Ein Bergführer und Landwirt aus Peru wollte den deutschen RWE-Konzern für Klimafolgeschäden zur Rechenschaft ziehen. Er blitzte ab, doch seine Unterstützer sehen in dem Urteil einen rechtlichen Durchbruch mit grosser Signalwirkung.

Angela Ponce / Reuters
Saúl Luciano Lliuya, ein peruanischer Bauer und Bergführer, ist mit seiner Klimaklage gegen den deutschen Energiekonzern RWE gescheitert. Das Oberlandesgericht Hamm (OLG Hamm) hat am Mittwoch seine Berufung gegen einen erstinstanzlichen Entscheid zurückgewiesen. Das Urteil sei rechtskräftig, eine Revision sei nicht zugelassen worden, teilte das Gericht mit. Das aufsehenerregende Verfahren hat über neun Jahre gedauert.
Kohle hier, Gletschersee dort
Die deutsche Umweltschutzorganisation Germanwatch sprach in einer ersten Reaktion trotz der Niederlage von einem «bahnbrechenden Urteil»: Obwohl das Gericht den konkreten Anspruch von Lliuya abgewiesen habe, habe erstmals in der Geschichte ein hohes Gericht in Europa festgelegt, dass grosse Emittenten zivilrechtlich für die konkreten Folgen der Klimakrise haftbar gemacht werden könnten. Das Urteil werde enorme Signalwirkung über Deutschland hinaus entfalten.
Lliuya ist Miteigentümer eines Wohnhauses in der peruanischen Stadt Huaraz, die am Fusse der Anden unterhalb eines Gletschersees liegt. Vor dem Landgericht Essen verlangte der Bergführer in einer 2015 eingereichten Klage unter anderem die Feststellung, dass sich die RWE AG aufgrund der von ihr verursachten Treibhausgasemissionen anteilig an den Kosten von Schutzmassnahmen beteiligen müsse. Damit sollte sein Haus gegen eine Flutwelle oder Schlammlawine gesichert werden, die im Zuge des Klimawandels infolge eines Abschmelzen des Gletschers drohe.
Das Landgericht Essen wies die Klage 2016 ab. Es argumentierte unter anderem, dass die vom Kläger behauptete Flutgefahr angesichts der Vielzahl von Treibhausgasemittenten weltweit nicht, auch nicht anteilig, individuell zugeordnet werden könne.
Zwischenerfolg 2017
Lluya, dessen Klage von Germanwatch unterstützt und von der Stiftung Zukunftsfähigkeit finanziert worden ist, legte Berufung ein. Vor dem OLG Hamm erzielte er 2017 einen überraschenden Zwischenerfolg: Ein Anspruch auf anteilige Erstattung der Kosten für Schutzmassnahmen durch RWE komme grundsätzlich in Betracht, wenn der Kläger die von ihm behaupteten Tatsachen beweisen könne, hielt das Gericht fest. Der Anspruch könnte sich aus dem Abwehrrecht ergeben, das gemäss Paragraf 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in Verbindung mit weiteren Paragrafen jedem Eigentümer gegen Beeinträchtigungen seines Eigentums gegenüber jedem Störer zustehe.
Auf Basis dieser Einschätzung leitete das OLG Hamm eine Beweisaufnahme durch Einholung von Sachverständigengutachten ein. Diese zog sich jahrelang hin, unter anderem weil 2022 ein mehrtägiger Ortstermin am Haus des Klägers und am Gletschersee durchgeführt worden ist. Letzterer liegt 4500 Meter über Meer. Im März 2025 folgte eine Anhörung von Sachverständigen vor dem OLG.
RWE ist mit seinen Kohlekraftwerken ein wichtiger Emittent von CO2. Zu Beginn des Verfahrens wurde sein Anteil an den weltweiten Emissionen mit rund 0,5 Prozent beziffert, inzwischen ist er nach einer neuen Berechnung etwas geringer. Entsprechend gering wären die Kosten für eine anteilsmässige Beteiligung an Schutzmassnahmen. Doch in diesem Verfahren stand nie das Geld im Zentrum, sondern die mögliche Präzedenzwirkung.
Anspruch möglich
In der mündlichen Urteilsbegründung ging der Vorsitzende Richter Rolf Meyer am Mittwoch zunächst auf die von Germanwatch hervorgehobenen grundsätzlichen Fragen ein. Dabei knüpfte er an die Argumentation des OLG von 2017 an: Er hielt fest, dass der Kläger «möglicherweise einen Anspruch nach Paragraf 1004 BGB gegen die Beklagte haben könnte».
Der Verursacher von CO2-Emissionen könne verpflichtet sein, Massnahmen zur Verhinderung zu ergreifen, falls eine Beeinträchtigung des Eigentums Dritter drohe, so der Richter sinngemäss. Tue er das nicht, könne bereits vor dem Entstehen tatsächlicher Folgekosten festgestellt werden, dass er für diese entsprechend seinem Emissionsanteil aufkommen müsse – wie es der Kläger fordere.
Allein die grosse Entfernung zwischen den RWE-Kraftwerken und dem Wohnort des Klägers sei kein ausreichender Grund, die Klage als unbegründet einzustufen. Auch könne sich RWE nicht auf seinen gesetzlichen Versorgungsauftrag als Energiekonzern in Deutschland berufen, um eine Duldung von Beeinträchtigungen des Eigentums des Klägers zu rechtfertigen.
Diese Rechtsauffassung bedeute aber nicht, dass künftig jeder einzelne Bürger rechtlich belangt werden könne, führte Meyer weiter aus. Dem stünde entgegen, dass die Verursachungsbeiträge einer einzelnen Person derart geringfügig seien, dass sie keine Haftung begründen könnten.
Keine konkrete Gefahr
Dass das OLG Hamm die Berufung des Bergführers trotz diesen grundsätzlichen Ausführungen zurückgewiesen hat, liegt an den konkreten Umständen.
Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass keine konkrete Gefahr für sein Grundstück bestehe, hielt das Gericht fest. Die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt Wasser aus dem Gletschersee sein Haus innerhalb der nächsten 30 Jahre erreiche, liege bei nur etwa einem Prozent. Und selbst im Falle eines solchen Ereignisses würden die Folgen für das Haus kaum ins Gewicht fallen, weil die Flutwelle nur wenige Zentimeter hoch wäre und die Fliessgeschwindigkeit die Konstruktion nicht gefährden könnte. Damit folgte das Gericht der Einschätzung des Sachverständigengutachtens.
RWE warnt vor «Klimahaftung»
RWE erklärte, mit der Entscheidung des OLG Hamm sei «der von deutschen NGOs unterstützte Versuch gescheitert, über die Klage von Herrn Saúl Luciano Lliuya einen Präzedenzfall zu schaffen, um nach deutschem Recht einzelne Unternehmen für Auswirkungen des Klimawandels weltweit verantwortlich zu machen».
RWE habe eine solche zivilrechtliche «Klimahaftung» nach deutschem Recht stets für unzulässig gehalten. Sie hätte unabsehbare Folgen für den deutschen Industriestandort, weil damit letztlich gegen jedes Unternehmen Ansprüche aus Klimafolgeschäden irgendwo auf der Welt geltend gemacht werden könnten.
Auf den Umstand, dass das OLG einen Anspruch des Klägers für grundsätzlich möglich hielt, geht der Konzern nur indirekt ein: Er hebt hervor, dass andere deutsche Gerichte vergleichbare Klimaklagen etwa gegen Volkswagen, Mercedes-Benz oder BMW jeweils in erster und zweiter Instanz abgewiesen hätten.
Aus deren Sicht könne kein Unterlassungsanspruch gegen Einzelemittenten begründet werden, wenn diese geltende Vorschriften einhielten. Das entspreche auch der Rechtsauffassung von RWE. Aus Sicht des Konzerns wäre es «ein unauflöslicher Widerspruch», wenn der Staat CO2-Emissionen erlaube, gesetzlich im Einzelnen regele und im Einzelfall sogar fordere, aber gleichzeitig dafür rückwirkend eine zivilrechtliche Haftung anordnen würde.
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