AboDebatte zu Sexkaufverbot –
Jetzt kommen Freier in der Schweiz unter Druck
Sexkauf soll strenger reguliert werden – das fordern Politikerinnen aus mehreren Parteien und Kantonen. Die Mitte-Frauen prüfen eine Volksinitiative. Auch Männer setzen sich für einen besseren Schutz der Frauen in der Prostitution ein.

Der Sexmarkt im Fokus der Politik: Leuchtreklame an der Zürcher Langstrasse.
Foto: Dominique Meienberg
Es ist ein Milliardenbusiness: 350’000 Männer in der Schweiz kaufen mindestens einmal pro Jahr Sex. Das entspricht jedem fünften Mann im Erwachsenenalter – eine immense Nachfrage. Dafür prostituieren sich bis zu 20’000 Personen, grossmehrheitlich Frauen, in Bordellen oder auf der Strasse. Die Zahlen sind Schätzungen von Fachstellen; das Sexgewerbe ist in der Schweiz eine legale, aber keine transparente Branche.
Die Frauen arbeiten häufig unter prekären Bedingungen. Gewalterfahrungen gehören zu ihrem Alltag, wie zahlreiche Milieustudien belegen. Menschenhandel ist verbreitet, die organisierte Kriminalität sichert den Bedarf an zumeist jungen Frauen aus fernen Ländern. So schleust etwa die nigerianische Mafia Mädchen mit falschen Versprechen durch Europa in die Schweiz, um sie hier zwangsweise zu verkaufen.
Trotz ihrer Dimensionen und der verbreiteten Missstände ist Prostitution politisch bislang ein Nischenthema. Das soll sich jetzt ändern: Aus der politischen Mitte kommt Druck, die Frauen besser zu schützen und Freier und Bordellbesitzer stärker in die Verantwortung zu nehmen. Die Frauensektion der Mitte-Partei hat soeben ein Grundlagenpapier dazu verabschiedet, bereitet nun diverse Vorstösse vor – und prüft auch eine Volksinitiative für ein nationales Prostitutionsgesetz.
«Nur wenige Menschen prostituieren sich freiwillig», sagt Christina Bachmann-Roth, Präsidentin der Mitte-Frauen. Die Mehrheit dieser Frauen seien Opfer von Armut, Zwang, sozialen und ökonomischen Abhängigkeiten, Gewalt oder sogar Menschenhandel. «Wir wollen uns für sie einsetzen.» Bachmann-Roth und ihre Mitstreiterinnen wollen eine nationale Reform anstossen, um den Sexmarkt stärker zu kontrollieren und einzuschränken.
Prostitution ist heute mehrheitlich kantonal geregelt. Auf Bundesebene ist bislang Menschenhandel, Zuhälterei und bezahlter Sex mit Minderjährigen strafbar. Neue strafrechtliche Verschärfungen für Freier müssten ebenfalls national verankert werden.
So sollen nach dem Willen der Mitte-Frauen Sexkäufer unter Strafandrohung verpflichtet werden, das Alter und Arbeitsumfeld der Frauen inklusive Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung genauer zu überprüfen. Verdacht auf Menschenhandel oder Zwang müssten die Freier der Polizei proaktiv melden. Zudem sollen sie bestraft werden, wenn sie Sex ausserhalb der definierten Strichzonen kaufen. Bordelle müssten überdies stärker kontrolliert werden. Weiter soll eine Kondompflicht eingeführt und die Freier zu Schulungen verpflichtet werden, wenn sie gegen diese Auflagen verstossen, wie Bachmann-Roth sagt.
Gleichzeitig sollen gemäss dem Papier die Prostituierten besseren Zugang zur Gesundheits- und Altersvorsorge erhalten und Ausstiegswillige mit staatlich finanzierten Programmen unterstützt werden. Ausserdem soll die Präventionsarbeit über die Risiken der Prostitution intensiviert werden.
Das Papier war kontrovers diskutiert worden, ehe es Mitte Mai verabschiedet wurde. Die Mutterpartei hat noch keine konsolidierte Haltung zum Thema – die interne Debatte steht am Anfang. Die Frauensektion könne unabhängig Positionen erarbeiten, sagt Mitte-Präsident Gerhard Pfister dazu.
Ein Schweizer Weg in der Prostitution
Die geforderten Massnahmen erinnern an das sogenannte nordische Modell, das vor 26 Jahren in Schweden eingeführt wurde und ebenfalls Ausstiegsprogramme für Prostituierte sowie Aufklärungs- und Präventionsarbeit umfasst. Mit einer Ausnahme: In Schweden gilt ein striktes Sexkaufverbot. Auch Länder wie Norwegen, Kanada oder Frankreich haben dies später eingeführt.
«Wir wollen einen Schweizer Weg beschreiten, der den Sexkauf deutlich stärker regulieren, aber nicht ganz verbieten will», sagt Bachmann-Roth. In der Schweiz ist ein Sexkaufverbot 2022 im Nationalrat deutlich gescheitert. Eine grosse Mehrheit war damals der Ansicht, dass sich damit die Prostitution in die Illegalität verlagern würde und die Frauen noch weniger geschützt wären. Doch seither haben sich neue Allianzen gebildet, die schärfere Massnahmen fordern – bis hin zu einem Sexkaufverbot.
Gleich gesinnte Frauen aus verschiedenen Parteien und Kantonen haben sich zur Gruppe Pro Reform zusammengeschlossen, um mit kantonalen Vorstössen Druck aufzubauen und den Widerstand gegen die Zustände in der Prostitution zu bündeln. Frauen aus der Mitte-Partei haben zuletzt ein halbes Dutzend Vorstösse eingereicht, und auch Vertreterinnen von GLP, EVP und SP sind aktiv.
«Wir sind heute weiter denn je in dieser Debatte – in den letzten drei Jahren hat sich viel getan», sagt Olivia Frei, Geschäftsführerin der Frauenzentrale Zürich, die ein Sexkaufverbot fordert und die Projektgruppe Pro Reform gegründet hat. Zudem koordiniert die Frauenzentrale ein wachsendes Netzwerk (Porta Alliance) aus Vereinen und Parteien, das sich gegen Ausbeutung in der Prostitution einsetzt.
Doch dieser Aufwind erzeugt auch Gegenreaktionen. «Wir spüren, dass die Gegnerinnen eines Sexkaufverbots nervös werden. Die Auseinandersetzung wird heftiger», sagt Frei. Die gewerkschaftlichen Vereinigungen Procore und Sex Workers Collective sowie die Fachstelle für Frauenhandel und -migration FIZ hätten etwa unlängst gegen eine Veranstaltung der Frauenzentrale demonstriert, an der ein schwedischer Polizist aus seinem Buch über das nordische Modell las.
Lelia Hunziker, FIZ-Geschäftsführerin und Aargauer SP-Grossrätin, hingegen findet, die Debatte werde «medial einseitig aufgebauscht und skandalisiert». Fachleute seien sich einig: «Nur der aktuelle, pragmatische und liberale Weg schützt die Sexarbeitenden, stärkt deren Rechte und bietet die Möglichkeit, gute Arbeitsbedingungen einzufordern», sagt Hunziker. Deshalb hätten Betroffene bei der Buchvernissage zu einer «Mahnwache» aufgerufen. «Sie wollen, dass mit ihnen, nicht über sie gesprochen wird.»
Rebecca Angelini vertritt die Koalition für die Rechte von Sexarbeitenden und ist Geschäftsleiterin von Procore, dem Dachverband der Beratungsstellen. Sie sagt: «Keine uns bekannte Sexarbeiterin spricht sich für ein Sexkaufverbot aus – egal, wie schwierig ihre Situation ist. Ein Verbot beraubt diese Menschen ihrer Existenzgrundlage und ihres legalen Einkommens.» Die Koalition, bestehend aus Sexarbeitenden und NGO, beobachte, dass in Ländern mit einem Verbot die ärmsten Sexarbeitenden im Versteckten weiterarbeiteten. Dort seien sie Gewalt, Gesundheitsrisiken und Willkür ausgesetzt, sagt Angelini.
Frauen gegen Frauen: Zwei feministische Strömungen
In dieser Debatte stehen sich zwei feministische Strömungen gegenüber: Hier die Befürworterinnen eines Sexkaufverbots, die den weiblichen Körper nicht für Geld zugänglich machen möchten und auf Zwang und Missbrauch hinweisen. Dort die Gegnerinnen, die geltend machen, dass Sexarbeit eine Arbeit wie jede andere sei und entstigmatisiert werden müsse.
Ausdruck letzterer Haltung ist eine aktuelle Resolution der SP. «Sexarbeit ist eine von vielen Möglichkeiten, den eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren», heisst es in dem Papier. «Für manche Menschen ist Sexarbeit die beste oder sogar die einzige Option dafür. Sie gibt ihnen Wahlfreiheit und Selbstbestimmung», sagt Hunziker. Ein Verbot, sexuelle Dienstleistungen zu kaufen, verschlechtere die Arbeitsbedingungen der Betroffenen. «Wir brauchen keine neuen, repressiven Gesetze – die bestehenden müssen umgesetzt werden. Dafür braucht es Ressourcen», ist Hunziker überzeugt.
Die Delegierten folgten ihr am SP-Parteitag im Herbst und nahmen die Resolution klar an. Doch auch in der SP gibt es kritische Stimmen: «Im Vorfeld fand in der Basis gar keine Diskussion dazu statt», sagt die Bündner Grossrätin Silvia Bisculm. «Ausgerechnet unsere Partei, die Frauenrechte hochhält, normalisiert Prostitution als Arbeit – dabei ist Sexkauf fast immer Ausbeutung und Zwang.» Hunziker nahm die Stimmung anders wahr: «Die Delegierten setzten sich differenziert und sachlich mit dem Thema auseinander.»
Auch Männer wollen Sexkaufverbot
Bisher fand die politische Debatte vornehmlich unter Frauen statt – und Linke und Aktivistinnen dominierten sie. Doch auch das ändert sich gerade. Die neuen Allianzen und Forderungen verdeutlichen, dass das bürgerliche Lager aktiv geworden ist. Zudem setzen sich im Bundeshaus wie in den Kantonen mehrere Männer dafür ein, dass sich die Gesellschaft mit dem Thema befasst. So ortet etwa FDP-Ständerat Damian Müller in einer Interpellation dringenden Handlungsbedarf in der Prostitution. Die Situation sei «besorgniserregend», die Mehrheit der Frauen befinde sich in einer Notlage, schreibt er im Vorstoss. In ganz Europa werde das nordische Modell eingeführt oder in Betracht gezogen. Auch die Schweiz müsse ihre Gesetzgebung überdenken, fordert Müller.
Der zuständige Bundesrat Beat Jans (SP) zeigte sich allerdings skeptisch. Der Nutzen eines Sexkaufverbots für die Prostituierten sei umstritten. Es gebe andere Massnahmen als das nordische Modell, um den Schutz der Frauen zu verbessern, sagte er im Ständerat und nannte etwa Präventionsmassnahmen, die vom Bundesamt für Polizei mit jährlich 200’000 Franken unterstützt würden.
Jans’ Antwort habe ihn «schockiert», sagt Müller. «Ausgerechnet ein Sozialdemokrat verweigert sich bei diesem Thema der Arbeit. Dabei könnte Jans einen runden Tisch mit allen Kantonen einberufen, an dem über einen Schweizer Weg in der Prostitution diskutiert würde.» Müller ist offen, wie dieser Weg konkret ausgestaltet würde – auch wenn er persönlich mit einem Sexkaufverbot liebäugle.
Ein Grossteil der Prostituierten seien Migrantinnen, die sich mangels Alternativen und in finanzieller Not verkauften. «Sie müssen Alkohol und Drogen konsumieren, um die Tätigkeit zu ertragen», sagt Müller. Das sei keine selbstbestimmte Arbeit. «Wichtig ist, dass wir als Gesellschaft endlich über den Missbrauch und das Leiden in der Prostitution sprechen.» Müller will das Thema nun im Bundeshaus intensiver diskutieren, etwa an einem parteiübergreifenden Anlass in der Herbstsession.
Was Damian Müller national macht, will Jascha Müller kantonal erreichen: Der St. Galler EVP-Kantonsrat hat letztes Jahr unter anderen mit der Polizistin Magdalena Fässler (GLP) den Verein Norm182 gegründet. Darin engagieren sich Fachleute etwa aus Polizei und Justiz, die das nordische Modell in der Schweiz einführen wollen. «In mir brodelt es schon lange. Die Prostitution ist ein blinder Fleck in der Gesellschaft – Missstände werden einfach in Kauf genommen», sagt Müller. Der Verein wolle mit Fachreferaten die Bevölkerung sensibilisieren. Er sei rasch von der Ostschweiz bis nach Zürich gewachsen.
Für Olivia Frei von der Frauenzentrale zeigen diese unterschiedlichen Initiativen und Zusammenschlüsse, dass sich etwas tut in der Mitte der Gesellschaft. Auch wenn die Debatte bisweilen hitzig sei: Immerhin redeten jetzt breitere Kreise darüber.
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