Mattle hatte am Sonntag eine „Reform von der Reform“ und wieder mehr Länderkompetenzen für die Kassen gefordert. „Im föderalen System sind die Verantwortlichen viel, viel näher beim Bürger, und das bringt auch Effizienz“, so Mattle. Die Zentralisierung der Kassen war 2018 unter einer von Sebastian Kurz (ÖVP) geführten ÖVP-FPÖ-Regierung beschlossen worden. Versprochen wurde damals, dass die Ersparnisse daraus eine „Patientenmilliarde“ bringen würden.
Lob für Mattles „Einsicht“ kam am Montag von ÖGK-Obmann Andreas Huss. Es sei „gut“, dass Mattle die mangelnde regionale Präsenz der ÖGK in den Bundesländern angesprochen habe. Die Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmervertreter würden aber noch mehr Fehler in der „missglückten“ Reform finden. Huss ist als Vertreter der Arbeitnehmerseite seit Juli turnusgemäß wieder ÖGK-Obmann.
Der Tiroler Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) hatte am Sonntag in der „Pressestunde“ die Reform als „Fehler“ bezeichnet.
Drei Forderungen für weitere Reform
Vor allem könnten die Versicherten nicht mehr selbst über ihre Beiträge entscheiden, sondern seien durch die Vertreter der Arbeitgeber „fremdbestimmt“. „Das war neben der gewollten Privatisierung der Gesundheitsversorgung das zweite Ziel der Kassenzusammenlegung.“
Bei einer weiteren Reform müssten nun drei Ziele im Vordergrund stehen: Erstens müsse die ÖGK die finanziellen Mittel, die ihr durch die Kassenfusion entzogen wurden, zurückbekommen. Zweitens sei der Einfluss der Arbeitgeber, Privatspitäler und Privatversicherungen wieder zu reduzieren. Drittens müsse die ÖGK wieder regionaler werden.
Schumann verweist auf Evaluierung
Gesundheitsministerin Korinna Schumann (SPÖ) verwies auf eine geplante Evaluierung. Rückblickend müsse man sagen, dass das, was angekündigt wurde – die Patientenmilliarde – eine „Schmähpartie“ gewesen sei, so Schumann. Zu einer konkreten Aussage, was nun zu tun sei, ließ sie sich nicht bewegen: Es gehe hier nicht um ihre Meinung, es gehe um einen Evaluierungsprozess der Sozialversicherungsreform, dieser sei im Regierungsprogramm vereinbart worden.
„Wir werden uns anschauen anhand von Zahlen, Daten, Fakten: Wo sind denn Dinge, die nicht so gut laufen? Welche Handlungsschritte müssen wir denn setzen?“, so Schumann. Es gehe nicht „um Einzelmeinungen“, sondern man brauche „Fakten und Tatsachen, die am Tisch liegen“. Damit könne man dann entscheiden.
ÖVP gegen „Rückkehr“ zu alter Struktur
Eine Rückkehr zur alten Struktur wäre nicht zielführend, so hingegen ÖVP-Generalsekretär Nico Marchetti. Er verwies auf die Beschlüsse in der Landeshauptleutekonferenz. Für kürzere Wartezeiten brauche es eine bessere Patientenlenkung, mehr Telemedizin und Maßnahmen zur Bewältigung des Fachkräftemangels.
Debatte
Wie steht es um das Gesundheitssystem?
„Die Rückkehr zu 21 Kassen erscheint uns in Hinblick auf den notwendigen Bürokratieabbau und die Bedeutung schlanker Strukturen als nicht zielführend“, meinte Marchetti. Auch die Grünen äußerten sich skeptisch. Deren Gesundheitssprecher Ralph Schallmeiner gab Mattle zwar recht, wenn es um den „türkis-blauen Marketingschmäh“ „Patientenmilliarde“ geht, eine Renaissance des Föderalismus wäre für die Versicherten im Land aber eine schlechte Nachricht.
NEOS-Gesundheitssprecher Johannes Gasser kritisierte ebenfalls das Milliardenversprechen und beklagte, dass in der Umsetzung mehr Posten entstanden als eingespart worden seien. Zugleich bekräftigte er: „Eine Rückkehr zur alten Struktur würde eine Rückkehr zur Zersplitterung bedeuten.“ Das sei abzulehnen. NEOS sehe vielmehr weitere Reformmöglichkeiten etwa im Bereich der Digitalisierung, sagte Gasser.
Ärztekammer: Reform „fachlich ungenügend“
Die Ärztekammer begrüßte das „klare Reformsignal“ Mattles: „Die Fusion war fachlich ungenügend vorbereitet und hat zentrale Versprechen nicht eingelöst“, so Kammerpräsident Johannes Steinhart. „Wir brauchen echte Strukturreformen und nicht kleinliche Sparmaßnahmen – wie etwa Beschränkungen bei MR- und CT-Untersuchungen – auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten.“ Der aktuelle Jahresbericht der ÖGK zeige, wie tief die Kasse inzwischen in Schieflage geraten sei. Die Rücklagen seien aufgebraucht, die finanzielle Lage angespannt. Das offenbare die strukturellen Schwächen der fusionierten Kasse.
ÖGK-Spitze gegen „Retourgang mit Vollgas“
Peter McDonald, der Vorsitzende im Dachverband der Sozialversicherungen, zeigte sich über die Debatte wenig erfreut und sprach sich gegen einen „Retourgang mit Vollgas“ aus: „Ich kann wenig damit anfangen, wenn wichtige – damals mit den Bundesländern gemeinsam ausgearbeitete – Reformen in der Sozialversicherung immer wieder von verschiedenen Seiten aus politischen Motiven angezweifelt und kritisiert werden.“
Die Zusammenführung von 21 auf fünf Träger sei wichtig und richtig gewesen, hielt er via Aussendung fest. „Es kann kein politischer Weg sein, Strukturen wieder aufzublasen und damit teurer und ineffizienter zu machen. Vielmehr brauchen wir Vereinfachung statt Verneunfachung und müssen wir uns mit der Zukunft und nicht mit der Vergangenheit beschäftigen.“
SPÖ-Länder klar für Reform
Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) wiederum begrüßte den Vorstoß seines Tiroler Amtskollegen auf APA-Anfrage als „notwendigen und richtigen Schritt“ ausdrücklich. Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) verwies in einer der APA übermittelten Stellungnahme darauf, dass die Landeshauptleute bei ihrem letzten Treffen mit den Spitzen der Bundesregierung beschlossen hatten, die Organisation des Gesundheitswesens grundlegend zu diskutieren. „Ich habe immer gesagt, dass diese Reform keine Verbesserung gebracht hat“, so Hacker.
Auch der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) bekräftigte Mattles Kritik. Die unter dem früheren Kanzler Kurz betriebene Zusammenlegung der Kassen sei eine „reine Mogelpackung“ gewesen – mehr dazu in burgenland.ORF.at.
Stelzer mit zurückhaltender Kritik
Der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) gab sich in der Wortwahl zwar zurückhaltender, räumte aber ein: „Wenn man die Landsleute fragt, ob sich die Gesundheitsversorgung seit der ÖGK-Reform verbessert hat, würde wohl eine deutliche Mehrheit mit Nein darauf antworten.“ Er verwies auf längere Wartezeiten, weniger Fachärzte und überlastete Ambulanzen; es brauche dringend Verbesserungen.
Der steirische Gesundheitslandesrat Karlheinz Kornhäusl (ÖVP) teilte auf APA-Anfrage mit: „Die vielfältigen Herausforderungen im Gesundheitsbereich sind bekannt, und dass es Reformen braucht, sollte unstrittig sein.“ Wo jemand lebe, dürfe für die Versorgung keinen Unterschied machen. Derzeit gebe es einen Wildwuchs an Zuständigkeiten und bei den Finanzierungsströmen und immer noch keinen bundesweiten, einheitlichen Honorarkatalog für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Es brauche nun einen „umfassenden Masterplan“.
Salzburg und NÖ verweisen auf „Reformpartnerschaft“
Die Salzburger ÖVP gab sich zurückhaltend und verwies gegenüber dem ORF Salzburg auf die Reformpartnerschaft – mehr dazu in salzburg.ORF.at. Ebenso vage gab man sich im Büro von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP): „Welcher Weg beschritten wird, um das Ziel einer effizienten und patientenzentrierten Gesundheitsreform zu erreichen, wird in den zuständigen Reformgruppen entschieden“, hieß es.