Der Sender Habertürk berichtete am Dienstag, dass Celik von der Polizei zum Verhör gebracht wurde. Der Haftbefehl dreht sich laut der Anklagebehörde um Ermittlungen zu parteiinternen Wahlen. Erst am Wochenende hatte es Medienberichten zufolge erneut Festnahmen von Oppositionellen gegeben. Die türkischen Behörden setzten demzufolge die CHP-Bürgermeister der Großstädte Antalya, Adana und Adiyaman sowie weitere Oppositionelle fest. Die Vorwürfe drehen sich meistens um Terrorismusverdacht bzw. Korruption.
Wie das Stockholm Center for Freedom am Dienstag meldete, will Erdogan auch die Immunität von 61 CHP-Abgeordneten – die Fraktion hat 135 Mandate – aufheben lassen. Dazu gebe es einen präsidentiellen Antrag, der dem türkischen Parlament vorgelegt worden sei.
Größte Protestwelle seit 2013
Die türkischen Behörden gehen seit Monaten gegen die sozialdemokratische CHP vor. Die erste Verhaftung und Absetzung betraf Ahmet Özer, Bürgermeister von Esenyurt, im Oktober. Im Zentrum aber steht der Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu. Er war im März wegen Korruptionsvorwürfen in Untersuchungshaft genommen worden, was eine Welle an Protesten nach sich zog und weiter zieht. Es handelt sich im die größten Proteste seit jenem im Istanbuler Gezi-Park 2013.
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Seit Imamoglus Verhaftung demonstrieren seine Anhängerinnen und Anhänger, hier in Istanbul am 100. Tag seiner Haft am 1. Juli
Imamoglu gilt als der wichtigste politische Rivale Erdogans. Er hat bereits angekündigt, bei der Wahl 2028 gegen Erdogan anzutreten. Die CHP wollte dafür erstmalig eine Vorwahl abhalten, um die zerstrittenen Parteikader der CHP zu mobilisieren und auch um die Angriffe der Justiz abzuwehren. Doch fünf Tage vor dieser Vorwahl wurde Imamoglus Hochschuldiplom der Uni Istanbul aberkannt – Voraussetzung für das Antreten bei der Präsidentschaftswahl –, und kurz darauf wurden er und seine engsten Mitarbeiter verhaftet. Wegen des Vorwurfs, seinen Universitätsabschluss gefälscht zu haben, steht Imamoglu nun ab 11. September ein weiteres Verfahren ins Haus.
Urteil an der Wahlurne
Inzwischen sitzen etwa 15 Bürgermeister der CHP in Untersuchungshaft, und Hunderte Parteimitglieder gerieten ins Visier der Justiz. Die säkulare CHP war in Kooperation mit der prokurdischen Partei DEM aus den landesweiten Kommunalwahlen im vergangenen Jahr als stärkste Kraft hervorgegangen. Der Wahlausgang galt als heftiger Denkzettel für die AKP, es war ihre größte Niederlage in 20 Jahren.
Geopolitik als Motor
Doch nicht nur der Wahlsieg der CHP im vorigen Jahr wird allgemein als Grund für Erdogans Vorgehen gegen die Oppositionspartei zu diesem Zeitpunkt gesehen. Soli Özel, Professor für internationale Beziehungen an der Istanbuler Kadir-Has-Universität, stellte in einer Analyse für das Institut Montaigne fest, dass Erdogans Regierung von den geopolitischen Umwälzungen der Region profitieren konnte.
Der Sturz des Regimes von Baschar al-Assad in Syrien und die engen Beziehungen Ankaras zu den neuen Machthabern in Damaskus hätten der Türkei in die Hände gespielt. „Die Entwicklungen in der Ukraine und die Unsicherheit über das amerikanische Engagement für die Sicherheit Europas trugen ebenfalls zur Stärkung der strategischen Bedeutung der Türkei bei.“
Zudem ist der Kampf der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) unblutig an seinem Ende angelangt. Im Mai hatte die PKK ihre Auflösung bekanntgegeben und ihren jahrzehntelangen bewaffneten Kampf für die Rechte der Kurden für beendet erklärt. Die PKK-Kämpfer wollen einem Medienbericht zufolge am Freitag mit der Abgabe ihrer Waffen beginnen.
Innenpolitische Ursachen
Angesichts dieser Voraussetzungen erscheine der Zeitpunkt des Vorgehens gegen die CHP ungünstig gewählt, so Özel. Doch habe Erdogan bisher nie mit so starken politischen Rivalen zu tun gehabt.
Reuters/Dilara Senkaya
Ekrem Imamoglu
Nun sei er erstmals seit langer Zeit auch „nicht mehr in der Lage, die Berichterstattung zu kontrollieren und zu manipulieren, obwohl er 90 Prozent der Medien und Kommunikationsmittel, ganz zu schweigen von den Gerichten kontrolliert. Die Geschichte ist für jeden offensichtlich und kaum zu verdrehen.“ Weiters betreffe die schlechte Lage der türkischen Wirtschaft und die hohe Inflation nun auch Erdogans loyale Wählerschaft. Die Perspektive auf ein besseres Leben schwinde zunehmend.
Bekanntes Muster
All das seien Gründe für Erdogan, die ihm gefährlich werdende Opposition so lange Zeit vor den Wahlen 2028 ins Visier zu nehmen. Der schwerwiegende Angriff auf Imamoglu aber sei „wohl einer der schwerwiegendsten Fehler des Präsidenten in seinem langen politischen Leben“ gewesen, so Özel. Er habe den Widerstand wohl unterschätzt. Dass er seinen mächtigsten Gegner seit 23 Jahren ins Gefängnis warf, werde von der Öffentlichkeit als illegitim angesehen und habe stark seine eigene Legitimität beschädigt.
Auch für den Politikwissenschaftler Berk Esen von der Istanbuler Sabanci-Universität steckt hinter Erdogans Vorgehen eine auch zeitlich wohlkalkulierte Strategie. Die CHP sei vor Kurzem noch gespalten gewesen, und Erdogan versuche nun ein weiteres Mal, die Reform- und Verjüngungsprozesse der Opposition zu verhindern. Ihm seien die alten, erstarrten, volksfernen und erfolglosen Führungen der Opposition als Rivalen genehmer, wie Esen der Deutschen Welle (DW) sagte. Er erinnerte auch daran, das Erdogan diese Methode in der Vergangenheit bereits mehrmals angewandt habe – jedes Mal mit Erfolg.