Mit seinem ersten offiziellen Marktauftritt in Europa hat der größte chinesische Roboterhersteller Estun Robotics den Startschuss für die weitere Europa-Offensive gegeben. Warum und wie die Chinesen auch in Europa zur Nummer 1 werden wollen, haben sie auf der Automatica verraten.
Kaum ein Jahr nach der Gründung der Estun Robotics Europe AG ist die europäische Organisation des größten chinesischen Roboterherstellers bereits auf den wichtigsten Märkten Europas mit eigenen Niederlassungen vertreten, freut sich der Europa-CEO Gerald Mies.: „Wir haben eine erfahrene Vertriebsmannschaft mit Leuten, die überwiegend aus der Robotik kommen und sowohl Branche als auch Kunden kennen.“
Ein wichtiger Meilenstein ist für ihn insbesondere die am 2. Juni 2025 erfolgte Eintragung der „Estun Robotics Deutschland GmbH“ ins Handelsregister. Sitz der deutschen Gesellschaft ist Schwäbisch Gmünd. Geschäftsführer der deutschen Estun-Niederlassung ist Ralph Christnacht. Mit ihm als DACH-Chef hat Gerald Mies einen weiteren bekannten und erfahrenen Manager an Bord geholt, denn Ralph Christnacht bringt jede Menge Management- und Wachstumserfahrung aus Stationen bei Werkzeugmaschinen- und Roboterherstellern mit.
Ziel: die Nummer 1 auch in Europa
Zusätzlichen Rückenwind erhofft sich Gerald Mies auch dadurch, dass Estun inzwischen der größte Roboterlieferant auf dem dynamischen Robotermarkt in China ist und dort den bisherigen Spitzenreiter Fanuc überholt hat. Gerald Mies: „Das gibt uns zusätzlichen Auftrieb.“
Diese Pole-Position will Estun auch in Europa erreichen: „Wir wollen die Nummer 1 werden“, gibt Estun-Präsident Kan Wu als Ziel vor. Aber das funktioniere natürlich nur Schritt für Schritt. „Denn wir treffen in Europa auf starke, etablierte Player. Aber wir sind gekommen, um zu bleiben. Und wir haben eine langfristige Strategie für Europa.“
Dabei will der Estun-Chef die Kunden in Europa nicht nur durch kostengünstige Roboter überzeugen: „Wir wollen neue, fortschrittliche Technologien nach Europa bringen und setzen dafür stark auf KI.“ Dafür biete Estun eine offene Software- und Steuerungsplattform, mit der sich beispielsweise KI-Funktionen für Vision oder Kraftsensorik einfach integrieren lassen.
Produktion in Polen
In Polen wird gerade die europäische Produktionsstätte von Estun ausgerüstet und fertiggestellt. Mit Unterstützung der Produktionsleitung aus Nanjing werden derzeit lokale Supplier für die Fabrikausstattung ausgesucht. Bis die ersten Roboter dort vom Band laufen, hat Estun für Europa bereits einen gewissen Bestand mit den gängigsten Robotermodellen aufgebaut.
Denn für Gerald Mies ist es wichtig, beim Marktstart lieferfähig zu sein. „Diese Lieferfähigkeit ist auch deshalb wichtig, damit wir potenziellen Kunden Roboter für Tests zur Verfügung stellen können“, ergänzt Deutschland-CEO Ralph Christnacht. Zudem steht bei allen Ländergesellschaften der Aufbau eines schlagkräftigen Vertriebsteams sowie der Aufbau des After-Sales-Service samt Schulungseinheiten im Fokus, ergänzt Ralph Christnacht: „Wir brauchen eine starke Grundstruktur, die wir parallel zum Branchen- und Flächenvertrieb aufbauen.“
Erste Roboter bei namhaften Automobilzulieferern
Die ersten Estun-Roboter stehen bereits bei namhaften Automobilzulieferern, die teilweise auch schon Tests in China gemacht haben. Aber macht ein Markteintritt ausgerechnet in einer Zeit konjunktureller Unwägbarkeiten Sinn? Genau diese Krise sei eine Phase, sich um mehr Effizienz in der Produktion und über eine Automatisierung Gedanken zu machen, findet Ralph Christnacht: „Gerade in einer Konsolidierungsphase suchen Unternehmen nach zukunftsweisenden Lösungen. Da können wir ein preiswertes Angebot machen. Mit unseren Robotern lassen sich auch kleinere Produktionseinheiten automatisieren und man erzielt schnell einen Return on Investment.“
Mit seiner Robotersparte hat Estun bereits über 100.000 Roboter in den Markt gebracht, der allergrößte Teil davon in China. Estun rüstet in China beispielsweise den Automobilhersteller BYD aus. Außerdem ist der Roboterhersteller stark vertreten in der Photovoltaik (über 18.000 Roboter), in der Produktion von Lithium-Akkus (über 4.000 Roboter) und bei Lösungen für die Blechverarbeitung. Dazu wurde die hochautomatisierte Roboterproduktion auf eine Kapazität von 50.000 Robotern pro Jahr ausgebaut.
Strategischer Technologieplan
Zu den Stärken des Unternehmens gehört laut Gerald Mies außerdem eine enorme Entwicklungsgeschwindigkeit: das Team in Forschung und Entwicklung umfasst rund 1.200 Personen. Auch humanoide Roboter stehen daher auf der Entwicklungsagenda.
In Sachen Industrieroboter umfasst das Programm 87 unterschiedliche Roboter zwischen 3 und 1.000 kg Traglast. Dabei reagiert man konsequent auf Anforderungen des Marktes, wie etwa bei der Entwicklung einer speziellen Kinematik für die Automatisierung von Abkantpressen, so Estun.
In den nächsten 24 Monaten wollen die Chinesen ihre Technologie planvoll weiterentwickeln. Auf der Automatica stellte Estun seinen „Strategy Plan 2025“ vor, in dem für die nächsten 18 bis 24 Monate die Entwicklungsschwerpunkte fixiert sind. Ziel ist es vor allem, eine einheitliche technologische Plattform für alle Produktlinien zu entwickeln. Lu Yang, Leiter der Entwicklung bei Estun: „Wir haben den Vorteil, direkt in die neue Technik einsteigen zu können, ohne jahrzehntealte Produktlinien integrieren zu müssen.“
Einheitliche offene Plattform
Mit der technologischen Offensive will Estun vor allem zwei Ziele erreichen: Erstens soll eine einheitliche, offene Plattform Vorteile für Integratoren und Endkunden bringen, die über alle Produktgruppen hinweg die Vorteile einheitlicher Technologie nutzen können. Zum anderen sollen hinsichtlich Roboterperformance und funktionaler Sicherheit das internationale Top-Niveau erreicht und weiter ausgebaut werden.
Dabei sucht Estun auch die Nähe zu europäischen Spezialisten: Schon seit Jahren arbeitet Estun mit dem schwedischen Unternehmen Cognibotics zusammen, um basierend auf der Open-Sprache Julia eine neue, einheitliche Programmiersprache namens „Romeo und Juliet“ zu entwickeln. Auch mit der Ausgründung aus dem Fraunhofer IWU in Dresden, Botfellows, gibt es eine Kooperation.
Unsere Webinar-Empfehlung
Aus dem Bereich des industriellen Schweißens sind Robotik und Automatisierung längst nicht mehr wegzudenken. Egal ob Fachkräftemangel, zunehmender Produkt-Mix oder wachsende Anforderungen an die Produktionsgeschwindigkeit, Roboter und Automatisierungslösungen können die größten…