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Russlands Krieg verändert Europas Sicherheitsarchitektur. Fünf Nato-Staaten wollen nun wieder Antipersonenminen einsetzen.

Helsinki/Vilnius – Die sicherheitspolitische Landkarte Europas steht vor einer historischen Zäsur: Fünf Nato-Staaten an der Ostflanke, darunter Finnland und Litauen, wenden sich vom internationalen Minenverbot ab. Als direkte Reaktion auf den Ukraine-Krieg und die militärische Bedrohung aus Russland verlassen sie die Ottawa-Konvention zum Verbot von Antipersonenminen und bereiten eine Wiederaufnahme der Minenproduktion vor.

Nato-Staaten wollen verbotene Waffe wieder einsetzen

Finnland und Litauen, beide mit direkter Grenze zu Russland, haben den Vereinten Nationen ihren Austritt aus dem Minenverbot bereits gemeldet. Der Prozess tritt nach sechs Monaten formell in Kraft. „Wir werden Hunderte Millionen Euro für Panzer- und auch für Antipersonenminen ausgeben. Es wird sich um eine bedeutende Menge handeln“, erklärte Litauens stellvertretender Verteidigungsminister Karolis Aleksa gegenüber Reuters. „Unsere nationale Industrie wird eine der Quellen sein. Unsere Industrie kann das leisten.“ Es seien „Zehntausende, wenn nicht mehr“ Minen geplant.

Auch Finnlands Verteidigungsausschuss betont die Notwendigkeit eigener Produktion. „Finnland muss, für die Versorgungssicherheit, eine eigene (Antipersonenminen-)Produktion haben“, so Parlamentsausschuss-Vorsitzender Heikki Autto. „Sie sind ein äußerst effektives und sehr kosteneffizientes Waffensystem.“ Das Land, das über die längste Nato-Grenze zu Russland verfügt, hatte vor seinem Beitritt zur Ottawa-Konvention im Jahr 2011 über eine Million Minen vernichtet, schreibt das Online-Magazin Army Recognition.

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Pistorius-Besuch in Litauen

Fotostrecke ansehenAuch andere Nato-Staaten steigen aus der Ottawa-Konvention aus – mögliche Exporte an Ukraine

Drei weitere Nato-Staaten – Polen, Lettland und Estland – haben ebenfalls ihren Austritt erklärt, wenn auch ohne sofortige Produktionspläne. Polen und Lettland signalisieren laut Reuters, dass eine schnelle Aufnahme der Fertigung möglich sei, während Estland die Option offen hält. Litauen und Finnland prüfen bereits, einen Teil der Minen an die Ukraine zu liefern: „Nach Aufbau der Produktion wird Litauen in der Lage sein, auch andere, darunter die Ukraine, zu beliefern“, so Vincas Jurgutis, Chef des litauischen Verteidigungsindustrieverbands.

In Finnland stehen Unternehmen wie Nammo Lapua, Insta und Raikka bereit, in die Fertigung einzusteigen. Der Verteidigungsausschuss des finnischen Parlaments sieht sogar Exportpotenzial für andere Nato-Staaten, besonders für die baltischen Länder und Polen, schreibt der finnische Rundfunksender Yleisradio auf seiner Website. Allerdings sollen Minen nicht außerhalb der Nato exportiert werden.

Grenzübergang und Bodenminen

Ein neu errichteter Grenzzaun nahe dem Grenzübergang Nuijamaa in Lappeenranta, Ostfinnland, am 21. Mai 2025. Finnland verstärkt die Grenze zu Russland mit einem 200 Kilometer langen Zaun an strategisch wichtigen Abschnitten. Im Zuge der sicherheitspolitischen Neuausrichtung bereiten Finnland und weitere Nato-Staaten zudem die Wiederaufnahme der Produktion von Antipersonenminen vor. © Foto links: IMAGO / Lehtikuva | Foto rechts: X (Screenshot)/@astraiaintel
Antipersonenminen – Typen, Status und internationale Fakten

DefinitionAntipersonenminen sind Landminen, die gezielt gegen Menschen wirken und meist durch Betreten oder Annäherung ausgelöst werden.Ottawa-KonventionDas Ottawa-Abkommen verbietet seit 1997 Einsatz, Lagerung, Herstellung und Weitergabe. 164 Staaten haben unterzeichnet; USA, Russland, China nicht.Produktion heuteIn Europa und Vertragsstaaten verboten. Russland, Myanmar, China, Indien und Pakistan produzieren weiter oder sind nicht beigetreten.TypenDruckmine (z.B. PMN), Stockmine (z.B. POMZ), Springmine (z.B. S-Mine), Richtmine (z.B. M18 Claymore).OpferstatistikÜber 80 % der Opfer sind Zivilisten. Gefahr bleibt oft Jahrzehnte nach Kriegsende bestehen, besonders für Kinder und ländliche Gebiete.WirkungUnterscheiden nicht zwischen Soldaten und Zivilisten. Auch von nicht-staatlichen Gruppen eingesetzt; Wirkung ist undifferenziert und trifft oft Unbeteiligte.

Quellen: icrc.org, Deutschlandfunk, Statista, euronews, bpb.de.

Antipersonenminen: Zwischen humanitärer Kritik und strategischer Abschreckung

Die Entscheidung sorgt international für Empörung: „Diese Ankündigungen sind besonders besorgniserregend, da sie den Schutz von Zivilisten schwächen könnten“, erklärte UN-Generalsekretär António Guterres, gemäß Swissinfo. Die Präsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Mirjana Spoljaric, sprach von einem „gefährlichen Kurswechsel“.

Denn über 80 Prozent der Opfer von Antipersonenminen sind Zivilpersonen, davon etwa 40 Prozent Kinder. Die Waffen bleiben häufig jahrzehntelang nach Kriegsende eine tödliche Gefahr. Die Räumung ist kostspielig und aufwendig; nach der Einführung des Ottawa-Übereinkommens sank die Zahl der jährlichen Opfer von 25.000 (1997) auf 3.000 (2013), stieg aber bis 2023 wieder auf 5.700, vor allem in der Ukraine und Burma, so Swissinfo.

Neue Antipersonenminen-Technologien – trotzdem hohe Risiken für Zivilisten

Die Staaten rechtfertigen ihr Vorgehen mit der Bedrohung durch Russland, das selbst nie dem Minenverbot beigetreten ist und im Ukraine-Krieg großflächig Minen einsetzt. Auch die Ukraine nutzte solche Waffen angeblich bereits gegen Wladimir Putins Armee, klagte Human Rights Watch im Jahr 2023 und kündigte Anfang Juli 2025 ihren Austritt aus dem Ottawa-Vertrag an.

Litauens und Finnlands Regierungen betonen, die neuen Minen würden modernen Standards entsprechen, mit verbesserten Sicherungen und klarer Markierung der Felder, bemerkt das finnische Nachrichten-Portal Verkkouutiset.

Gleichzeitig warnen Experten vor einem Reputationsrisiko für Unternehmen, die sich an der Fertigung beteiligen. Der finnische Verteidigungsausschuss fordert daher, so Yleisradio, dass die Armee die Federführung in Entwicklung und Einsatz übernimmt.