Emmanuel Macron und Keir Starmer haben eine engere militärische Verzahnung ihrer Länder beschlossen. Im Ernstfall sollen Atomwaffen gemeinsam eingesetzt werden können. Für den Fall einer Waffenruhe in der Ukraine ist zudem eine europäische Friedenstruppe geplant.

Der britische Premierminister Keir Starmer und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einer Videokonferenz mit weiteren Mitgliedern der «Koalition der Willigen» am Donnerstag.
Der britische Premierminister Keir Starmer und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einer Videokonferenz mit weiteren Mitgliedern der «Koalition der Willigen» am Donnerstag.

Leon Neal / Getty

Drei Tage weilte Emmanuel Macron zum Staatsbesuch im Vereinigten Königreich. Der französische Präsident verhandelte ein Migrationsabkommen mit Premierminister Keir Starmer, verkündete die Leihgabe des weltberühmten Teppichs von Bayeux an London und zelebrierte mit einer Rede im Parlament die wiederauferstandene franko-britische Freundschaft. Für das meiste Aufsehen sorgte aber eine gemeinsame Erklärung vom Donnerstag, laut der Frankreich und Grossbritannien ihre Streitkräfte im Fall einer «extremen Bedrohung» noch enger verzahnen wollen – bis hin zum möglichen gemeinsamen Einsatz von Atomwaffen.

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Warnung an Moskau

Macron und Starmer unterzeichneten dazu ein Papier, wonach Paris und London zwar weiterhin eigenständig über ihr Abschreckungspotenzial entscheiden, ihre militärischen Reaktionen im Ernstfall aber künftig eng miteinander abstimmen wollen. Gegründet werden soll dazu eine Gruppe für nukleare Aufsicht unter dem gemeinsamen Vorsitz des Élysée-Palastes und des britischen Kabinettsbüros. «Es gibt keine extreme Bedrohung für Europa, die nicht eine Reaktion beider Länder hervorrufen würde», heisst es in der Erklärung.

In Westeuropa sind Frankreich und Grossbritannien die einzigen Länder mit Atomwaffen. Das britische Arsenal ist jedoch von amerikanischen Trägerraketen abhängig und eng in die Abschreckung der Nato eingebunden. Derzeit können die Waffen nur von U-Booten abgefeuert werden. Das französische Atomwaffenarsenal hingegen ist sowohl luft- als auch U-Boot-gestützt und nicht an Nato-Strukturen oder amerikanische Technologie gebunden. Auf diese Unabhängigkeit ist man in Paris stolz.

Dass Macron und Starmer ihre nukleare Abschreckung nun strategisch aufeinander abstimmen wollen, ist ein deutliches Signal an Russland, aber auch an die USA. Dem Kreml demonstrieren zwei europäische Führungsmächte, im Ernstfall geschlossen reagieren zu können; Washington zeigen sie, dass sich die beiden Atommächte mehr sicherheitspolitische Eigenständigkeit zutrauen und notfalls auch ohne Rückendeckung aus Amerika handeln könnten. «In Europa besteht die Erwartung, dass unsere beiden Länder angesichts revisionistischer Nachbarn eine besondere Verantwortung für die Sicherheit des Kontinents tragen», sagte Macron in seiner Rede vor beiden Kammern des britischen Parlaments.

Die Ankündigung kommt zu einem kritischen Zeitpunkt für den Kontinent. Russland hatte die Ukraine allein in der Nacht auf Mittwoch mit 728 Drohnen und 13 Raketen angegriffen, der höchsten Zahl eingesetzter Flugkörper seit Kriegsbeginn. In der Nacht auf Donnerstag feuerte Russland weitere 400 Drohnen und 18 Raketen ab. Vor diesem Hintergrund gewann ein Treffen der sogenannten «Koalition der Willigen» auf dem britischen Nato-Stützpunkt Northwood zusätzliche Dringlichkeit. Die Ländergruppe unter Führung von Frankreich und Grossbritannien setzt sich dafür ein, dass die Ukraine verlässlich mit Waffen unterstützt wird. Zugleich treibt sie die Planungen für eine europäisch geführte Friedenstruppe voran, die nach einem möglichen Waffenstillstand in der Ukraine zum Einsatz kommen könnte.

Waffenlieferungen gehen weiter

Macron und Starmer hatten die Koalition im Frühjahr unter dem Eindruck gegründet, dass der amerikanische Präsident Donald Trump die Ukraine im Stich lassen würde. Erst vergangene Woche hatte das Pentagon (mit Verweis auf knappe Bestände) die Aussetzung von Waffenlieferungen an Kiew angeordnet. Doch bereits am Montag gab Trump bekannt, dass die Lieferungen wieder aufgenommen würden. Dies betrifft unter anderem den Transfer von 155-Millimeter-Artilleriemunition und von präzisionsgelenkten Boden-Boden-Raketen.

Auch Deutschland sagte der Ukraine neue Militärhilfe zu. Bundeskanzler Friedrich Merz, der sich per Video aus Rom nach Northwood zuschaltete, kündigte dazu den Ankauf weiterer Patriot-Systeme aus den USA an, um die ukrainische Luftverteidigung gegen russische Angriffe zu stärken. Parallel zum Treffen der Koalition der Willigen wurde in Rom eine internationale Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine abgehalten. Dort warb der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski um langfristige Investitionen für sein Land und forderte erneut die Freigabe eingefrorener russischer Vermögenswerte zur Finanzierung des Wiederaufbaus. Vor allem aber erinnerte Selenski die Europäer daran, dass Putin sein Land in diesen Tagen mit «reinem Terror» überziehe.

Tatsächlich ist ein Waffenstillstand derzeit kaum in Sicht. Russland intensiviert seine Angriffe, und diplomatische Signale bleiben vage. Zwar trafen sich am Donnerstag am Rande der Asean-Konferenz in Kuala Lumpur der russische Aussenminister Sergei Lawrow und sein amerikanischer Amtskollege Marco Rubio, doch von greifbaren Fortschritten konnte keine Rede sein.

Die von Macron und Starmer geführte Ländergruppe will dennoch für die Zeit eines etwaigen Friedensabkommens vorbereitet sein. Macron sagte dazu in Northwood, es gebe einen Plan, der innerhalb von Stunden nach Inkrafttreten eines Waffenstillstands umgesetzt werden könne. Die Koalition der Willigen bestehe aus dreissig Ländern, Hunderte Soldaten seien mobilisierbar, und auch einen Generalstab werde man aufbauen. Das werde ermöglichen, so Macron, «einen Waffenstillstand dauerhaft einzuhalten und ihn in der Luft, auf See und durch eigene Kräfte glaubwürdig zu machen».