Die Kriegshysterie hat den gesamten Globus erfasst. Nicht erst seit Russlands Überfall auf die Ukraine. Die Aufrüstungs-Spirale setzte ab der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts ein. Angeheizt durch die USA, stärkste Militärmacht der Welt. Sitz der bedeutendsten Waffenschmieden und größter Exporteur von Militärmaterial. 

Mit dem Ende der Sowjetunion veränderte sich das geopolitische Weltbild Washingtons radikal. Russland bleibt zwar eine Atommacht, und damit bedrohlich. Aber das flächenmäßig größte Land der Welt ist mit einer Bevölkerung von 150 Millionen Menschen, darunter bloß 120 Millionen Russen, eher Mittelmaß. Es bleibt wirtschaftlich unterentwickelt, ist bei keiner Spitzentechnologie führend, lebt fast ausschließlich vom Export von Rohstoffen. Das Sozialprodukt der Russischen Föderation gleicht demjenigen Spaniens mit 50 Millionen Einwohnern.

Kriegsentscheidend ist letztlich die Wirtschaftsleistung eines Landes. Es war die Umstellung der amerikanischen Industrie auf die Produktion von Waffen, das den Ersten und den Zweiten Weltkrieg entschied. Hitler-Deutschland wurde auf den Schlachtfeldern vornehmlich durch russische Soldaten geschlagen sowie aus der Luft von britischen und amerikanischen Bombern in Schutt gelegt. Den Ausschlag gab die Lieferung von US-Waffen an alle Alliierten.

Noch unter Präsident Barak Obama sahen die USA ihre seit den 90er-Jahren unangefochtene Hegemonie nur von einem Staat bedroht, der Volksrepublik China. Das 1,3-Milliarden-Land entwickelte sich in wenigen Jahrzehnten zur Werkstatt der Welt, ist zunehmend führend bei vielen Spitzentechnologien. Von Obama über Trump I und Biden bis jetzt Trump II geriet China zum systemischen Rivalen der USA. Die USA haben mehr Flottenverbände und Truppen im pazifischen Raum stationiert als in Europa. Weshalb die USA schon seit Jahren die Europäer anhalten, ihre eigene Verteidigung zu organisieren. Trump II ist bloß brutaler mit seinen Erpressungen.

Putins Krieg in der Ukraine war ein Weckruf für die Europäer, die sich zu lange das Leben mit der „Friedensdividende“ versüßten. Ein Aufstocken der Verteidigungsfähigkeit der Europäer ist nicht zu umgehen. 

Bislang sollten mindestens 2% des nationalen Sozialprodukts in Militärausgaben investiert werden. Nunmehr faselt der neue NATO-Generalsekretär Mark Rutte von einer Zielvorgabe von 3,5%, zusätzlich 1,5% für „duale“ Investitionen in Mobilität und Infrastrukturen. Etwa Flughäfen und Kasernen. Womit die Forderung Trumps an seine NATO-„Freunde“ von Rüstungsausgaben in der Höhe von 5% des BSP erreicht wären. Dass Rutte ein devoter „Arschkriecher“ des Präsidenten ist, bewies sein Antrittsbesuch im Weißen Haus, wo er Trumps Forderung auf Einverleiben Grönlands nicht widersprach, obwohl Grönland unter der Verteidigungs-Autorität des NATO-Staates Dänemark steht.

Das Säbelgerassel der NATO ist nicht allein auf Putins Angriff auf die Ukraine zurückzuführen. Immer wieder wird eine „geheime“ NATO-Studie zitiert, laut der Russland im Jahre 2029 über genügend Waffen verfüge, um Europa anzugreifen. Putins Russland mag eine Gefahr für seine europäischen Nachbarn sein, besonders die baltischen Staaten, Finnland und Polen. Dennoch ist die Vorgabe des deutschen Verteidigungsministers Boris Pistorius, Europa müsse „bis 2029 kriegstüchtig sein“, angesichts der tatsächlichen Kräfteverhältnisse in Europa und in der Welt zu relativieren.

Russland produziert laut NATO einige 1.500 Panzer jährlich. Doch gerade der Ukraine-Krieg belegt, dass mit Panzern keine Kriege mehr zu gewinnen sind. Die Ukrainer zerstörten beim russischen Angriff auf Kiew ganze Panzerkolonnen mit billigen Panzerfäusten, abgefeuert von agilen Soldaten auf Motorrädern und selbst Mopeds. Putins Truppen erzielten zwar territoriale Gewinne, doch zum Preis von 200.000 Toten. Tatsache bleibt, dass die bevölkerungsmäßig viel kleinere Ukraine seit zweieinhalb Jahren den Russen standhält, obwohl deren Truppen auf 650.000 Mann aufgestockt wurden. Die Ukrainer fügten gar der russischen Kriegsmarine verheerende Schläge mit Drohnen zu. Überhaupt zeigt sich, dass die westlichen Waffensysteme, mit denen die Ukraine zu zögerlich beliefert wurde, wirkungsvoller sind als das zum Teil veraltete russische Kriegsmaterial.

Diesen Rückstand sollten die Russen laut NATO bis 2029 wettmachen? Mit welchem Geld? Laut dem Stockholmer Forschungsinstitut Sipri gaben die Staaten der Welt im Jahr 2024 über 2.700 Milliarden Dollar für Rüstung aus. Die USA fast 1.000 Milliarden, China 314 Milliarden und Russland 150 Milliarden. Zusammen nicht einmal die Hälfte der amerikanischen Ausgaben. Die Reihenfolge der zehn weiteren Spitzenreiter in Rüstung: 4. Deutschland; 5. Indien; 6. Großbritannien; 7. Saudi-Arabien; 8. Vietnam; 9. Frankreich; 10. Japan; 11. Südkorea; 12. Israel; 13. Polen. Ausgenommen Vietnam alles Alliierte oder zumindest Freunde der USA. Allein die NATO bestreitet rund 60% der globalen Militär-Ausgaben – und wäre dennoch nicht in der Lage, sich eines russischen Angriffs zu erwehren?! 

Russland mag auf eine Unterstützung Chinas zählen können, aber bloß auf eine ökonomische. Der letzte, noch von Mao-China geführte Krieg geht auf 1979 zurück. Damals schlugen die Vietnamesen ihre kommunistischen „Brüder“. Seither hält China sich eher zurück, abgesehen von Drohgebärden gegenüber Taiwan und Grenz-Scharmützeln mit Indien, obwohl die Volksrepublik kräftig aufrüstet und über schlagkräftige Waffensysteme verfügt. Immerhin zerstörte die pakistanische Luftwaffe mit in China gebauten Jägern einige Flugzeuge Indiens beim jüngsten Waffengang zwischen beiden Ländern. Darunter französisches und russisches Material.

Während die Ukraine von mindestens 35 Staaten mit Waffen beliefert wurde, erhielt Russland bloß Waffenhilfe von Nordkorea und dem Iran. Nichts von China.

Das weltweite Kräfteverhältnis wird weiterhin von den USA und deren Alliierten dominiert – die mit Trump II und dessen bombastischen Plänen von einem „goldenen Dom“ über den USA einen neuen Rüstungswettlauf ankurbeln, den außer den Chinesen niemand wirtschaftlich aushalten wird. Die USA, die 2024 43% der weltweiten Waffenexporte tätigten, bleiben die wirtschaftlichen Gewinner des globalen Wettstreits. In den vergangenen fünf Jahren bezogen die europäischen NATO-Staaten zwei Drittel ihrer schweren Waffen aus den USA. Daran werden die von der EU beschlossenen Aufrüstungsprogramme (800 Milliarden Euro in vier Jahren) wenig ändern.

Rüstungsgüter bestehen heute nicht allein aus „Hardware“ wie Flugzeugen, Raketen, Kriegsschiffen oder Panzern. Immer wichtiger wird „Software“, die es erlaubt, Kriege gewissermaßen „online“ zu führen, mit ferngesteuerten Drohnen, Marschflugkörpern oder über Cyber-Attacken. Unter den zwölf bedeutendsten Produzenten der auf ausgeklügelte Algorithmen basierenden digitalen Kriegsmittel kommen deren elf aus den USA und einer aus Israel.

Umso vermessener ist die Aussage von Premierminister Luc Frieden, Luxemburg würde noch dieses Jahr 2% seines BIP für Verteidigung ausgeben. Sei gar bereit, noch ambitioniertere Ziele der NATO zu befolgen. Notfalls will Frieden neue Schulden machen, um von Trump nicht scheel angekuckt zu werden.

Verteidigungsministerin Yuriko Backes vermochte der Presse nicht einleuchtend zu erklären, wie Luxemburg sinnvoll bis Ende des Jahres 1,2 Milliarden Euro statt der budgetierten 780 Millionen ausgeben könnte. Für Bernard Thomas vom Land verlor sich die Ministerin in unverständlichen Anglizismen, „en bonne technocrate sans vrai enthousiasme, dans une terminologie aseptisée et dépolitisante“. Immerhin hatte Außenminister Xavier Bettel seinen NATO-Kollegen in Antalya vorgerechnet, Luxemburg investiere bereits pro Soldaten über 700.000 Dollar, mehr als alle anderen NATO-Partner. Hier liegt die Crux aller militärischen Ambitionen unseres Landes.

Mit einer „Wehrmacht“ von rund 1.000 Soldaten, Militär-Kapelle eingeschlossen, kann das Ländchen nicht genügend Personal aufbieten, um modernes Kriegsmaterial zu bedienen. Ministerin Backes will anscheinend 200 neue Soldaten anheuern. Aber woher nehmen, ohne zu stehlen? Die Regierung will gleichzeitig mehr Polizisten und mehr CGDIS-Rettungskräfte, mehr Beamte für die Justiz. Bei einer total rückläufigen Demografie der „echten“ Luxemburger.

In Weltkrieg II konnte Luxemburgs „Freiwilligen-Kompagnie“ bei Kriegsbeginn den Deutschen nur wenige Minuten Widerstand leisten. Auch heute wären selbst 1.200 luxemburgische Soldaten in einem Konfliktfall bloß Kanonen-Futter. Trotz ihrer neuen gepanzerten Fahrzeuge. Die in Sekunden-Schnelle zerstört würden durch Killer-Drohnen, neue Wunderwaffe der militärischen Auseinandersetzungen. Eine finanziell stärkere Beteiligung Luxemburgs an europäischen Verteidigungsprogrammen, vor allem mehr Geld zur Unterstützung der Ukraine, ist zu vertreten. Doch muss die Regierung sich energisch wehren gegen überspitzte Ziele wie die 5%-Rüstungsvorgabe. Immerhin drei Milliarden Euro, die in Luxemburg fehlen würden, um notwendige Politiken z.B. für Bildung, Gesundheit oder soziale Wohnungen zu finanzieren. 

Robert Goebbels ist ehemaliger LSAP-Minister und EuropaabgeordneterRobert Goebbels ist ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter Foto: Editpress/Didier Sylvestre