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Ihr Vater schleppte sie nach Italien. Komplett isoliert lebten zwei Brüder jahrelang im Wald. Nur durch Zufall wurden die „Geistergeschwister“ gefunden.

Lauriano – Dieser Fall sorgt weit über die Grenzen des Piemont für Aufsehen. Völlig verwahrlost und isoliert wurde ein Geschwisterpaar auf einem abgelegenen Bauernhof in Norditalien entdeckt. Ihr Vater hatte sie im Wald von der Außenwelt fernhalten wollen.

Erschütternder Fall um „Geistergeschwister“ in Italien: Vater verschleppte Kinder aus Viren-Angst

Aus Angst vor Viren und Masken schickte der heute 54-jährige Niederländer seine Kinder laut italienischen Medien bereits seit Beginn der Corona-Pandemie 2020 nicht mehr zur Schule. Spätestens 2022 verschleppte er sie in den Wald nach Italien. Vieles erinnert an den Fall dreier vermisster Kinder, die in Neuseeland von ihrem Vater in die Wildnis entführt wurden.

Lauriano liegt am Fluss Po in Italien, rund 30 Kilometer von Turin entfernt. Tief im Wald versteckte sich das Bauernhaus mit den „Geistergeschwistern“.

Lauriano liegt am Fluss Po in Italien, rund 30 Kilometer von Turin entfernt. Tief im Wald versteckte sich das Bauernhaus mit den „Geistergeschwistern“. © Wirestock/ImagoVerschleppte Kinder aus Deutschland zufällig bei Italien-Unwetter im Wald entdeckt

Im April entdeckt die Polizei die Familie zufällig in den Hügeln von Lauriano bei Turin, als das Gebiet wegen Überschwemmungen evakuiert wurde. Wäre der Fluss Po nicht über die Ufer getreten, wäre das heruntergekommene Bauernhaus der Familie wohl nie entdeckt worden. Als vermisst gemeldet waren sie nie.

„Wir haben in Deutschland gelebt und ich bin erst seit drei Jahren in Lauriano“, sagte der Vater der Zeitung La Stampa. Seine Kinder, zwei Brüder im Alter von neun und sechs Jahren, waren in Deutschland geboren worden. Als die Polizei sie fand, trugen sie Windeln und konnten laut mehrerer Medienberichte weder sprechen, lesen noch schreiben.

„Geistergeschwister“ in Italien gefunden – Bürgermeisterin schaltet sich ein

In Italien hat der Vater die Brüder nie registriert. Sie haben keinen Personalausweis und lebten drei Jahre lang isoliert im Wald. Als ihre Geschichte Ende Juni bekannt wurde, reagierte die Region erschüttert. Menschen nannten sie „Geistergeschwister“ oder „Waldgeister“ und die Bürgermeisterin von Lauriona, Mara Baccolla, schaltete sich sofort ein.

„Es handelt sich um einen sehr heiklen Fall“, sagt Baccolla dem Portal stol.it. „Was uns als Verwaltung und als Gemeinschaft am meisten beschäftigt, ist, dass diese Kinder endlich ein Gleichgewicht finden und Zugang zu einem Leben erhalten, das diesen Namen auch verdient.“ Getroffen hat die Bürgermeisterin den Vater nur ein einziges Mal, als er sich in der italienischen Ortschaft angemeldet hat – allein.

Von Eltern isoliert und verwahrlost: Bruderpaar soll von anderer Familie aufgenommen werden

Die Kinder wurden ihrem Vater mittlerweile vom Jugendamt entzogen. „Aus dem Bericht und den Aufklärungsberichten ergeben sich Tatsachen, die nahelegen, dass den Minderjährigen eine ausreichende Unterstützung durch ihre dazu verpflichteten Eltern oder Angehörigen vorenthalten bleibt“, zitiert La Stampa aus einer Erklärung des Jugendgerichtsrats. Die Brüder sollen jetzt an eine Adoptiv- oder Pflegefamilie vermittelt werden.

Bis eine neue Familie gefunden wurde, leben die „Geistergeschwister“ vorerst an einem geheim gehaltenen Ort. „Wir haben alles getan, um sie zu schützen“, sagt Bürgermeisterin Baccolla. Die Eltern werden von der Staatsanwaltschaft als ungeeignet eingestuft. Die Mutter sei abwesend und zeige mangelndes Interesse an ihren Kindern, der Vater betreibe Vernachlässigung, Isolation und setze keine kindgerechten Anreize. Dazu kommen prekäre hygienische Bedingungen.

Vater der „Geistergeschwister“ verteidigt sich

Der Vater verteidigt sich und hat eine Anwältin eingeschaltet. „Meine Frau und ich bieten ihnen (den Kindern; Anm. d. Red.) alles, was sie brauchen“, beteuert er. „Sie haben viele Spielsachen, jeder einen eigenen Laptop, viele Musikinstrumente und eine eigene Skiausrüstung.“ Ob das so stimmt, lässt sich nicht überprüfen. Personalausweise, Steuernummern, Zugang zu Schulbildung oder einem Kinderarzt hatten die „Geistergeschwister“ zumindest jahrelang nicht. (moe)