Verträge Schweiz – EU –
Ohne Deal drohen 500 Milliarden Verlust: So schätzt der Bundesrat die Vorteile des EU-Pakets ein
Die Schweiz profitiere massiv von den Abkommen mit der EU. Zu diesem Schluss kommen mehrere Studien, die der Bundesrat bestellt hat. Allerdings verschätzte sich die Regierung bei früheren Prognosen.

Bundesrat Ignazio Cassis (rechts) und Staatssekretär Alexandre Fasel erklären das Vertragspaket mit der EU.
Foto: Fabrice Coffrini (AFP)
Rund eine Milliarde Franken pro Jahr: So viel soll die Anbindung der Schweiz an den Binnenmarkt der EU längerfristig kosten. Bundesrat Ignazio Cassis nannte die Zahl am Freitag vor den Medien, als er die Vernehmlassung zum Vertragspaket mit der EU eröffnete. Der Bundesrat habe Kosten und Nutzen sorgfältig abgewogen, so der FDP-Aussenminister. Zur Summe gehören 350 Millionen, welche die Schweiz jährlich als Kohäsionszahlung leisten soll.
Der Bundesrat ist aber zum Schluss gekommen, dass der Nutzen stabiler Beziehungen mit der EU weit mehr wert ist – auch finanziell. Er stützt sich dabei auf mehrere Studien, die er in Auftrag gegeben hat. Diese zeigten, dass ohne Stabilisierung der bilateralen Beziehungen langfristig ein Wohlstandsverlust drohe, sagte Cassis. Das Schweizer Bruttoinlandprodukt würde erheblich sinken. Oder direkter: Die Schweiz würde ärmer.
Nein zum EU-Abkommen würde BIP um 5 Prozent senken
Die Studien basieren auf Annahmen. So schätzt ein Papier von Ecoplan den volkswirtschaftlichen Wert ab, indem das Büro den Wegfall der Bilateralen I bis ins Jahr 2045 simuliert. Die Experten gehen also davon aus, dass die bilateralen Verträge bei einem Nein zum neuen Paket erodieren und letztlich wegfallen würden. Handelserleichterungen würden aufgehoben, und an die Stelle der Personenfreizügigkeit träte ein Kontingentierungssystem, das die Zuwanderung um jährlich 20’000 Personen reduzieren würde.
Was bei einer Ablehnung des Pakets Schweiz – EU tatsächlich geschehen würde, hänge von politischen Entscheidungen ab und lasse sich nicht genau vorhersagen, hält der Bundesrat dazu fest. Die Studie bestätige aber den hohen volkswirtschaftlichen Wert der EU-Abkommen.
Konkret haben die Autoren errechnet, dass der Wegfall der Bilateralen I für die Schweiz Einbussen im zweistelligen Milliardenbereich pro Jahr zur Folge hätte. Bis ins Jahr 2045 würden sich die Einbussen kumuliert auf 500 Milliarden Franken belaufen. Im Jahr 2025 wären der Schweiz Einnahmen in der Höhe von rund 26,4 Milliarden Franken entgangen. Das BIP läge rund 4,9 Prozent tiefer, das BIP pro Kopf um 1,65 Prozent. Dies entspricht Einkommensverlusten von rund 2500 Franken pro Kopf und Jahr. Auch die Löhne würden sinken.
Rund drei Viertel des negativen Effekts gehen auf den Wegfall der Personenfreizügigkeit zurück – jenes Abkommens, das in der Schweiz wegen der Zuwanderung aus der EU umstritten ist.
Geringe Belastung für das Sozialsystem durch EU-Bürger
Eine weitere Studie von Ecoplan fokussiert auf die EU-Bürgerinnen und -Bürger in der Schweiz. Sie kommt zum Schluss, dass diese auch unter Geltung des neuen Pakets mehr zu den Sozial- und Steuersystemen beitragen würden, als sie Leistungen beziehen. Hier geht es um die Unionsbürgerrichtlinie, welche die Schweiz teilweise übernehmen muss.
EU-Bürgerinnen und Bürger haben damit erweiterte Aufenthaltsrechte. Wegen der Ausnahmen, welche die EU der Schweiz gewährt hat, soll die Zuwanderung allerdings auf den Arbeitsmarkt ausgerichtet bleiben.
Die Studie kommt zum Schluss, dass jährlich 50’000 bis 70’000 Personen das Recht auf Daueraufenthalt hätten, dass aber die grosse Mehrheit dieses nicht nutzen würde, weil der Daueraufenthalt für sie keinen Mehrwert brächte. Die Autoren rechnen mit jährlich 4000 bis 20’000 Anträgen.
Neu könnten EU-Staatsangehörige, die weniger als ein Jahr in der Schweiz erwerbstätig waren, für maximal 6 Monate Sozialhilfe beziehen, und selbstständig Erwerbstätige erhielten einen gleichwertigen Zugang zu Sozialhilfe wie Unselbstständige. Auch Personen mit einem Daueraufenthaltsrecht könnten Sozialhilfe beziehen.
Die Autoren schätzen, dass die Zahl der Sozialhilfeempfänger jährlich um 1,1 bis 1,5 Prozent steigen könnte – das wären 3000 bis 4000 Personen. Dies würde zu Mehrkosten von 56 bis 75 Millionen Franken pro Jahr führen. Das Fazit: Verglichen mit den volkswirtschaftlichen Vorteilen des Vertragspakets seien die Kosten gering.
Bundesrat: Abkommen senkt Risiko von Stromausfällen
Auch eine Studie zum Stromabkommen kommt zu einem positiven Ergebnis. Die Schweiz erreiche damit ein höheres Niveau bei der Versorgung als ohne Abkommen – und das bei tieferen Kosten. Zudem reduziere das Abkommen das Risiko eines grossflächigen Stromausfalls oder einer Strommangellage.
Mit den externen Studien dürfte sich der Bundesrat auch absichern wollen. Ähnliche Studien lagen in der Vergangenheit allerdings auch schon daneben. So schätzte der Bund bei der Einführung der Personenfreizügigkeit das Ausmass der Zuwanderung auf Basis einer Studie als weit geringer ein, als es schliesslich ausfiel.
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