Syriens Übergangsregierung hat nach den blutigen Unruhen im Süden des Landes eine von den USA unterstützte Waffenruhe mit Israel bestätigt. In einer Erklärung rief die syrische Präsidentschaft alle Konfliktparteien auf, die Kämpfe unverzüglich einzustellen. Unterdessen entsandte die Regierung Sicherheitskräfte in die südliche Provinz Suwaida, die seit fast einer Woche Schauplatz einer brutalen Eskalation neuer Gewalt ist.

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Der US-Botschafter in der Türkei und Sondergesandte für Syrien, Thomas Barrack, hatte die Waffenruhe zwischen Syrien und Israel zuvor verkündet. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und der syrische Präsident Ahmed al-Scharaa hätten dieser zugestimmt, hieß es.

Der US-Sondergesandte Barrack schrieb auf X: „Wir rufen Drusen, Beduinen und Sunniten auf, ihre Waffen niederzulegen und gemeinsam mit anderen Minderheiten eine neue und geeinte syrische Identität aufzubauen, die Frieden und Wohlstand mit ihren Nachbarn schafft.“ Barrack sprach von einem „DURCHBRUCH“. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte dauerten die Kämpfe an. 

Zahl der Toten soll auf 940 gestiegen sein

Die Zahl der Toten sei inzwischen weiter auf 940 gestiegen, hieß es. Unabhängig überprüfen lässt sich die Zahl nicht. Die Angaben der Beobachtungsstelle mit Sitz in Großbritannien, die den Konflikt in Syrien mit einem Netz aus Aktivisten verfolgt, gelten aber als in der Regel verlässlich.

In einer Rede am Samstag bekräftigte al-Scharaa, Minderheiten in Syrien schützen zu wollen. Die Lage sei stabilisiert. Israel warf er vor, das Land durch Interventionen und „unverhohlene Bombardierungen“ in eine gefährliche Phase gestürzt zu haben, die Syriens Stabilität gefährde.

Zuvor hatten Sicherheitskräfte seiner Regierung Stellung an den Rändern der gleichnamigen Provinzhauptstadt bezogen, um erneut dort einzurücken. Nach Angaben aus der Hauptstadt Damaskus sollen die Regierungstruppen die lokalen Konfliktparteien auseinanderhalten. Israel erklärte sich laut Medienberichten bereit, die Präsenz von Sicherheitskräften der syrischen Regierung in der Provinz für einen Zeitraum von 48 Stunden zu dulden.

Israelische Luftangriffe in Damaskus

Die neue Gewalt im Süden Syriens war vor knapp einer Woche ausgebrochen. Es kam zu tödlichen Zusammenstößen zwischen drusischen Milizen und sunnitisch-muslimischen Beduinenstämmen. Truppen der syrischen Übergangsregierung griffen ein.

Dutzende drusische Zivilisten sollen von Sicherheitskräften hingerichtet worden sein. Als Reaktion bombardierte Israel zur Unterstützung der Drusen Regierungsgebäude in Damaskus und Konvois der syrischen Regierungsarmee auf dem Weg nach Suwaida. Israel begründete das mit dem Schutz der Drusen. Zudem will Israel nach dem Sturz des syrischen Ex-Machthabers Baschar al-Assad keine Militärkräfte im Süden Syriens dulden, der an Israel grenzt.

Israel misstraut Regierung in Damaskus 

Der jüdische Staat misstraut der Übergangsregierung in Damaskus, weil sie aus islamistischen Milizen hervorging. Al-Scharaa hatte wiederum Israel vorgeworfen, sein Land in einen Krieg hineinziehen zu wollen. Israels Ministerpräsident Netanjahu hatte den Schutz der „drusischen Brüder“ als rote Linie ausgegeben.

Bereits in den vergangenen Monaten hatte es in Suwaida, der Hochburg der Drusen, bewaffnete Konfrontationen gegeben. Die jüngsten Kämpfe sind die schlimmsten. Die Kämpfe seien das Werk „gesetzloser bewaffneter Gruppierungen“, sagte Al-Scharaa in einer von seinem Amt veröffentlichten Erklärung. „Sie greifen zur Waffengewalt, um ihren Willen durchzusetzen und riskieren damit das Leben von Zivilisten – Kindern, Frauen und Alten“. 

Rotes Kreuz berichtet von schlimmen Zuständen

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beschrieb die humanitäre Lage in Suwaida als kritisch, Gesundheitseinrichtungen seien überlastet. „Das IKRK erhält verzweifelte Hilferufe aus der Bevölkerung, die unter einem gravierenden Mangel an Nahrungsmitteln, sauberem Wasser, Strom und medizinischer Versorgung leidet“, teilte die Organisation mit. Die Gewalt behindere die Lieferung lebensrettender Hilfe. Den Helfern müsse sofortiger, sicherer und ungehinderter Zugang in das Krisengebiet gewährt werden. 

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Unter Vermittlung der USA, der Türkei und arabischer Staaten war es diese Woche eigentlich zu einer Waffenruhe gekommen, am Donnerstag hatten sich die Regierungstruppen an die Stadtränder von Suwaida zurückgezogen. Drusische Milizen übernahmen die Kontrolle, was zur Flucht beduinischer Einwohner führte. Doch dann kam es in der gleichnamigen Provinz laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte und des UN-Menschenrechtsbüros erneut zu bewaffneten Auseinandersetzungen. 

Die Drusen sind eine religiöse Minderheit, die aus dem schiitischen Islam entstanden ist. Sie leben in Syrien, dem Libanon, Israel und Jordanien. In Israel nehmen die Drusen eine Sonderstellung ein, weil sie anders als muslimische und christliche Araber Militärdienst leisten. Nach dem Sturz der Assad-Herrschaft im Dezember 2024 und Jahren des Bürgerkriegs bleibt die Lage im ethnisch und religiös vielfältigen Syrien weiterhin fragil. (dpa)