Was ist das Waffensystem Typhon, mit dem die deutsche Regierung Russland vor einem Krieg abschrecken möchte? Mit einer Reichweite von 2000 Kilometern strebt Berlin eine völlig neue Dimension an.

U. S. Army / Perla Alfaro
Der Ankauf amerikanischer Patriot-Flugabwehrsysteme für die Ukraine hat zu Beginn der Woche die Schlagzeilen zum Besuch des deutschen Verteidigungsministers Boris Pistorius in Washington beherrscht. Überdeckt wurde dadurch eine wichtige Neuigkeit, die Pistorius in der amerikanischen Hauptstadt bekanntgab: Deutschland möchte Startgeräte des Typs Typhon beschaffen und hat soeben sein Kaufinteresse im Pentagon deponiert. Mithilfe von Typhon können Raketen und Marschflugkörper mittlerer Reichweite abgefeuert werden.
Das ist ein bedeutender Schritt: Erstmals seit dem Kalten Krieg würde Deutschland auf seinem Territorium Mittelstreckenwaffen stationieren. Es geht laut Pistorius darum, die Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit gegenüber Russland zu stärken. Denn seit langem ist bekannt, dass die europäischen Nato-Staaten in diesem Bereich eine gravierende Lücke haben.
Schon im Juli 2024 hatte die damalige deutsche Regierung öffentlich betont, dass sie die Abschreckungsfähigkeit gegenüber Russland mit der Stationierung weitreichender Waffen erhöhen wolle. Doch damals lag der Akzent noch auf einem anderen Projekt. Berlin und Washington gaben gemeinsam bekannt, dass die Amerikaner ab 2026 vorübergehend Mittelstreckenwaffen in Deutschland stationieren würden. Schon damals fiel die Wahl auf das neu entwickelte Startgerät Typhon. Die Regierung Biden sah dies als Übergangslösung, bis die Europäer ihre Pläne für eigene weitreichende Waffen umsetzen würden.
Inzwischen sind zwei Dinge klar: Erstens wird es bis zur Entwicklung solcher Waffen laut Pistorius noch sieben bis zehn Jahre dauern. Zweitens besteht keine Garantie mehr, dass die USA ihrem damaligen Entscheid treu bleiben. Er wird, wie so vieles aus der Ära Biden, gegenwärtig vom Pentagon einer Überprüfung unterzogen. Pistorius gab sich in Washington zuversichtlich, aber von seinem Amtskollegen Pete Hegseth erhielt er keine Zusage, dass die Amerikaner an der Stationierung festhalten.
Überbrückung, bis Elsa kommt
So oder so braucht es eine Brückentechnologie, wie es Pistorius nennt: eigene deutsche Waffensysteme, bis im nächsten Jahrzehnt das europäische Projekt für Mittelstreckenwaffen namens Elsa (European Long-Range Strike Approach) Realität wird. Mit Typhon, den Raketen vom Typ Standard Missile 6 (SM-6) und den Tomahawk-Marschflugkörpern steht die Technologie bereits zur Verfügung. Die USA demonstrierten dies am Mittwoch mit der ersten Kampfübung im Ausland. Dabei zerstörte eine mithilfe von Typhon gestartete SM-6 ein Objekt vor der Küste Australiens.
Typhon ist ein mobiles Raketenabschusssystem. Es besteht laut Militärangaben aus vier Startgeräten und einer Einsatzzentrale (Battery Operations Center) sowie Support-Fahrzeugen. Auf dem untenstehenden, vom Pentagon 2024 veröffentlichten Bild sind auf vier Sattelschlepper-Anhängern die weissen Raketen-Container erkennbar. Diese werden jeweils vor dem Start in senkrechte Position gebracht.
U. S. Army / Darrell Ames
Typhon ist eine Neuentwicklung der Army, aber das ihr zugrunde liegende vertikale Startsystem ist in der amerikanischen Navy seit langem im Einsatz. Es kann für verschiedene Arten von Raketen und Marschflugkörpern genutzt werden.
Eine zentrale Frage bleibt offen
Welche Flugkörper Berlin zusammen mit Typhon beschaffen will, ist vorerst unbekannt. Laut Pistorius sollen sie aber eine Reichweite von rund 2000 Kilometern haben. Dies ist brisant, weil es bedeutet, dass Deutschland bis nach Moskau und darüber hinaus eine Abschreckungswirkung entfalten möchte.
Verfügbar sind derzeit die folgenden beiden Flugkörper:
SM-6-Raketen: Dieser Raketentyp fliegt bis zu 500 Kilometer weit; es handelt sich somit nicht um eine Mittelstreckenrakete. Doch diese Distanz reicht für eine Abschreckungswirkung gegenüber der russischen Exklave Kaliningrad, wo Moskau selber Raketen stationiert hat. Zudem arbeiten die USA offenbar an einer weiterreichenden Version, die mit Hyperschallgeschwindigkeit fliegt, also schneller als 6200 Kilometer pro Stunde.
Tomahawk-Marschflugkörper: Marschflugkörper (Cruise-Missiles) fliegen viel langsamer, haben aber den Vorteil, dass sie während des gesamten Flugs über einen Antrieb verfügen, sehr tief fliegen können und dadurch für das gegnerische Radar schlecht erkennbar sind. Die USA haben Tomahawk-Marschflugkörper seit vier Jahrzehnten in ihren Arsenalen und haben sie mehrfach weiterentwickelt. Ältere Versionen kommen auf eine Reichweite von 2500 Kilometern, die neuste auf rund 1700 Kilometer. Damit wäre Pistorius’ Reichweitenvorgabe erfüllt.
Waren die Tomahawks lange Zeit ausschliesslich eine Waffe der Navy, stehen sie dank dem Typhon-Startsystem seit 2024 auch der Army zur Verfügung, für Einsätze von Land aus.
Im Unterschied zu Russlands Mittelstreckenwaffen, die mit Atombomben bestückbar sind, sehen die USA für die SM-6 und die Tomahawks keine nuklearen Gefechtsköpfe vor. Auch Pistorius betonte diese Woche, dass es um eine rein konventionelle Bewaffnung gehe. Das ist ein wichtiger Unterschied zur Nachrüstung mit atomaren Pershing-Mittelstreckenraketen in den achtziger Jahren. Sie hatte damals in Deutschland heftige Proteste ausgelöst.