, so Knopf, würden auf jeden Fall die geplante höhere Pendlerpauschale oder die verzögerte Umsetzung der europäischen Gebäuderichtlinie wirken.