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Aus dem Ukraine-Krieg lernen, gegen Russlands Bedrohung wappnen. Aber wie? Expertin Minna Ålander sieht große Hausaufgaben.

Vilnius – Die Nato hat ein neues Aufrüstungs- und Abschreckungspaket beschlossen. Details blieben im Sinne größerer „Unberechenbarkeit“ für Russland geheim – klar scheint aber: Die schon jetzt nahezu europaweit angewachsenen Verteidigungs-Gelder sinnvoll auszugeben, das wird keine simple Aufgabe.

Besondere Herausforderungen kommen auf Deutschland zu, wie Sicherheitsexpertin Minna Ålander dem Münchner Merkur am Rande einer Konferenz in Vilnius erklärte – und zwar nicht nur bei den nun angepassten Nato-Zielen. Ein Panel der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung (FNS) in Litauens Hauptstadt zeigte zugleich: Lehren aus dem Ukraine-Krieg sind in EU und Nato womöglich noch nicht ganz verinnerlicht.

Nicht nur Militär, auch „Zivilverteidigung“: Expertin nennt drei Groß-Aufgaben für Deutschland

Drei zentrale Aufgaben für Deutschland im eigenen Land nannte Ålander im Gespräch mit unserer Redaktion. „Deutschland liegt geografisch wirklich in der Mitte Europas; sowohl Nord-Süd- als auch West-Ost-Bewegung muss durch das Land“, betonte die Expertin des Center for European Policy Analysis – Transportwege und militärische wie zivile Versorgung müssten deshalb sichergestellt sein.

Ein Patriot-System der Bundeswehr bei Verladung auf eine Fähre. Ins Bild montiert Kanzler Friedrich Merz, Finanzminister Lars Klingbeil und Innenminister Alexander Dobrindt.

Ein Patriot-System der Bundeswehr unterwegs – Logistik und Luftverteidigung werden auch Friedrich Merz‘ Kabinett beschäftigen. © Montage: picture alliance/dpa/Bernd Wüstneck/Frank Ossenbrink/Imago/fn

Darüber hinaus solle sich die Bundesrepublik auf etwaige Fluchtbewegungen im Falle eines ausgeweiteten Krieges im Norden oder Osten Europas einstellen. „Man muss die nötige Infrastruktur schaffen, damit gegebenenfalls viele Menschen ankommen können, Geflüchtete oder Verwundete. Deutschland muss aufgrund seiner Lage über die eigene Bevölkerungszahl hinaus denken.“ Dabei könnten Erkenntnisse aus der Aufnahme aus der Ukraine geflüchteter Menschen helfen.

Aus diesen beiden Rollen folge eine weitere Herausforderung zwischen Zivilschutz und klassischem militärischem Handeln. „Deutschland hat kaum Infrastruktur wie Bunker”, betonte Ålander. Umso wichtiger sei Luftverteidigung mit Systemen wie Patriot oder IRIS-T-SLM. Deutschland werde zwar höchstwahrscheinlich nicht Teil einer Kriegsfront sein. Nichtsdestotrotz sei es entscheidend, das zivile Leben bei Angriffen fortsetzen und eine „Drehkreuz“-Rolle spielen zu können – gerade wegen der zentralen Lage.

Lehren aus dem Ukraine-Krieg: Flexibler Eigenbau statt Rüstungs-Großprojekten?

Offen ist aber auch immer noch großteils, woher Rüstungsgüter aller Art kommen sollen. Dirk Niebel (FDP), Ex-Entwicklungsminister und mittlerweile Berater beim Rüstungskonzern Rheinmetall, erklärte auf dem Podium der international besetzten Konferenz, mittels verbindlicher Verträge und großer Stückzahlen an Rüstungsgütern lasse sich die Rüstungsproduktion schnell hochfahren

Jonas Öhman, Mitgründer der in Litauen beheimateten NGO „blue/yellow”, die frontnah Hilfsmittel an das ukrainische Militär liefert, verwies hingegen auf eine Lehre des Ukraine-Krieges: Bewährt habe sich „dezentrale Verteidigung“: Entscheidungsfreiheiten für die militärischen Einheiten vor Ort und laufend angepasste Produktion der benötigten Güter. Mittlerweile bauten ukrainische Soldaten an der Front selbst Drohnen und Sprengstoff, erklärte er. Der Stand der Technik überhole sich oft schon binnen sechs Monaten.

Ukraine „globales Testgelände“ für Waffen: Drohnen schlagen teure Bomber

Ähnlich argumentierte auch Yevheniia Kravchuk, Vize-Chefin der Fraktion Diener des Volkes im ukrainischen Parlament: Die Ukraine sei, so zynisch es auch klinge, ein „globales Testgelände“ für Waffen. Tatsächlich hätten sich kleinteilige Systeme bewährt, nicht nur auf dem Schlachtfeld – etwa Solarpaneele als Mittel gegen Stromausfälle wegen anhaltender russischer Angriffe auf die Stromversorgung.

Fakt sei, dass wenige hundert Euro teure Drohnen millionenschwere strategische Bomber zerstörten. Zuletzt gelang dies der Ukraine in größerem Stile in der „Aktion Spinnennetz“. Nötig war allerdings ein kompliziertes Manöver. Kravchuk appellierte daher im Gespräch mit unserer Redaktion an Deutschland, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu liefern.

In Vilnius hatte die FNS anlässlich der Eröffnung ihres neuen Büros für die baltischen Staaten zu einer Konferenz über Verteidigung abseits des Nato-Artikel 5 geladen. Wichtigste Mission von Vilnius aus sei es, Deutschland von Litauen und den baltischen Staaten lernen zu lassen, betonte Büroleiter Julius von Freytag-Loringhoven. Aber auch Vernetzung sei gefragt. Nahe der litauischen Hauptstadt baut die Bundeswehr derzeit ihre Litauen-Brigade auf. (Aus Vilnius berichtet Florian Naumann)