In den Ausschüssen des Bundestags findet die eigentliche gesetzgeberische Arbeit des Parlaments statt. Rund zwei Monate nach der konstituierenden Sitzung wurden 24 Gremien eingesetzt, damit ist die Arbeitsfähigkeit hergestellt.

Die Tagesspiegel-App Aktuelle Nachrichten, Hintergründe und Analysen direkt auf Ihr Smartphone. Dazu die digitale Zeitung. Hier gratis herunterladen.

Die Frage, welche Fraktion die Vorsitzende oder den Vorsitzenden stellt, war noch bis Dienstagnachmittag völlig offen. Diese Posten sind besonders begehrt, auch weil sie öffentliche Aufmerksamkeit bringen.

Ihre Verteilung hängt von der Größe der Fraktionen ab – und genau da liegt die Brisanz: Stichwort AfD. Zur Erinnerung: Bei der Bundestagswahl erzielte die in Teilen als gesichert rechtsextrem geltende Partei 20,8 Prozent der Stimmen und ist nach der Union zweitstärkste Fraktion im Parlament.

In diesen Ausschüssen wollte die AfD die Vorsitzenden stellen: Haushaltsausschuss: AfD in Wahl gescheitert.Finanzausschuss: AfD in Wahl gescheitert.Rechtsausschuss: AfD in Wahl gescheitert.Arbeit/Soziales: AfD in Wahl gescheitert.Innenausschuss: AfD in Wahl gescheitert.Petitionsausschuss: AfD in Wahl gescheitert. AfD scheitert bei Wahl um Ausschussvorsitze

Am Mittwochnachmittag dann die Gewissheit: Im wichtigen Haushaltsausschuss sowie in den Ausschüssen für Recht, Arbeit, Finanzen, Inneres und Petitionen scheiterten die von der AfD-Fraktion vorgeschlagenen Kandidatinnen und Kandidaten, wie der Bundestag mitteilte. Dort stimmte jeweils eine Mehrheit in der geheimen Wahl gegen sie.

Die für die Leitung des Haushaltsausschusses vorgeschlagene AfD-Politikerin Ulrike Schielke-Ziesing erhielt demnach keine Mehrheit. Auch der AfD-Kandidat für den Rechts- und Verbraucherschutzausschuss, Stefan Möller, fiel bei der Wahl durch, wie der Bundestag zwischenzeitlich mitteilte.

Unionsführung sprach sich vor Wahl für AfD-Ablehnung aus

Bereits seit Wochen wird intensiv über den Umgang mit den Rechten bis hin zu einem möglichen Verbotsantrag debattiert, befeuert auch durch Aussagen von Jens Spahn (CDU), dem frisch gewählten Unionsfraktionsvorsitzenden. Er hatte sich dafür ausgesprochen, die AfD im Bundestag wie jede andere Oppositionspartei zu behandeln. Dazu kam die – vorübergehende – Einstufung der gesamten AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ durch den Verfassungsschutz.

Der AfD wurde aufgrund ihrer Größe der Vorsitz in sechs Ausschüssen zugesprochen: Haushalt, Finanzen, Innen, Recht, Arbeit/Soziales und Petitionsausschuss. Die Posten für die Ausschussvorsitzenden wurden früher in den konstituierenden Sitzungen im Konsensverfahren vergeben.

Geplante Vorsitze für 24 Gremien

Die Entscheidung im Ältestenrat folgte einem rein mathematischen Verfahren entsprechend der Fraktionsgrößen im Parlament. Die Fraktionen durften reihum ihre Favoriten unter den 24 Gremien auswählen.

CDU/CSU (8): Auswärtiges, Verteidigung, Wirtschaft, Landwirtschaft, Digitales, Menschenrechte, Entwicklung, Tourismus. AfD (6): Haushalt, Finanzen, Innen, Recht, Arbeit/Soziales und Petitionsausschuss.
SPD (5): Bildung/Familie, Gesundheit, Forschung, Wahlprüfung/Geschäftsordnung und Sport/Ehrenamt
Grüne (3): EU, Kultur und Medien, Verkehr
Linke (2): Wohnen, Umwelt/Klimaschutz

Wie schon in der vergangenen Wahlperiode galt allerdings als sicher, dass in den Gremien, denen eigentlich die AfD vorsitzen soll, die anderen Fraktionen wieder auf eine Wahl bestehen werden – und die Rechten wieder leer ausgehen. Juristische Handhabe dagegen hat die Partei dem Bundesverfassungsgericht zufolge nicht.

Der Unions-Parlamentsgeschäftsführer Steffen Bilger (CDU) ließ bereits am Dienstag vor der Wahl verlauten, dass die Fraktionsführung den Abgeordneten von CDU und CSU eine Ablehnung vorschlage. „Wir gehen davon aus, dass keiner der AfD-Kandidaten Vorsitzender wird“, prognostizierte er im Vorfeld – und behielt letztlich recht.

Wir werden zukünftig nicht mehr daran vorbeikommen, anders mit der AfD umzugehen als bisher.

Hendrik Hoppenstedt, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Unions-Abgeordneter kritisierte Strategie

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hendrik Hoppenstedt, kritisierte dies am Mittwoch. Er halte es für falsch, dass die Unionsfraktion keinen Ausschussvorsitzenden der AfD-Fraktion mitwählen werde, sagte er der „Bild“-Zeitung. Ziel müsse es bleiben, die AfD „mit allen Mitteln zu bekämpfen“, sagte der 52-Jährige. „Angesichts der anhaltenden Zustimmung der Wähler werden wir jedoch zukünftig nicht mehr daran vorbeikommen, anders mit der AfD umzugehen als bisher.“ 

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hendrik Hoppenstedt, steht im Bundestag.

© Imago/dts Nachrichtenagentur

Zwar stelle er sich „in den Dienst“ der gemeinsamen Entscheidung mit dem Koalitionspartner SPD, gegen die Kandidaten der AfD zu stimmen, sagte Hoppenstedt. „Jedoch bin ich der festen Überzeugung, dass wir damit das AfD-Problem nicht an der Wurzel packen.“ 

Hoppenstedt betonte, in den Ausschüssen würden die Entscheidungen „von unserer Regierungsmehrheit getroffen“. Und weiter: „Wenn sich Ausschussvorsitzende danebenbenehmen sollten, würden das die Wähler mitbekommen und sicher quittieren. Und wir würden sie dann auch umgehend abwählen“, sagte er.

Das entspricht dem Buchstaben der Verfassung, aber nicht dem Geist der Verfassung.

Volker Boehme-Neßler, Staatsrechtler

Wie reagiert die AfD auf die Postenverteilung?

Die AfD-Chefs Alice Weidel und Tino Chrupalla sprachen nach der Wahl von Ausgrenzung und Diskriminierung der größten Oppositionskraft. „Wir fordern endlich die anderen Parteien auf, diese Spielchen zu beenden“, sagte Chrupalla. Man habe „hochqualifizierte und untadelige Persönlichkeiten aufgestellt“, sagte Weidel. Diese würden im Akt einer parteipolitischen Willkür nicht gewählt.

Bereits im Vorfeld vor der Wahl hatte Weidel betont: „Uns haben über zehn Millionen Wähler gewählt. Diese zehn Millionen weiter zu ignorieren, verstößt gegen das Demokratieprinzip.“ Die AfD präsentiere „qualifiziertes Personal“ für die Posten. Das Fernhalten von AfD-Politikern von Leitungsposten in den Bundestagsausschüssen habe sich „abgenutzt“.

Staatsrechtler: AfD-Ablehnung entspricht nicht „demokratischem Geist“

Der Staatsrechtler Volker Boehme-Neßler kritisierte das Vorgehen der anderen Parteien. Boehme-Neßler sagte am Mittwoch in einem Interview mit dem Sender Welt TV: „Das entspricht dem Buchstaben der Verfassung, aber nicht dem Geist der Verfassung.“  

Auch die Opposition habe nach dem Grundgesetz starke Rechte: „Die Verfassung will, dass alle Mitglieder des Bundestages einbezogen werden und mitmachen. Diesem zutiefst demokratischen Geist entspricht das natürlich nicht.“ 

Für unzulässig hält Boehme-Neßler es auch, dass im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Ausschuss-Vorsitzenden auf die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als rechtsextremistisch verwiesen werde. Juristisch sei das Gutachten des Verfassungsschutzes „völlig wertlos“.

Mehr Aktuelles aus dem Politik-Ressort Ausschüsse und Fraktionssaal Was die AfD in dieser Woche voraussichtlich nicht bekommt – und warum Scharfmacherin Christina Baum Die Schlüsselfigur des AfD-Gutachtens „BSW wird weiterhin dringend gebraucht“  Wagenknecht will Jugendverband gründen

Boehme-Neßler sagte weiter: „Man versucht, einen juristischen Popanz aufzubauen, den man dann politisch ausschlachtet“. Darum werde das Gutachten auch in der Frage der Ausschuss-Vorsitzenden herangezogen. Der Staatsrechtler äußerte den Verdacht: „Das sind vorgeschobene Begründungen. Es geht in Wirklichkeit um die Macht. Es geht um die nackte Macht – und um sonst gar nichts.“