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Seite 1Der Ritter des Tafelsilbers


Seite 2Ein Topos von Talkshows

Der ehemalige
Journalist und Medienunternehmer Wolfram Weimer hat einen Gastbeitrag für die
Süddeutsche Zeitung geschrieben
. Das hat er in seiner neuen Funktion als
Kulturstaatsminister getan. Darum ist der Text jenseits seiner Form und seines
Inhalts automatisch erheblich, auch wenn Weimer darin kein Regierungshandeln
formuliert und keine konkreten Maßnahmen seines eigenen Hauses ankündigt. Er äußert seine Sicht auf die Welt, so muss man es verstehen, und das ist für einen neuen Amtsträger interessant. Zumal wenn dessen publizistisches Vorleben zuletzt für ein wenig Aufregung gesorgt hat.

Weimer beschreibt unter dem Titel “Verteidigt die Freiheit” (ohne Ausrufezeichen) seine Sicht auf gesellschaftliche Debatten um die Freiheit der Kunst,
deren Daseinsberechtigung, Gestalt und Funktion. Er sieht offenbar einen großen
Kulturkampf auf der Welt im Gange, in China, Russland, Indien und den USA
insbesondere, wo überall “Neo-Nationalismus” herrsche, der nicht nur die Freiheit der Kunst, sondern auch jene der
Medien und Wissenschaft bedrohe: “Europa gerät in diesem globalen Kulturkampf
in einen ‘defining moment’ seiner geistigen Integrität.” Auch in Deutschland
sei mindestens die Kunstfreiheit in Gefahr, durch Angriffe auf sie von links
(“Cancel-Culture”) und von rechts (“Tilgungsfuror”).

Nur am Rande erwähnt Weimer, wie sich der Staat, den er nun
mit repräsentiert, zu all dem verhalten solle. Der Staat, schreibt Weimer in
bloß einem Satz, könne als “Mäzen” der Kunst auftreten und solle sich
“inhaltlicher Einmischung enthalten”. Dass Erstere (Mäzene) erfahrungsgemäß zu
Letzterem (Einmischung) tendieren, sei mal dahingestellt. Das könnte eine
sprachliche Ungenauigkeit sein. Wörtlich genommen wäre es jedoch eine
Neudeutung der bundesrepublikanischen, staatlichen (Selbst-)Verpflichtung zur öffentlichen
Förderung von Kunst und Kultur: Ein Mäzen, mag er die Künste noch so lieben,
kann seine Unterstützung jederzeit und ohne Begründung entziehen, wenn ihm
danach ist.

Weimer nennt einige Beispiele dafür, was er als Ausformungen
eines Kulturkampfs betrachtet. Da ist die Entfernung einer Venus-Bronze aus dem
Eingangsbereich des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen
(BADV) in Berlin, die offenbar nach einem Hinweis der
Gleichstellungsbeauftragten des Hauses erfolgt ist. Die “Verbannung” der
Skulptur sei ein “Akt kulturferner Ignoranz”, schreibt Weimer, der überall
“Prüderie” wittert. Die “simple Gleichung, weibliche Nacktheit sei per se
sexistisch und habe in der Öffentlichkeit nichts zu suchen”, die wirke “wie das
Credo eines jakobinischen Bildersturms”. 

Dann nennt Weimer das Phänomen des
Shitstorms, der “mittlerweile zum festen Inventar radikal-feministischer,
postkolonialer, öko-sozialistischer Empörungskultur” gehöre. In einem
“gesellschaftlichen Klima, dessen Taktung von linkem Alarmismus vorangetrieben
wird”, so Weimer, “scheint vorauseilender Gehorsam, Bevormundung und
Sprachwächtertum die Ultima Ratio zu sein”. Die Gefahr droht also zunächst von links.

Wolfram Weimer

Mehr zu

Wolfram Weimer:
Er beruhigt und beunruhigt zugleich

Z+ (abopflichtiger Inhalt);

Wolfram Weimer:
Kulturkampf ist halt einfacher

Doch auf der anderen Seite des politischen Spektrums gebe es
“die rechten und rechtsradikalen bis rechtsextremen Kulturkampfreflexe”. Da
fallen Weimer vor allem aktuelle Beispiele aus den USA ein, das massenhafte
Wegräumen von vermeintlich ideologisch unliebsamen Büchern aus Bibliotheken in
Florida oder Donald Trumps “Attacke auf amerikanische Museen – namentlich jene
der Smithsonian Institution”. Weimer bezieht sich wohl auf Trumps Versuch, die
Chefin der National Portrait Gallery zu feuern, was Trump vermutlich gar nicht kann, das
müsste schon der Museumsträger erledigen, eben die Smithsonian Institution.
Auch ein US-Präsident besitzt keine Allmacht und Allzuständigkeit.