“Baltrops” ist die bislang größte Nato-Übung ihrer Art
(Bild: Vytautas Kielaitis/Shutterstock.com )
Die Nato startet ihr größtes Ostsee-Manöver. Was diese Übung offenbart, wie sie in Moskau aufgenommen wird und warum die Ostsee zum Ort einer Eskalation werden kann.
Noch bis zum 20. Juni findet mit den “Baltic Operations” (Baltops) ein Nato-Manöver zur maritimen Kriegsführung in der Ostsee statt. Mit 50 Kriegsschiffen, 25 Flugzeugen und etwa 9000 Soldaten erreicht die 54. Auflage des Manövers in diesem Jahr ungekannte Ausmaße. Ausgangs- und Mittelpunkt ist das deutsche Rostock.
Grundpfeiler der Sicherheit
Während in Istanbul unter amerikanischer Schirmherrschaft verhandelt wird, rüsten Deutschland und EU-Europa gedanklich wie physisch auf. Die Erzählung ist simpel: Aufgrund der jahrzehntelangen “Bedrohung” durch Russland sei es an der Zeit, angemessen reagieren zu können.
Die deutsche Gesellschaft wird umfassend militarisiert. Ein greifbarer Ausdruck davon ist der erste bundesweit stattfindende Veteranentag der Bundeswehr am kommenden Samstag. Unter dem Motto “Schulter an Schulter – wir feiern zusammen” soll dem Bürger in Uniform gedacht und dessen Erscheinung normalisiert werden.
Dass dies nicht nur auf Gegenliebe stößt, zeigt der Gegenprotest auf dem Hessentag. Der diesjährig in Bad Vilbel stattfindende Hessentag ist das identitätsstiftende Kultur-Volksfest im Bundesland Hessen mit jahrzehntelanger Tradition. Seit geraumer Zeit kommt die Kirmes nicht ohne den großen Fuhrpark der Bundeswehr aus und wird so zum Werbepark des deutschen Heeres.
Ein breites Bündnis formiert sich: Die Naturfreunde kritisieren die “Militärshow” deutlich und werfen der Armee unter anderem die Rekrutierung Minderjähriger vor. Schon ab der 8. Klasse sollen Kinder und Jugendliche auf dem Hessentag für Militaria aller Art begeistert werden.
Doch nicht nur an der Werbe- und Gesellschaftsfront ist der Bendlerblock auf dem Vormarsch: Mit dem Nato-Manöver “Baltic Operations” wird Deutschland exakt zeitgleich zum Hessen- und Veteranentag zum Übungsausgangsort für Nato-Truppen aus 17 Partnerstaaten. Trainiert werden traditionell maritime Operationen, darunter die U-Boot-Abwehr, Minenräumung sowie neuerdings auch die Luftverteidigung.
Erstmalig wird das Manöver vom deutschen Ostseehafen Rostock aus koordiniert – dort liegt der Sitz des “Commander Task Force Baltic”. Zwar ist Deutschland damit logistisch und geographisch der Nabel der Übung, die übergeordnete Leitung liegt jedoch in den Händen des US-Militärs. Folgerichtig bezeichnete Vizeadmiral Jeffrey T. Anderson Baltops als “Grundpfeiler der transatlantischen Sicherheit”.
Zeichen der Geschlossenheit
Bemerkenswert ist, dass trotz der kaum mehr zu überbrückenden weltpolitischen Differenzen innerhalb der Nato diverse Staaten gemeinsam üben. Dazu gehören die Türkei, Großbritannien, die Niederlande, Deutschland sowie alle skandinavischen Nationen. Zudem sind auch Staaten dabei, die keine direkten Ostsee-Anrainer sind. Allein die Türkei hat diverse Differenzen mit den USA: Sei es die Gemengelage in Syrien oder der Ankauf russischer Luftabwehrraketen durch die Türkei.
Laut Bundeswehr sind die Korvetten Magdeburg und Braunschweig sowie die Fregatte Bayern beteiligt. Hinzu kommen der Einsatzgruppenversorger “Frankfurt am Main”, der Tender “Mosel”, das Minenjagdboot “Datteln” sowie das Messboot “Stollergrund” und der Seefernaufklärer “Orion”. Beim Seefernaufklärer handelt es sich jedoch nicht um den modernen Typ Poseidon, sondern um den älteren Orion-Typ.
Aus Dänemark kommt zusätzlich eine Fregatte, ein Minenjagdboot stammt aus Frankreich und die USA stellen das US-Kommandoschiff “Mount Whitney”.
Das Ziel sei es, “Stärke zu zeigen” und verschiedene Systeme, Kommunikationstechniken und Verfahren zusammenzuführen. Der Hintergrund ist klar: Man sendet ein deutliches Zeichen an Russland. Eines der vermeintlichen Geschlossenheit.
Als kleine Neuheit gilt, dass im Rahmen von Baltops Drohnen über und auf dem Wasser zur Sicherung der Übung eingesetzt werden. Zudem soll das Zusammenspiel amphibischer Übungen mit der modernen Drohnenwaffe eingeübt werden.
Bedeutungsgewinn der Ostsee
Die Ostsee wird, vergleichbar mit dem Südchinesischen Meer, nach Angaben von Admiral Thomas Abry, dem für Deutschland verantwortlichen Leiter der Übung, weiterhin an Bedeutung gewinnen.
Spätestens seit Beginn des heißen Ukraine-Krieges ist das Meer dies. Man denke an die Sprengung der Nord-Stream-II-Pipeline und ihre katastrophalen Folgen für die deutsche Industriepolitik, an die angebliche russische Schattenflotte sowie an die angeblich von Russland zu verantwortenden Kabelbeschädigungen auf dem Grund der See.
Abgesehen von Russland und der Enklave Kaliningrad ist die Ostsee ein Nato-Meer geworden – mit dem Beitritt von Finnland und Schweden wurde die aus westlicher Sicht strategisch wichtige Umschließung des russischen Gebietes vollendet.
Für Russland wäre die Verbindung zur Enklave Kaliningrad bei anhaltender Blockade des Landweges nur auf dem Seeweg möglich – die Luftabwehr dürfte eine Frachtbrücke per Flugzeug verhindern.
Laut Umweltbundesamt sind zu jeder Zeit rund 2.000 Transportschiffe mit wichtigen Gütern auf der Ostsee unterwegs.
Während Autobahnen verstopft sind, wird der Transport auf den Meeren immer attraktiver. Da der Nord-Ostsee-Kanal sowie eine stark verbesserte Binnenschifffahrt kostengünstige und vor allem zeitsparende Transportrouten garantieren, kann ein erhöhtes Volumen festgestellt werden.
Russische Reaktion
Laut der deutschen Militaria-Zeitschrift Europäische Sicherheit und Technik gab es im Vorfeld der Nato-Übung militärische Bewegungen auf russischer Seite, die den “sicherheitspolitischen Anspruch von Moskau” untermauern würden.
Zwei zur Nordflotte der Russischen Föderation gehörende Schiffe, die Fregatte “Admiral Kasatonov” und der Zerstörer “Vitse Admiral Kulakov”, verließen ihre Heimathäfen in Richtung Skagerrak. Während die “Kulakov” die Ostsee befuhr und somit die Nato-Verbände aufklären sollte, begab sich die “Kasatonov” ans Skagerrak.
Moskaus Vize-Außenminister Alexander Gruschko äußerte sich stark kritisch zu Baltops. Er sagte wörtlich: “Es geht um die Erlangung von Überlegenheit in allen Bereichen: zu Lande, zu Wasser, in der Luft. Natürlich sind solche Übungen äußerst provokativ.” Russland schlussfolgere daraus, so Gruschko, dass sich die Nato auf “militärische Zusammenstöße mit Russland vorbereite”.
Der deutsche Generalleutnant und Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, warnte seinerseits, dass Russland eine wachsende Bedrohung für die Nato darstellen werde.
“Badewanne der Nato”
Welt-TV sieht die Ostsee als “Badewanne der Nato” und Russland teste immer aggressiver deren rote Linien.
So weit, so ahistorisch. Richtig ist: In der Ostsee braut sich ein Krieg zweier Militärblöcke zusammen. Die Zeit der friedlichen Koexistenz (1945–1990) und der unipolaren Friedensdividende (1990–2013) scheint spätestens mit dem Ukraine-Konflikt und dem Maidan-Putsch vorbei zu sein. Russland ist als Paria auf der westlichen Bühne zurück.
Korrekt ist ferner, dass auch Russland in den Gewässern der Ostsee eine Militärübung abhält. Dazu ist seit dem 27. Mai eine kleine Flotte aus Korvetten, Fregatten und Raketenschiffen im Einsatz.
Gefahr des Weltenbrandes
Mitnichten ist die Ostsee die “Badewanne der Nato” – rechtlich gehört die Ostsee weder dem Militärpakt noch einzelnen Staaten, sondern ist ein gemeinsames Seegebiet der Anrainerstaaten. Daran gerüttelt wird – im Westen gerne vergessen – durch die Nato-Osterweiterung.
Dies ändert jedoch wenig daran, dass die Nutzung der Ostsee im Sinne aller gemeinsam im Rahmen der “Ausschließlichen Wirtschaftszone der Ostsee” geregelt werden muss. In diese Architektur ist Russland als zweifacher Anrainer sinnvollerweise einbezogen.
Wer glaubt, Russland habe die westlichen Taten in der Ukraine, die diversen Farbrevolutionsversuche in seiner Umgebung oder die Osterweiterung an seine Grenzen vergessen, muss sich getäuscht sehen. Längst arbeitet der Kreml an einer nicht-westlichen Anbindung, nachdem man schmerzlich feststellen musste, dass ein souveränes Russland in der westlichen Gemeinschaft nicht gewünscht ist.
Beijing, Teheran und Moskau führten exemplarisch gemeinsame Marineoperationen durch. Damit wird gewahr, was offenkundig ist: Zwar besitzt Russland offiziell nur Belarus als militärischen Bruderstaat, doch zeigen das nordkoreanische Intermezzo und die chinesisch-iranische Achse, dass der Globale Süden die “Badewannen-Ansprüche” des kolonialen Westens nicht länger zu akzeptieren bereit ist.
Insofern ist die Nato-Übung eine Fatamorgana der Sicherheit – im Gegenteil, sie verschärft die Unsicherheit und ist geeignet, eine Eskalation zu provozieren.