Eine Eskalation des Kriegs zwischen Israel und dem Iran wurde nach den US-Bombardierungen der Atomanlagen bereits befürchtet. Nun beschießt Iran US-Basen in Katar und im Irak. Die NATO-Partner könnten zum Eingreifen verpflichtet sein.
Der Iran hat als Vergeltung für die Bombardierung seiner Atomanlagen einen US-Militärstützpunkt in Katar angegriffen. Die Operation mit dem Namen “Verheißung des Sieges” habe begonnen, hieß es in einer Erklärung der staatlichen Nachrichtenagentur Irna. Nach Medienberichten wurden auch Raketen auf Ziele im Irak abgefeuert.
Am Wochenende waren die Vereinigten Staaten in den Krieg zwischen Israel und dem Iran eingetreten, der am 13. Juni begonnen hatte. Sie griffen neben der Urananreicherungsanlage in Fordo auch die Anlage in Natans mit bunkerbrechenden Bomben an. Auch eine Nukleareinrichtung in Isfahan wurde bombardiert.
Kurz vor der Bestätigung der Angriffe in Katar und dem Irak hatte der iranische Präsident, Massud Peseschkian, auf X eine Antwort auf “die Aggression gegen den Iran” angekündigt. Dass dies nun in die Tat umgesetzt wurde, wirft die Frage auf, ob das nun den NATO-Bündnisfall auslöst, andere NATO-Staaten also verpflichtet wären, dem Krieg an der Seite der USA ebenfalls beizutreten.
Keine Selbstverteidigung, kein Bündnisfall
Der Bündnisfall ist in Art. 5 des Nordatlantikvertrags, besser bekannt als NATO-Vertrag, geregelt. Demnach behandeln die NATO-Staaten einen bewaffneten Angriff gegen einen von ihnen als “einen Angriff gegen sie alle”. Daraus folgt, dass sie den angegriffenen Staat im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs “unterstützen”. Unterstützung umfasst “diejenigen Maßnahmen unter Einschluss der Verwendung bewaffneter Kräfte (…), die er [der Staat] für notwendig erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebietes wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten”.
Nach Einschätzung des Tübinger Völkerrechts-Professors Jochen von Bernstorff gegenüber der dpa löst ein verhältnismäßiger militärischer Angriff des Iran auf US-Militärbasen den Bündnisfall nicht aus. Hintergrund ist, dass die Pflicht aus Art. 5 NATO-Vertrag für die NATO-Partner nur “in Ausübung des in Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen anerkannten Rechts zur persönlichen oder gemeinsamen Selbstverteidigung” besteht. Das Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 UN-Charta lösen verhältnismäßige Reaktionsschläge gerade nicht aus.
Nach von Bernstorffs Auffassung sind nämlich die iranischen Luftschläge ihrerseits vom Selbstverteidigungsrecht gegen die USA gedeckt, weil deren vorherige Luftangriffe auf die iranischen Atomanlagen gegen das Gewaltverbot verstoßen hätten. In der Logik des ius ad bellum, des Rechts zum Krieg, griffen die USA den Iran zuerst völkerrechtswidrig an. Dagegen verteidigt der Iran sich. Eine erneute Reaktion der USA wäre somit keine Selbstverteidigung, sondern eine Weiterführung des illegal begonnenen Kriegs. “Es gibt keinen Bündnisfall, solange das Vorgehen der USA nicht völkerrechtskonform ist”, so von Bernstoff.
Der Grund dafür, warum die US-Angriffe auf iranische Nuklearanlagen gegen das Gewaltverbot verstoßen, liegt einerseits darin, dass den USA kein individuelles Selbstverteidigungsrecht zusteht. Denn es ist nicht belegt, dass Iran vor den US-Angriffen auf die Atomanlagen konkret vorhatte, US-Stützpunkte anzugreifen. Andererseits liegt nach überwiegender Auffassung der Völkerrechtler auch kein Fall kollektiver Selbstverteidigung Israels vor. Die USA dürften Israel zwar im Rahmen des Art. 51 UN-Charta helfen – aber nur, wenn sich Israel selbst völkerrechtlich in einer Verteidigungssituation befände. Das wird überwiegend verneint, es gibt jedoch Gegenstimmen von US-amerikanischen und israelischen Völkerrechtlern. Der ehemalige Verfassungsrichter Andreas Paulus betonte gegenüber LTO, dass für eine Vorverlagerung des Selbstverteidigungsrechts im Fall einer latenten Bedrohung durch – noch zu Ende zu bauende – Massenvernichtungswaffen von einem breiten Konsens der internationalen Gemeinschaft getragen sein müsse. Diesen sehe er aktuell nicht.
Die Ziele der iranischen Angriffe
Der Angriff am Rande der katarischen Hauptstadt Doha galt dem Luftwaffenstützpunkt Al-Udeid, wie Irans staatlicher Rundfunk berichtete. Der Stützpunkt ist einer der wichtigsten US-Stützpunkte im Nahen Osten. Dort sind Berichten zufolge normalerweise rund 10.000 Soldaten und ziviles Personal stationiert. Der Stützpunkt ist auch die Kommandozentrale des US-Militärs in der Region. Katar hatte kurz vor den Angriffen die Sperrung seines Luftraums mitgeteilt. Übereinstimmenden US-Medienberichten zufolge wurden wichtige Militärflugzeuge, die normalerweise in Katar stationiert sind, angesichts möglicher Angriffe auf andere Stützpunkte verteilt, vor allem in Europa.
Welche Ziele im Irak attackiert wurden, war zunächst unklar. Ein israelischer Repräsentant sagte mehreren Medien, der Iran habe insgesamt zehn Raketen auf US-Ziele in Katar abgefeuert.
Wie es im Krieg zwischen Iran, Israel und nun auch den USA weitergehen wird, bleibt mit Sorge abzuwarten. Weitere Stützpunkte des US-Militärs, die als mögliche Ziele für weitere iranische Luftangriffe in Betracht kommen, befinden sich unter anderem in Bahrain, Kuwait oder dem Irak. Insgesamt sind in der Region rund 40.000 US-Soldaten stationiert.
Auch weitere US-Angriffe sind nicht unwahrscheinlich. Präsident Donald Trump hatte in einer Rede im Weißen Haus weitere Angriffen auf Ziele im Iran angedroht, sollten keine Verhandlungen zustande kommen: “Wenn der Frieden nicht schnell kommt, werden wir die anderen Ziele mit Präzision, Schnelligkeit und Geschick angreifen, die meisten von ihnen können in wenigen Minuten ausgeschaltet werden.”
USA und Iran bereits 2020 am Rande des Kriegs
Zuletzt hatten die USA und der Iran unter Vermittlung des Golfstaats Oman noch über das umstrittene Atomprogramm verhandelt. Die Gespräche gerieten jedoch ins Stocken – Hintergrund waren erhebliche Differenzen bei der Frage der Urananreicherung. Die USA fordern einen vollständigen Stopp, was Teheran als rote Linie betrachtet.
Bereits im Jahr 2020 hatte der Iran einen US-Stützpunkt im Irak mit Raketen angegriffen, nachdem US-Präsident Donald Trump den mächtigen General Ghassem Soleimani, Kommandeur der Auslandseinheit der Revolutionsgarden, töten ließ. Bereits damals standen beide Länder am Rande eines Kriegs.
Seit der Islamischen Revolution 1979 gelten die USA als Erzfeind der iranischen Führung. Noch im selben Jahr besetzten Studenten die US-Botschaft in Teheran, was damals zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen führte. Viele Millionen Iraner wünschen sich hingegen bessere Beziehungen zum Westen und lehnen die Staatsführung seit Jahrzehnten ab.
dpa/mk/LTO-Redaktion
Zitiervorschlag
Nach iranischen Angriffen auf US-Stützpunkte:
. In: Legal Tribune Online,
23.06.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/57481 (abgerufen am:
23.06.2025
)
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