Friedrich Merz auf einem Sessel

Weiß um die Macht von Nebelkerzen: Bundeskanzler Friedrich Merz

(Bild: Ryan Nash Photography/Shutterstock.com)

Merz hinterfragt Ziele der israelischen Militäroffensive. Seine Kritik kommt überraschend, doch wie Glaubwürdig kann sie sein? Ein Kommentar mit Leserdebatte

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat das harte militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen überraschend scharf kritisiert. Ein geschicktes taktisches Manöver des neuen Kanzlers.

“Nicht übertreiben”

Beim WDR-“Europaforum” auf der Digitalkonferenz re:publica in Berlin sagte er, er verstehe “offen gestanden nicht mehr, mit welchem Ziel” die israelische Armee im Gazastreifen vorgehe. “Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen, wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen”, so der Kanzler.

Merz betonte zwar, dass sich Deutschland mit öffentlicher Kritik an Israel “so weit zurückhalten wie kein anderes Land auf der Welt”. Wenn aber das humanitäre Völkerrecht gebrochen werde, müsse auch der Bundeskanzler etwas sagen.

Er habe Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Gesprächen gewarnt, “es nicht zu übertreiben” und sprach mit Blick auf die Angriffe der zivilen Infrastruktur von einer “menschlichen Tragödie”.

Kehrtwende oder Kalkül?

Damit vollzieht Merz, der erst vor wenigen Wochen noch den vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen gesuchten israelischen Premier Netanjahu nach Deutschland einladen wollte, eine bemerkenswerte rhetorische Kehrtwende.

Merz’ Kritik fällt auffällig schärfer aus als die seines sozialdemokratischen Vorgängers – obwohl in der SPD-Basis ein deutlich kritischerer Umgang mit Israel (und neuerdings sogar der Stopp von Waffenlieferungen) gefordert wird. An der Glaubwürdigkeit dieser Rhetorik sind jedoch große Zweifel angebracht.

Dass Merz’ Kritik mehr als ein rhetorischer Kniff für bessere Umfragewerte und eine stärkere Position innerhalb der EU-Staatschefs ist (in deren Kreis Deutschland zunehmend als Geisterfahrer in Sachen Nahost wahrgenommen wird), scheint so gut wie ausgeschlossen.

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Wäre damit nämlich ein ernsthafter Kurswechsel zu befürchten, hätte Israels Botschafter Ron Prosor im ARD/ZDF-Morgenmagazin wohl kaum so entspannt reagiert, wie er es tat. “Wenn Friedrich Merz diese Kritik gegenüber Israel erhebt, dann hören wir sehr gut zu, weil er ein Freund ist”, sagte Prosor.

Angesichts der ebenfalls ausbleibenden scharfen Replik direkt aus Tel Aviv, scheint es wahrscheinlicher, dass Merz seinen Außenminister bei dessen kürzlichem Israel-Besuch bereits hat andeuten lassen, demnächst ein paar härtere Worte an Tel Aviv zu richten – es dabei aber dann bewenden lässt.

Im Unterschied zu Scholz kennt Merz die Macht der Worte und von guten Auftritten. Er weiß, sich in Szene zu setzen, dass proaktives Nebelkerzenwerfen oft mehr bringt als Schweigen und Wegducken. Und dass taktische Kritik, die keinem wehtut, notwendig ist, um die strategische Partnerschaft mit Tel Aviv langfristig aufrechterhalten zu können.

Ernsthafte Sorgen um den Verlust der faktisch voll weiterlaufenden militärischen, politischen und ökonomischen Unterstützung des von vielen NGOs und Wissenschaftlern als Genozid eingestuften Gazakriegs durch den engen Verbündeten scheint sich jedenfalls in Israel niemand zu machen.

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