Das Maillot Jaune kennt jeder. Es zeichnet Champions aus. Der beste Fahrer darf es nach drei kraftraubenden Wochen bei der Tour de France tragen. Und doch hat ein Trikot dem Leaderjersey etwas voraus: Die Fahrer im so besonderen Bergtrikot mit den auffallenden großen roten Punkten stehen in der Gunst der Fans meistens noch vor den Gesamtsiegern.

Die Erklärung ist einfach: Das Erobern des Bergtrikots erfordert Mut, Risikobereitschaft, Aggressivität und Kletterkünste – eine Mischung, die Spektakel garantiert. Das Bergtrikot ist das beim Publikum beliebteste. Es fällt auf. Wer die roten Punkte sieht, denkt sofort an die wagemutigen Soloritte von Richard Virenque oder die Fähigkeiten von Lucien van Impe.

Drei besondere Geburtstage

Herzlichen Glückwunsch zum 50. Geburtstag! Die Tour de France ist in Feierlaune und zelebriert in diesem Jahr drei runde Jubiläen. Das Jahr 1975 ist aus Sicht der Frankreich-Rundfahrt aus mehreren Gründen besonders wichtig. Damals wurden sowohl das Bergtrikot als auch das Trikot des besten Jungprofis eingeführt. Zudem wurde das Ziel der letzten Etappe erstmals auf den Pariser Champs-Élysées organisiert. In den 50 Jahren ist eine Menge passiert.

Gründungsmythen: Die Geschichte, dass das gepunktete Trikot den Verpackungen des Schokoladenherstellers Poulain, seinerzeit Sponsor des Bergklassements, nachempfunden sei, ist ein Mythos. Stattdessen erinnerte sich Félix Lévitan, Co-Direktor der Tour de France an der Seite von Jacques Goddet, an zwei populäre Bahnradfahrer aus den 1930er-Jahren: Henri Lemoine und Marcel Guimbretière. Sie waren für ihr Markenzeichen, ein weißes Trikot mit roten Punkten, bekannt. Lévitan gefiel die Idee und die Tour übernahm das Trikot.

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Was auch stimmt: Sponsor Poulain war seit 1964 der Namensgeber des Bergpreises. Um die Sichtbarkeit zu erhöhen und das Engagement aufzuwerten, wurde das Bergtrikot eingeführt. Auch an kleineren Anstiegen wurden nun Punkte vergeben.

Premiere: Der allererste Träger des Bergtrikots wurde am 27. Juni 1975 in Belgien an zwei kleineren Anstiegen auf der ersten Halbetappe gesucht. Joop Zoetemelk, der die Tour 1980 gewinnen und insgesamt 22 Tage im Gelben Trikot verbringen sollte, wurde zum ersten Fahrer im „maillot à pois“. Die Einführung des Bergtrikots entpuppte sich im Handumdrehen als goldrichtig.

Lucien van Impe fühlte sich im Bergtrikot stets sehr wohl. Foto: Getty Images

Lucien van Impe: Der heute 78-jährige Belgier ist vielleicht der beste Kletterer der Geschichte. Sechsmal sicherte er sich bei der Tour de France den ersten Platz in der Bergwertung. 1971 und 1972 durfte er allerdings noch nicht das besondere Bergtrikot überstreifen. Als das 1975 eingeführt wurde, ließ sich van Impe nicht lange bitten. Er holte es auf der zweiten Halbetappe und verteidigte es bis nach Paris.

Außerdem war der bislang letzte belgische Tour-Gewinner (1976) auch in den Jahren 1977, 1981 und 1983 siegreich. Van Impe war vom Sondertrikot so begeistert, dass ihn Teamchef Cyrille Guimard schon mal dran erinnern musste, die Gesamtwertung nicht komplett außer Acht zu lassen.

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Sponsoren: Seit 1975 haben acht verschiedene Marken das Bergtrikot gesponsort. Poulain (1975 bis 1978 und 1982 bis 1984) machte den Anfang, dann folgten Campagnolo (1979 bis 1981), Café de Colombia (1985 bis 1989), Ripolin (1990), Coca-Cola light (1991 bis 1992), Champion (1993 bis 2008), Carrefour (2009 bis 2018) und E.Leclerc (seit 2019).

Luxemburger Kletterkünstler: Seit 1975 hat noch kein Luxemburger das Bergtrikot getragen! Was allerdings nicht bedeutet, dass kein Fahrer aus dem Großherzogtum die Bergpreiswertung der Tour de France gewonnen hätte. Denn Charly Gaul war zweimal der Beste (1955, 1956).

Der „Engel der Berge“ gilt als einer der stärksten Bergfahrer der Geschichte. Dennoch trug er das gepunktete Trikot nie. Eine Wertung für den besten Kletterer gab es zwar schon seit 1933 – allerdings ohne Sondertrikot. Und schon seit der Tour 1908 wurde der Ehrentitel des besten Bergfahrers von der veranstaltenden Zeitung „L’Auto“ verliehen. François Faber durfte sich 1909 über diese Auszeichnung freuen.

Charly Gaul durfte nie das Bergtrikot überstreifen. Dennoch gehört er zu den besten Kletterern der Radsport-Geschichte. Foto: Getty Images

Gaul ist nicht der einzige Top-Kletterer, der nie im Bergtrikot unterwegs war. Marco Pantani oder Eddy Merckx ereilte das gleiche Schicksal. Andere starke Bergspezialisten oder Sieger großer Bergetappen fuhren ebenfalls nie in rot-weiß – wie Andy Schleck, José Maria Jimenez, Laurent Fignon, Greg LeMond oder Alberto Contador.

Start-Ziel-Sieg: Bernard Vallet ist nur den Insidern ein Begriff. Der heute 71-Jährige gewann das Bergtrikot im Jahr 1982. Dabei ist er der einzige Fahrer, der das Trikot im Anschluss an den ersten Abschnitt und bis zur 21. Etappe getragen und verteidigt hat. Einziger kleiner Makel: Auf der ersten Etappe trug das Trikot Jan Raas nach einem Coup im Prolog. In Basel war Vallet Sechster geworden.

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Doppelsieger: Nur zwei Fahrern ist in 50 Jahren das Kunststück gelungen, die Wertungen für den besten Sprinter und den besten Kletterer zu gewinnen! Bernard Hinault holt sich 1979 neben dem Tour-Sieg auch das Grüne Trikot und bei seiner letzten Frankreich-Rundfahrt 1986 auch noch das Bergtrikot.

Laurent Jalabert war 1992 und 1995 bester Punktesammler auf den Sprintetappen. Dann sattelte er um. 2001 und 2002 fuhr er sich mit mutigen Auftritten im Hochgebirge in die Herzen der Fans. Siegreiche Sprinter im Bergtrikot gab es auf einzelnen Etappen ebenfalls bereits. Marcel Wüst siegte im Jahr 2000 in Vitré im gepunkteten Trikot und Jean-Paul van Poppel jubelte 1994 in Boulogne-sur-Mer.

Laurent Jalabert mutierte vom Sprinter zum Bergfahrer. Foto: Getty Images

Elf in Serie: Einen Rekord stellte der Däne Magnus Cort Nielsen zu Beginn der Tour de France 2022 auf: Er gewann die ersten elf Bergwertungen der Rundfahrt. Damit überbot er den Rekord von Federico Bahamontes aus dem Jahr 1958 – allerdings hatte der Spanier seinerzeit echte Gipfel erklommen, Cort Nielsen „nur“ Hügel der vierten Kategorie in Dänemark und Nordfrankreich.

Richard Virenque: Der heute 55-jährige Franzose hat mit seinen sieben Titeln Lucien van Impe und Federico Bahamontes (beide sechs) als Rekordsieger der Bergwertung überflügelt. Er gilt dennoch unter den Experten nicht als einer der absoluten Top-Kletterer. Virenque legte sich stets clever an, attackierte, sprang in Ausreißergruppen und machte das Bergtrikot zu seiner Hauptmission. Oft überquerte er die Gipfel alleine. Selten holt er sich die Punkte im direkten Duell mit den Besten.

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Das soll seine Leistung aber nicht schmälern. Virenque hat als bislang einziger Radprofi viermal in Serie das Klassement gewonnen. Von 1994 bis 1997 war er unbezwingbar und dann wieder in den Jahren 2000, 2002 und 2004. Was nicht unerwähnt bleiben darf: Die Festina-Affäre und die Armstrong-Jahre werfen rückblickend einen Schatten auf Virenques Auftritte.

Richard Virenque war bekannt für lange Ausreißmanöver. Foto: Getty Images

Verseuchtes Erbe: Im Zuge der Festina-Affäre hatte die Skandal-Tour von 1998 auch Auswirkungen auf das Bergklassement. Rodolfo Massi vom Casino-Team wurde mit einem beträchtlichen Vorrat an Medikamenten aus dem Rennen genommen – daraufhin rückte Christophe Rinero nach. Der Franzose vom damals ebenfalls umstrittenen Cofidis-Team um Philippe Gaumont weigerte sich zunächst, das Trikot auf dem Podium zu tragen. Letztlich übernahm der Gesamtvierte das Bergtrikot doch und trug es bis nach Paris – ohne auch nur eine Bergwertung als Erster passiert zu haben.

Blutrotes Bergtrikot: Auf der neunten Etappe der Tour de France 2011 fuhr sich Johnny Hoogerland in die Geschichtsbücher – genau genommen flog er hinein. Der Niederländer des Vacansoleil-Teams war in einer Ausreißergruppe unterwegs und wurde Opfer eines gefährlichen Manövers eines TV-Begleitfahrzeugs. Dessen Fahrer drängte Juan Antonio Flecha und Hoogerland rücksichtslos von der Straße. Dabei flog der Niederländer in hohem Bogen in eine Wiese und landete im Stacheldrahtzaun.

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Mit zerfetztem Trikot und übersät von blutenden Wunden setzte er das Rennen fort. Am folgenden Tag trat er dick bandagiert, mit 33 Stichen genäht, aber auch im Bergtrikot an, das er auf jener denkwürdigen Etappe erobert hatte. Zwei Tage später nahm es ihm der Spanier Samuel Sanchez ab.

Johnny Hoogerland trug das Bergtrikot an fünf Tagen. Foto: Getty Images

Herrera lässt den Sponsor jubeln: Kolumbianische Kletterer sind längst etabliert, waren 1985 allerdings noch die absolute Ausnahme. Weil der Sponsor des Bergtrikots Café de Colombia hieß, war die Vorgabe klar. Und Luis Alberto „Lucho“ Herrera machte den Sponsor glücklich und wurde zum Volksheld. Schon im Prolog wurde er Zweiter am Anstieg der Côte de Cadoudal und trug das Trikot in Vertretung. Nach eifrigem Sammeln gewann er die Wertung schließlich mit 166 Punkten Vorsprung – wie auch 1987. Herrera ist bis heute der einzige Fahrer, der das Bergtrikot bei den drei großen dreiwöchigen Rundfahrten holen konnte.

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Streichresultate: In den vergangenen 50 Jahren wurde zwei Fahrern der Gesamtsieg in der Bergwertung wieder aberkannt. 2008 erwischte es Bernhard Kohl, nachdem in jener Tour schon Riccardo Ricco als Führender der Bergwertung wegen Dopings den Spitzenplatz räumen musste.

Im Folgejahr war es Franco Pellizotti, der sich nur so lange freuen durfte, bis die Werte in seinem Blutpass den Weltverband zum Eingreifen zwangen. Andere Gewinner des Bergtrikots wie Michael Rasmussen haben ebenfalls eine Dopinggeschichte, aus den Siegerlisten gestrichen wurden aber nur der Österreicher und der Italiener.

Zahlenallerlei zum Bergtrikot

Das Bergtrikot wird seit der Einführung vor allem von französischen Fahrern dominiert. 56 Franzosen durften bislang das gepunktete Trikot überstreifen. Auf den weiteren Plätzen der Nationenwertung folgen Italien, die Niederlande (beide 15), Belgien und Spanien (beide elf).

20 Franzosen haben die Bergwertung auch tatsächlich gewonnen. Rekordsieger Richard Virenque dominiert diese Statistik mit seinen sieben Erfolgen. Laurent Jalabert durfte sich zweimal auf den Champs-Élysées feiern lassen. Die letzten siegreichen Franzosen waren Warren Barguil (2017), Julian Alaphilippe (2018) und Romain Bardet (2019). Acht Fahrer haben die Wertung mehr als einmal gewonnen. Neben Virenque und Jalabert sind das Lucien van Impe (vier), Luis Herrera, Claudio Chiappucci, Michael Rasmussen, Rafal Majka und Tadej Pogacar (alle zwei).

Virenque ist auch der Fahrer, der die meisten Punkte in einem Jahr geholt hat. 1997 sammelte er beachtliche 579 Zähler. Der Franzose trug das Trikot an 86 Renntagen – Rekord. Dahinter folgen van Impe (68), Chiappucci (28) und Herrera (25).

Die Tour de France 2011 geht in die Geschichte ein, weil acht unterschiedliche Fahrer das Bergtrikot trugen: Thor Hushovd, Cadel Evans, Philippe Gilbert, Johnny Hoogerland, Tejay van Garderen, Samuel Sanchez, Jérémy Roy und Jelle Vanendert durften sich freuen.