Der ehemalige Mitte-Präsident fordert mehr Mitsprache bei der dynamischen Rechtsübernahme. Eine periodische Berichterstattung über Geschäfte im Gemischten Ausschuss sei auch für den Bundesrat machbar, sagt er.

«‹Vernehmen und lassen›, wie man es dem Bundesrat nicht immer unberechtigt unterstellt, wäre hier keine gute Strategie»: Gerhard Pfister.
«‹Vernehmen und lassen›, wie man es dem Bundesrat nicht immer unberechtigt unterstellt, wäre hier keine gute Strategie»: Gerhard Pfister.

Alessandro Della Valle / Keystone

Herr Pfister, der Bundesrat beteuert, die Schweiz könne bei jedem Rechtsakt der EU, den die Schweiz übernehmen soll, Nein sagen. Stimmt das?

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Grundsätzlich hat der Bundesrat natürlich recht. Die Frage ist, was bei einem Nein geschieht. Seitens der EU sind Ausgleichsmassnahmen möglich. Immerhin fallen nicht mehr ganze bilaterale Abkommen weg, wie es jetzt bei einem Nein zu einer Weiterentwicklung des Schengen-Dublin-Abkommens möglich ist. Das ist ein Fortschritt.

Bei der Personenfreizügigkeit, beim Luftverkehr sowie beim Strom- und Luftverkehrsabkommen übernimmt die Schweiz EU-Recht im Integrationsverfahren. Sagt sie nicht Nein, gilt das EU-Gesetz. Kann das Parlament überhaupt noch mitreden?

Die Schweiz erhält die Möglichkeit, beim sogenannten «decision shaping» teilzunehmen, wie es die EWR-Staaten können. Das heisst, sie kann die Entscheidfindung weit früher mitgestalten als bisher. Wir müssen aber in der Schweiz noch genauer diskutieren, wie diese Teilnahmemöglichkeiten konkret aussehen sollen und wann das Parlament einbezogen wird. Die Mitte hat das schon 2019 in einer Motion gefordert.

Was konkret?

Filippo Lombardi und Beat Rieder forderten, dass dem Parlament ergänzend zum Abkommen eine gesetzliche Grundlage zu unterbreiten sei, die den demokratischen Prozess der dynamischen Übernahme von EU-Recht rechtlich definiert und das Mitspracherecht von Parlament, Volk und Kantonen gewährleistet. Das Parlament hat dieser Motion zugestimmt. Sie gilt meines Erachtens auch für dieses Abkommen. Die dynamische Rechtsübernahme wird im Wesentlichen gleich geregelt wie beim seinerzeitigen Rahmenabkommen.

Zuständig ist der Gemischte Ausschuss, in dem Schweizer und Vertreter der EU sitzen. Wehren sich die Schweizer nicht, gilt EU-Recht. Wie wollen Sie rechtzeitig mitreden können?

Eine periodische Berichterstattung für das Parlament über anstehende Geschäfte im Gemischten Ausschuss ist meines Erachtens auch für den Bundesrat machbar.

Wie soll die parlamentarische Mitsprache konkret aussehen?

Der Nationalrat hat eine ständige Subkommission der Aussenpolitischen Kommission beschlossen, die den Auftrag hat, die für die Schweiz wichtigen und sich anbahnenden Rechtsentwicklungen in der Europäischen Union aktiv und vertieft zu verfolgen. In beiden Räten ist die Frage, wie etwa mit sogenanntem Soft Law umzugehen sei, ein Thema. Das Parlament befasst sich schon länger mit der Frage, wie völkerrechtliche Verpflichtungen innenpolitisch besser abgestützt, gestaltet und mit der direkten Demokratie kompatibel gemacht werden können.

EU-Recht ist aber kein Soft Law.

Natürlich sind die Rechtsentwicklungen in der EU für die Schweiz kein Soft Law. Aber generell ist sich eine deutliche Mehrheit des Parlaments bewusst, was mit dem EU-Abkommen innenpolitisch auf uns zukommen wird. Wir wissen, dass wir – bevor wir dem Volk das Abkommen unterbreiten können – die Fragen der Mitwirkung und Mitentscheidung genau klären müssen. Genau um solche Fragen zu diskutieren, gibt es ja Vernehmlassungen.

Plötzlich ist überall vom Prinzip der Integration von EU-Recht die Rede. Wann haben Sie zum ersten Mal davon gehört?

Wie es im Detail angedacht und ausgehandelt wurde, habe ich in den vergangenen Wochen gesehen, als ich das Dossier studierte. Der Grundsatz der dynamischen Rechtsübernahme war aber immer transparent, ebenso dass das Parlament die Frage der Mitwirkung innenpolitisch zu regeln und zu entscheiden hat.

Im sogenannten Gemischten Ausschuss, der über Ja oder Nein zu den EU-Rechtsakten entscheidet, sitzen offenbar Staatsangestellte. Sollten die Mitglieder gewählt werden?

Bevor man entscheidet, wer diese Mitglieder wählt, muss man wissen, welche Expertise diese Personen brauchen. Eine grosse Mehrheit der Rechtsakte sind technischer Natur, wie Äquivalenzregelungen von Industrieprodukten. Genauso wichtig ist aber, dass wir von den Rechtsübernahmen diejenigen frühzeitig erkennen und diskutieren, die staatspolitische Implikationen haben, die allenfalls einem Referendum unterstellt werden sollen.

Was erwarten Sie nun vom Bundesrat?

Bis zum Ende der Vernehmlassungsfrist ist in erster Linie nicht der Bundesrat gefordert, sondern die Parteien und die interessierten Kreise. Sie sollen sich gründlich und sachlich mit dem Dossier auseinandersetzen und ihre Fragen, ihre Kritik und ihre Anliegen äussern. Dann tut meines Erachtens der Bundesrat gut daran, die innenpolitische Umsetzung im Lichte der eingegangenen Positionen nochmals zu überprüfen und allenfalls weitere Vorschläge dem Parlament zu unterbreiten. «Vernehmen und lassen», wie man es dem Bundesrat nicht immer unberechtigt unterstellt, wäre hier keine gute Strategie. Dafür ist die Sache zu wichtig.